Viel kykladische Architektur, schöne Dörfer, zwei bedeutende historische Stätten, gute Restaurants und ausgezeichnete Wanderwege machen Sifnos zum gut gewählten Ziel für aktive Nissomanen. Aber auch die Strände und kleinen Badeorte sind ein großes Plus.
Schon Kamares, der Hafenort der Insel, verwöhnt mit einem schönen Sandstrand am inneren Ende der Bucht. Nur 150 Meter vom Fähranleger entfernt kann man vor den Beach Bars Liegestühle im Tamariskenschatten mieten, an zwei anderen Abschnitten werden die Liegestuhlkunden von weiter entfernten Tavernen aus bedient. Dazwischen bleibt Freiraum genug für die, die sich lieber auf Badetüchern sonnen. Für Unterhaltung sorgen die an- und ablegenden Fähren und ankernde Yachten. Natürlich gibt es auch Töpfer im Ort. Im Atelier Peristeronia direkt an der Hauptstraße werden sehr kunstvolle Kopien von alter bemalter Keramik aus dem Benaki-Museum feilgeboten, bei Mamidas ganz in der Nähe hat man sich ganz der traditionellen sifnischen Töpferkunst verschrieben. Über die hat sogar schon Theophrast, der lesbische Philosoph aus der Zeit um 300 v. Chr. geschrieben. Hauptprodukt sind braune, unbemalte und feuerfeste Schmortöpfe verschiedenen Durchmessers, die sich nach oben etwas verjüngen. Ganz markant sind die formenreichen sifnischen Rauchabzüge, die noch oft auf Häusern und vor allem Töpfereien zu sehen sind. Sie sorgen geschickt dafür, dass kein Regenwasser in die Kamine eintropfen kann.
Sandig: Der Strand von Kamares
Markante Kirchen
Die Straße von Kamares in den Inselnorden windet sich kurvenreich die nahezu baumlosen Hänge empor. Eine Stichstraße führt zum sogenannten Kloster Agios Simeon auf einem 492 Meter hohen Hügel hinauf, von dem aus wir weite Teile der Insel überblicken. Mönche oder Nonnen leben hier schon lange nicht mehr – von allen Klöstern auf Sifnos wird schon seit Jahrzehnten nur noch ein einziges von ein paar Mönchen bewohnt. Trotzdem steht das Kirchlein offen, so dass wir dem Kirchenpatron, dem Säulenheiligen Simeon, zwei Kerzen entzünden können – eine, um für unsere lebenden, das zweite für unsere verstorbenen Freunde und Verwandten um Schutz bittend. Danach genießen wir den phantastischen Ausblick – auch auf Gipfelkirchen und -kapellen auf anderen Hügeln, die nur zu Fuß zu erreichen sind.
Das Koster Agios Simeon
Frau Professorin bedient
Am nördlichen Ende der Asphaltstraße, die ganz Sifnos durchzieht, steht auf einem windumtosten Isthmos das Romanza als aussichtsreiche kleine Pension und Taverne. Das Auto parkt 20 Meter entfernt direkt über der Steilküste mit Blick zum im Dunst kaum erkennbaren Antiparos hinüber, vom Straßenende führt ein Feldweg auf die Halbinsel Cheronissos hinüber. Wir setzen uns auf die Terrasse mit Parkplatzblick, doch halten es da nicht lange aus. Die Cola-Dose weht vom Tisch, die Zigarette aus dem Aschenbecher – der Meltemi zottelt mit aller Macht. Wirtin Archondia bittet uns auf die Rückseite des Hauses. Von der Terrasse da fällt der Blick auf den nahen Weiler Cheronissos mit einem winzigen Sandstrand, ein paar Tavernen und Häusern. „Apolafsete“, setzt euch und genießt, sagt Archondia. Sie bringt uns warmes, eben selbst gebackenes Brot, und nimmt bei uns Platz. Sie stamme aus Sparta auf der Peloponnes, erzählt sie uns, und sei in Athen Professorin für Altgriechisch und Archäologie gewesen. Jetzt aber genieße sie die Einsamkeit hier – und den Meltemi, der hier meist stärker blase als irgendwo sonst auf der Insel. Wir sollten doch noch zum Mittagessen bleiben: Kichererbsensuppe und Kichererbsenkroketten seien ihre weithin gerühmten sifnischen Spezialitäten.
Vathi und Platys Gialos ...
Nach geraumer Zeit machen wir uns wieder auf den Weg, fahren an Apollonia-Artemonas vorbei in den Inselsüden. 25 Kilometer sind es von Cheronissos bis nach Vathi am anderen Ende der Insel-Hauptstraße. Ein Sandstrand zieht sich ums innere Ende der vor den Meltemia geschützten Bucht, in der nachts viele Yachten ankern, ein Kirchlein steht direkt auf dem Kai, ein paar Tavernen säumen das Ufer. Nichts lenkt hier vom Nichtstun ab. Ein wenig Wahnsinn hat aber auch schon Einzug gehalten: Eins der wenigen Hotels besitzt einen Pool mit olympischen Ausmaßen fast direkt am Meer. Ist das nötig? Von Vathy aus könnte man in etwa vier Stunden auf gut markiertem Weg quer über die Berge nach Apollonia zurück wandern. Wir aber setzen uns wieder ins Auto und fahren an die Ostküste der Insel hinüber. Da liegt mit Platy Gialos der neben Kamares größte Badeort mit langem, aber schmalen, goldfarbenen Sandstrand. Hier hat 1960 die touristische Entwicklung der Insel begonnen, als am südwestlichen Strandende ein staatliches Xenia-Hotel eröffnet wurde. Insgesamt entstanden zur Förderung des Fremdenverkehrs in den 1950er und 1960er Jahren etwa 50 solcher recht kleinen Häuser in damals noch entlegenen, völlig untouristischen Regionen. Ihre Architekten waren Wegbereiter einer modernen griechischen Architektur, deren Stil Fachleute als „kritischen Regionalismus“ bezeichnen. Zu den Architekten zählte auch der in München ausgebildete Aris Konstantinidis (1913-1993), der das Hotel hier auf Sifnos entwarf. Das wurde schon 1970 privatisiert, mehrfach renoviert und modernisiert, ohne seinen historischen Charakter äußerlich stark zu verändern. Die meisten anderen Xenia-Hotels in Griechenland sind leider inzwischen abgerissen oder verfallen. Überlebt haben außer auf Sifnos nur die Häuser in Nafplio auf der Peloponnes, auf Patmos und Kos. Regionalität ist in Platys Gialos auch in einer außergewöhnlichen Strandtaverne das Motto. Zum ganz legeren Nus gehört eine Farm im Inselzentrum, wo man sich vor allem der Zucht traditioneller örtlicher Nutzpflanzen widmet – Kapern und Kichererbsen in erster Linie. Der Inhaber tingelt im Winter durch die Restaurants Europas, um sich neue Rezeptideen zu holen, die sein Koch dann im Sommer umsetzt. Auch Kochkurse auf der Farm gehören zum engagierten Konzept. Wir haben selten in Griechenland so gut gegessen wie hier.
Vathy ist gut für den Badeurlaub
Noch zwei Schmankerl
Zwei Ziele haben wir noch auf unserem Programm. Zuerst das schneeweiße Kloster Chrissopigi auf einer flachen Felszunge an der Küste, dessen Kirche schon 1650 entstand. Mönche oder Nonnen leben auch hier nicht mehr, aber seiner Lage wegen ist der Komplex das sifnische Postkartenmotiv schlechthin. Viele Legenden ranken sich um den Konvent. Eine erklärt den Felsspalt, der Chrissopigi zum Inselchen macht: Einst gingen drei ehrenwerte Frauen in die Klosterkirche. In der schliefen gerade Piraten. Die wollten sich sofort auf die Frauen stürzen, doch die heilige Maria öffnete für sie den Erdspalt, der sie verschlang. Da waren sie zwar tot, aber ihre Ehre blieb unangetastet. Heute gehen mehr Frauen an den Strand von Chrissopigi als in die Kirche. Ein schönerer Strand liegt allerdings am nördlichen Ende der kleinen Bucht, gleich neben dem Küstenweiler Faros. Das feinsandige Band ist nur etwa 100 Meter lang, das Wasser schimmert blau und türkis. Tamarisken spenden Schatten – kein Liegestuhlvermieter kommerzialisiert die Idylle. Das ist irgendwie typisch für die Insel.
Chryssopigi – ein Bilderbuchkloster
Chiasmia aestimaria
Als wir dann später unter Tamarisken am Hafen von Kamares auf unser Schiff warten, um über Paros, Mykonos, Tinos und Andros nach Rafina auf dem Festland weiter zu fahren, zeigen sich die Bäume von einer etwas unangenehmen Seite. An nahezu unsichtbaren Fäden lassen sich etwa zwei Zentimeter lange, grün-weiße Raupen (von den Biologen Chiasmia aestimaria genannt) auf unseren Tisch, in unsere Gläser, auf den Boden und Strand hinab. Da stellen sie sich sogleich wie Königskobras en miniature aufs Hinterteil, richten sich großspurig auf und schwingen hin und her, als wollten sie drohen. Wir sind nach drei Wochen griechischer Inselwelt entspannt genug, um sie gewähren zu lassen und werden mit Safari-Szenen belohnt: Wespen schnappen sich die Tamariskenspanner und verspeisen sie voller Genuss. „Laissez faire, jedem das Seine“, lautet unser ägäisches Fazit.
Klaus Bötig
Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 692 am 11. September 2019.