Im November 2021 war von den zuständigen Stellen in Griechenland die Aufnahme der Orakeltafeln von Dodona, deren größter Teil sich im Archäologischen Museum von Ioannina befindet, in die UNESCO-Liste des „Weltdokumentenerbes“ beantragt worden.
Diese Einrichtung der Weltgemeinschaft hat die Bewahrung von Dokumenten zum Ziel, die für das kollektive Gedächtnis der Menschheit von besonderer Bedeutung sind. Sie sollen vor Zerstörung und Verlust geschützt werden und ihre allgemeine Verfügbarkeit gewährleistet sein. Ende des vergangenen Monats nun hat das zuständige Gremium der UNESCO die Aufnahme des Konvoluts aus Dodona in die Liste beschlossen, sodass Hellas jetzt mit zwei Einträgen aufwarten kann. Bereits 2015 nämlich war der sogenannte „Derveni-Papyrus“ im Archäologischen Museum von Thessaloniki als „ältestes Buch Europas“ als Weltdokumentenerbe anerkannt worden.
Das dem Zeus und der Dione geweihte Heiligtum von Dodona galt in der griechischen Antike als uralte und überaus ehrwürdige Orakelstätte, an der schon früh der Spruch des Göttervaters aus dem Rauschen einer heiligen Eiche oder auch dem Flug oder dem Gurren von Tauben ermittelt wurde. Später wurde diese Praxis dann offenbar zunehmend durch ein Losorakel ersetzt, in dessen Zusammenhang auch die jetzt in das Kulturerbe aufgenommenen 4.216 Bleitäfelchen stehen. Sie stammen aus der Zeit vom 6. bis zum mittleren 2. Jahrhundert v. Chr. und sind jeweils nicht größer als 13,2 x 6,7 cm. Die fragilen Plättchen geben einerseits die sorgsam eingeritzten Anfragen der Ratsuchenden wieder, andererseits aber auch die weitgehend standardisierten Antworten des Orakels.
Gerade die Beispiele, die die Anfragen an das Orakel beinhalten, sind für uns von ganz besonderem Interesse, geben sie in sozialgeschichtlicher Hinsicht doch einen unmittelbaren, umfassenden Einblick in die Belange der damaligen Gesellschaft. So geht es in ihnen nicht nur um private Themen wie Heirat, Untreue oder Scheidung sowie gesundheitliche und berufliche Fragen, sondern häufig auch um landwirtschaftliche und sonstige kommerzielle Angelegenheiten. Selbst der angemessene Umgang mit Sklaven spielt im Einzelfall eine Rolle. Darüber hinaus kommt den Platten aber auch in sprachgeschichtlicher Hinsicht eine besondere Bedeutung zu, bieten die zahllosen handschriftlichen Zeugnisse doch auch eine profunde Übersicht über die vielfältigen Dialekte der Hilfesuchenden. Wie die zuständige UNESCO-Kommission feststellt, ermöglichen die Bleitäfelchen von Dodona nicht nur einen einzigartigen Einblick in die Kultpraxis vor Ort, sondern auch in die sozialen und historisch-politischen Zusammenhänge und Strukturen der damaligen Zeit.
(GZjr)