Die konservative Regierung der Nea Dimokratia hat angekündigt, den Mindestlohn ab dem 1. April um 50 Euro anzuheben. Die Opposition läuft dagegen Sturm. Vielmehr müsse man sich auf die Senkung der Lebenserhaltungskosten konzentrieren, argumentiert man dort. Für den 9. April haben die Gewerkschaften einen Generalstreik verkündet.
Der Mindestlohn für Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft wird in Griechenland ab dem 1. April auf 880 Euro brutto – von bisher 830 Euro – angehoben. Das hat am Mittwoch (26.3.) der Ministerrat beschlossen. Premierminister Kyriakos Mitsotakis erklärte, dass es sich um die fünfte Gehaltserhöhung seit seiner Amtsübernahmen im Sommer 2019 handle. Durch die Erhöhung des Mindestlohnes werden insgesamt auch 19 Zuschüsse automatisch erhöht, darunter etwa das Arbeitslosengeld. Vor sechs Jahren, als die konservative Nea Dimokratia (ND) die Regierungsgeschäfte übernahm – seit Juni 2023 in einer zweiten Legislaturperiode – lag der Mindestlohn bei 650 Euro brutto. Ursache dafür waren einschneidende Kürzungen während der Finanz- und Wirtschaftskrise. Mit der jetzt angekündigten abermaligen Erhöhung des Mindestlohnes hätten Niedrigverdiener nunmehr pro Jahr 2.735 Euro mehr zur Verfügung als das 2019 der Fall war, so die Argumentation der Regierung. Premier Mitsotakis rechnete sogar vor, dass dies im Prinzip fünf zusätzlichen Gehältern entspreche. Diese Maßnahme betreffe rund 575.000 Angestellte im Privatsektor und 600.000 Staatsdiener. Auch letztere könnten im Monat mit 30 Euro zusätzlich brutto rechnen, wenn sie lediglich mit dem Mindestlohn bezahlt werden.
Der Ministerrat
Mehr Arbeitsplätze
In seinen Ausführungen räumte der Regierungschef ein: „Wir sind noch nicht dort, wo wir hin wollen.“ Sein Ziel sei es, dass der Mindestlohn bis zum Ende dieser Legislaturperiode im Jahre 2027 bei 950 Euro monatlich liegt. Die Durchschnittsgehälter würden dann brutto bei 1.500 Euro liegen. Außerdem hob er hervor, dass die Arbeitslosenrate auf 8,7 % gesunken sei; während der Finanz- und Wirtschaftskrise lag diese zum Teil bei über 27 %. 2019 lag diese Rate bei etwa 17 %. Allein 2024, so Mitsotakis, seien 93.000 neue Arbeitsplätze entstanden; seit 2019 seien es 500.000 gewesen. Das neue Ziel heiße nun: „Mehr und bessere Arbeitsplätze, Unterstützung des vorhandenen Einkommens, Erhöhung der Löhne und Senkung der Steuerlast.“
Auch Arbeitsministerin Niki Kerameos meldete sich zu Wort. Sie bezifferte die Gehaltserhöhung für Niedrigverdiener auf 6,02 %. Im Vergleich zu 2019 sei der Mindestlohn um 230 Euro monatlich bzw. 35,4 % angehoben worden. Der Tageslohn werde ab dem 1. April von bisher 37,07 Euro auf 39,30 Euro erhöht. Insgesamt werden davon 1,6 Millionen Bürger aus dem privaten und dem öffentlichen Sektor profitieren, so Kerameos.
Zahlreiche Arbeitsunfälle
Seitens der Opposition wurden die neuen Maßnahmen scharf kritisiert. Die sozialistische PASOK meint, dass die genannte Erhöhung des Mindestlohnes für die Ausgaben der Arbeitnehmer in der aktuellen Wirtschaftsrealität nicht ausreiche. Die Kaufkraft der Griechen zähle zu den niedrigsten in Europa; nur in Bulgarien sei die Lage noch schlimmer. Vor allem wurde kritisiert, dass die Griechen im Schnitt 35,2 % ihres Einkommens für ihre Unterkunft ausgeben müssten; der EU-Durchschnitt liege bei 19,7 %. In den Städten müsste 31 % der Bevölkerung mehr als 40 % des vorhandenen Einkommens für die Miete aufbringen. Bemängelt wurde außerdem, dass die Löhne und Gehälter in Griechenland zu den niedrigsten der EU gehören, während die Gewinne der Arbeitgeber mit unter den höchsten in der EU seien. Außerdem würde die angekündigte Gehaltserhöhung von den hohen Steuern aufgefangen. Letztendlich kritisierte die PASOK die herrschenden Arbeitsbedingungen: Von Jahr zu Jahr würden immer mehr Arbeitsunfälle bekannt, über Krankheiten, die durch schlechte Arbeitsbedingungen entstehen, werde gar nicht erst gesprochen: „Die Gesundheit und die Sicherheit am Arbeitsplatz wird vermisst.“ Nur drei von zehn Arbeitnehmern seien demnach durch einen Rahmentarifvertrag geschützt.
Während der Sitzung des Ministerrates
Kein Realitätsbezug
Ähnlich sah eine Mitteilung aus den Reihen des Bündnisses der Radikalen Linken (SYRIZA) aus: Die Gehaltserhöhung sei „ohne Bezug zur Realität und den gesellschaftlichen Bedürfnissen“. Kostas Gavrilos, der bei SYRIZA für Beschäftigungsfragen zuständig ist, kritisierte, dass die Lebenshaltungskosten „rasant in die Höhe gegangen sind“. Dabei fragte er sich, ob Premier Mitsotakis „die Realität der Arbeiternehmer im Land tatsächlich versteht.“ Demnach gehe das Einkommen bei 60 % der Arbeitnehmer bereits in den ersten beiden Wochen des Monats zu Neige. 88 % hätten den Einkauf wichtiger Lebensmittel zurückschrauben müssen, um über die Runden zu kommen. Dabei erinnerte er daran, dass in den vergangenen Jahren die Preise für Lebensmittel um 33 % nach oben geschnellt seien. Scharf kritisiert wurde außerdem, dass einer von drei Angestellten keine Überstunden bezahlt bekomme. Durch Rahmentarifverträge seien lediglich 26 % der Griechen abgesichert; der EU-Durchschnitt liege immerhin bei 57 %.
Zur Wort meldete sich auch die kommunistische KKE. Sie sprach davon, dass der Premier die Arbeitnehmer „irreführen“ wolle. Aus der Parteizentrale hieß es, dass die Regierung den achtstündigen Arbeitstag de facto abgeschafft habe; selbst 13-stündige Arbeitszeiten seien neuerdings legal. Aus den Reihen der rechtspopulistischen Griechischen Lösung schätzte Parteichef Kyriakos Velopoulos ein, dass die Regierung sowohl die Privatangestellten als auch die Unternehmer „bestiehlt“.
Demos in Planung
Unterdessen haben die beiden Dachgewerkschaften des Öffentlichen Dienstes (ADEDY) und der Angestellten in der Privatwirtschaft (GSEE) am 9. April zu einem Generalstreik ausgerufen. Die GSEE fasste zusammen: „Das Problem eines menschenwürdigen Lebensunterhalts für Personen in abhängiger Beschäftigung wird nicht gelöst, im Gegenteil, es verschärft sich.“ Innerhalb von vier Jahren seien alle notwendigen Ausgaben der Menschen extrem in die Höhe geschnellt.
Die ADEDY setzt sich hingegen für die Wiedereinführung des 13. und 14. Monatsgehalts im öffentlichen Dienst ein, wie es im privaten Sektor der Fall ist. Es wird daran erinnert, dass viele Staatsdiener in abgelegenen, aber im Sommer besonders touristischen Orten, keine Wohnungsmöglichkeit mehr finden; so etwa müssten bereits viele Lehrer in den Klassenräumen oder sogar im eigenen Pkw übernachten. Gefordert werden vor allem konkrete Maßnahmen gegen die Teuerung und die Wohnraumkrise. (Griechenland Zeitung / Elisa Hübel)