In der Plaka wagt niemand einen Neubau. Athens Altstadtviertel bedeckt das Zentrum des antiken Athens. Jede Baugrube würde zur archäologischen Stätte, da hält man die Bagger lieber fern. Und lockt stattdessen Myriaden von Touristen mit historischem Charme, autofreien Gassen, Läden, Cafés und Tavernen. An der stufenreichsten Gasse staffeln sich die Musiklokale übereinander, doch es gibt auch ganz stille Ecken wie Anafiotika, die Perle der Plaka.
Die Athener Plaka
Wenn auf dem nahen Syntagma-Platz mal wieder eine Großdemo abläuft, ist in der Plaka davon nichts zu bemerken. Polizei zeigt hier keine Präsenz, die Sprechchöre prallen an der Wand hoher neuerer Häuser in der Mitropoleos- und Filellinon-Straße ab. Die Plaka bleibt auch an solchen Tagen eine Idylle.Die allerdings kann recht wuselig sein. Auch das kann man genießen. Ich sitze besonders gern in der Grillstube „Kosmikon“ an der Kreuzung der Haupttouristengassen Kydathineon und Adrianou bei einem Gyros und einem Glas Bier vom Fass. Den Kellner kenne ich schon seit über 20 Jahren, habe seinen Alterungsprozess miterlebt. Das erste Bier des Jahres bei Saisonstart bekomme ich immer umsonst, das ist zum Ritual geworden. Danach bleibt's immer bei einem „Ti kanis?“. Ich genieße das Spektakel, das vor meinen Augen auf- und abläuft. Durchnummerierte Gruppen von Kreuzfahrturlaubern fallen besonders ins Auge. Manchmal fragen sie sogar, in welcher Stadt sie gerade sind.
Einstieg Kydathineon
Meine Plaka-Runde beginnt stets mit der Odos Kydathineon, die von der breiten Filellinon abwärts in die Altstadt führt. Da wird gecheckt, was ich in den nächsten Tagen machen werde. Zu meiner Freude sind die beiden Kellertavernen noch da, letzte Überbleibsel einer untergehenden Athener Kellerkneipen-Kultur. Beide sind jetzt klimatisiert und frisch herausgeputzt, sie werden Zukunft haben. Im „Saitas“ (Webschiffchen) sollte man das Schweinefleisch mit Staudensellerie kosten; das „O Damigos“ ist schon seit vielen Jahrzehnten für seinen Bakaljaros me skordalja, Stockfisch mit Knoblauch-Kartoffel-Püree, stadtweit bekannt. An der Kydathineon liegt auch das „Cine Paris“, eines der ältesten Sommerkinos der Stadt. Da sitzt man auf dem Dach eines Hauses, blickt von der Bar oder der Bestuhlung aus auf die Leinwand, auf der Hollywood-Stars vor der Kulisse der Akropolis agieren. Und an der Kydathineon liegt auch das „Vrettos“, Athens wohl urigste Bar und inzwischen auch Weinstube. Wenn einem Reisenden nach Gesprächen mit aufgeschlossenen Griechen und Menschen von allen Kontinenten der Sinn steht, führt kein Weg an der einzigartigen Bar vorbei. Man sitzt zu beiden Seiten des Tresens oder am einzigen, langen Tisch unter alten Fässern und bunten Likörflaschen und unterhält sich auf Englisch. Zu essen gibt es nichts, dafür aber über 80 Weine, auch glasweise. Der Ouzo aus der hauseigenen Destille wird in vier Stärkegraden angeboten, zum Mitnehmen erhält man ihn auch in unzerbrechlichen Blechflaschen.
Bunter Flaschenzauber in der früheren Spirituosenhandlung „Vrettos“
Shopping-Meile Adrianou
Die Kydathineon mündet beim Vrettos auf die Odos Adrianou, die Hauptsouvenirgasse der Altstadt. Neben allerlei Billigartikeln aus griechischer und fernöstlicher Produktion – Turnschuhe mit aufgedruckter griechischer Flagge sowie Inselmotiven – gibt es auch kulinarische und hochprozentige Spezialitäten aus allen Regionen des Landes. Zwei griechische Modedesigner haben hier in letzter Zeit Boutiquen eröffnet. Und schon seit Ewigkeiten stattet das „Remember“ Punk-, Heavy Metal- und Rockbands mit schrillen Textilien und Accessoires aus. Werden die Füße müde, kann man sie in einem Fish Spa von kleinen Fischen entspannend anknabbern lassen.
Syrtaki-Stufen auch für Provinzler
Von der Adrianou zweigt nach links oben die stufenreiche Gasse Mnisikleous in Richtung Akropolis ab. Ab dem späten Nachmittag, an Wochenenden auch schon mittags, erklingt hier viel griechische Live-Musik. Tische und Stühle stehen nicht nur drinnen, sondern auch auf den Treppenabsätzen, auf Terrassen und Dachgärten. Im Sommer treten auch manchmal kostümierte Folklore-Tänzer auf, meist aber sind Gäste auf der Tanzfläche zu finden. Im schlimmsten Fall Deutsche und Amerikaner, im besten Fall Israelis, Türken und griechische Stadtbesucher aus der Provinz. Dann lohnt es sich sogar für Gegner „griechischer Abende“, hinein zu gehen. Für ernsthaft an griechischer Musik Interessierte ist es freilich lohnender, kurz vor dem oberen rechten Ende der Treppengasse zehn Meter nach rechts in die kleine Gasse Odos Tholou einzuschwenken und dort in die letzte echte Bouat der Altstadt einzutreten. Man kauft sich für neun Euro ein kleines Fläschchen Bier, sucht sich irgendwo einen Sitzplatz und hört live unbekanntere griechische Liedermacher. Im Publikum sitzen überwiegend Studenten und Studentinnen. Die klatschen und singen die meist linken Texte begeistert mit, kommen aber nicht zum Tanzen hierher.
Die Gassen von Anafiotika
Jetzt wird die Wegbeschreibung etwas kompliziert. Um zu einem der schönsten und unbekanntesten Aussichtspunkte Athens am obersten Rand des Anafiotika-Viertels zu gelangen, wenden Sie sich am obersten Ende der Mnisikleous nach rechts, folgen der kleinen Asphaltstraße im Bogen nach links und biegen dann sogleich auf den gepflasterten Weg nach links oben ab. Vorbei am stets geschlossenen byzantinischen Kirchlein Agios Simeonos aus dem 13./14. Jh. geht es knapp 200 Meter weit. Dann erreicht der Weg seinen Scheitelpunkt. Da hätte ich gern ein Häuschen. Hinter Ihnen ragt der Akropolisfelsen senkrecht in den Himmel, vor Ihnen liegt der von einem weißen Kapellchen gekrönte Fels des Lykavittos. Das Blickfeld reicht vom Tempel des Olympischen Zeus und dem Panathenäischen Stadion über das Parlamentsgebäude am Syntagma-Platz bis zur antiken Agora mit dem Hephaistos-Tempel. In der Oster- und Silvesternacht lässt sich von hier aus das Feuerwerk am besten betrachten – jederzeit sitzen Sie hier gut bei einem Fläschchen mitgebrachten griechischem Wein und ein paar Happen griechischen Käse.
Danach folgen Sie dem sich absenkenden Weg nur fünf Meter und nehmen die nicht einmal einen Meter breite Gasse nach links unten. Jetzt sind Sie in Anafiotika, wo es weder Tavernen noch Geschäfte gibt. Bauern und Steinmetze von der winzigen Kykladeninsel Anafi nahe Santorin ließen sich hier um 1830 nieder und machten sich ein Gesetz zunutze, dass das Errichten von Häusern auch ohne Baugenehmigung gestattete, wenn es schon am ersten Bautag ein Dach erhielt. Entsprechend winzig sind die Domizile. Man lässt sie stehen, weil unter ihnen mit Sicherheit viel Antikes verborgen ist – hier Neubauten zu errichten, wäre darum ohnehin nicht möglich. So darf Anafiotika mit seinem Blumenreichtum und seiner Katzenvielzahl weiterhin Inselatmosphäre direkt unterm Götterfelsen verströmen.
Blick auf die römische Agora
Schlemmen in der Mnisikleous-Gasse
Essen wie Jamie Oliver
In der Odos Tripodon, der „Straße der Dreifüße“, kann man dann in zwei Lokalen den ganzen Tag und Abend über gleich gut und originell essen oder sich auch nur eine Karaffe Wein mit kleinen Häppchen dazu munden lassen.Das „Scholarcheion“ gehört zu einem leider aussterbenden Tavernentyp. Bis in die Nachkriegszeit hinein gab es in Griechenland noch viele Tavernen, in denen ein Kellner mit einem Tablett an den Tisch kam, auf dem die verschiedensten kleinen Teller mit Leckereien standen. Der Gast wählte, was er wollte, und ließ den Tisch damit vollstellen. Inzwischen sind diese Tablett-Tavernen zur echten Rarität geworden. Im „Scholarcheion“, dem klassizistischen Bau eines Schulrektorenhauses, wird das System weiterhin kunstvoll gepflegt. Wein, Wasser und eine gewisse Anzahl von Tellerchen gibt es zum günstigen Festpreis. Draußen und drinnen kann man jeweils auf zwei Etagen sitzen. Wer rechtzeitig reserviert, darf auch an dem jeweiligen Zweiertisch auf den beiden Balkonen Platz nehmen und sein Dinner quasi ganz privat genießen.
Im „To Kafenio“ schräg gegenüber hat es sogar dem Starkoch Jamie Oliver ausgezeichnet gefallen. Draußen auf der Gasse sehen die Stühle in drei Farben schon sehr einladend aus. Drinnen fühlt sich der Gast fast wie in einem kleinen Salon aus dem 19. Jahrhundert. Hierher kommt man nicht, um Menüs zu bestellen, sondern lässt sich Mezedakia auftischen, eine Vielzahl leckerer Kleinigkeiten. Da gibt es Saganaki, gebratenen Käse mit Honigsauce, gegrillten Mastello-Käse von der Insel Chios oder 100 Gramm Räucheraal mit einer Ouzo- und Dillsauce. Soviel wie Jamie Oliver bei seinem Besuch wird wohl kaum ein anderer Gast bestellen. Er hat hier 18 verschiedene Mezedakia und vier Desserts verkostet. Sein Fazit: „Ich habe noch nie so viel Verschiedenes aus einer so kleinen Küche genossen."
Die Taverne „Scholarcheion“
Schlusspunkt Monastiraki
Einen stimmungsvollen Abschluss eines Plaka-Rundgangs bietet dann der Weg zum Monastiraki-Platz. Er führt an den effektvoll angestrahlten Ausgrabungen der römischen Agora mit dem Turm der Winde vorbei und an der römischen Hadriansbibliothek, vor der ambulante Händler ihren Modeschmuck und anderes Kunsthandwerk feilbieten. Direkt am Monastiraki-Platz lohnt dann die Auffahrt mit dem Fahrstuhl in eins der beiden trendigen Dachgarten-Lokale: Das „360°“ und das „A for Athens“. Da gewinnt man noch einmal einen grandiosen Überblick über die Plaka und schlürft seinen exquisiten Cocktail im Angesicht der angestrahlten Akropolis.
Die Bibliothek des Hadrian in Monastiraki, dahinter die Akropolis
Text und Fotos von Klaus Bötig