Die Neuerscheinung aus unserem Verlag beschäftigt sich mit der Geschichte der Flüchtlinge des Griechischen Bürgerkriegs (1946-1949) in Leipzig/Sachsen. Eine der fast 30 Zeitzeugen, die zu Wort kommen, ist Marika Trautvetter, geb. Stilpnopoulou.
An meinem letzten Tag in Griechenland hatte ich bereits mein Heimatdorf verlassen. Wir waren zuvor aus Nea Sanda evakuiert worden, da das Dorf ein strategisch wichtiger Ort im Kampf zwischen der Demokratischen Armee und den Royalisten war. Eines Nachts holten uns die Partisanen und brachten uns in die Berge. Von dort aus ging es nach Bulgarien. Ich war damals gerade einmal elf Jahre alt. Meine Eltern kamen später nach, blieben jedoch dort, während ich mit meinem Zwillingsbruder nach Deutschland kam. Schon in Bulgarien lebten wir von unseren Eltern getrennt. Obwohl wir in derselben Stadt untergebracht waren, haben wir sie kaum gesehen. Wir lebten in einem Internat, die Eltern irgendwo außerhalb. Erst als es um die Verschickung nach Deutschland ging, habe ich Mutter und Vater getroffen.
Natürlich haben mir meine Eltern gefehlt. Aber ich war gut untergebracht und teilte das Schicksal mit vielen anderen Kindern. Das machte es leichter. Außerdem linderten das Gefühl, in Sicherheit zu leben, und die Aussicht auf eine gute Schuldbildung die Traurigkeit über die Entfernung zu den Eltern. Ich verstand, dass sie sich für unsere Verschickung entschieden, weil sie eine gute Ausbildung und eine sichere berufliche Zukunft für uns wollten. Außerdem hatten sie mich zuvor gefragt, ob ich ins Ausland gehen wollte. Mir fiel der Schritt nicht so schwer, da auch mein Bruder sowie mehrere Cousinen und Cousins nach Deutschland kamen. Dass die DDR nur Kinder und keine Erwachsenen aufnahm, war mir damals gar nicht bewusst. Und ich weiß bis heute nicht, warum.
In Deutschland angekommen dauerte es eine ganze Weile, bis ich endlich Briefkontakt zu meinen Eltern in Bulgarien bekam. Viele Eltern wussten teilweise gar nicht, wo sich ihre Kinder befanden. Die Kontaktaufnahme verlief umständlich und aufwendig. Unsere Porträtfotos wurden an zentrale Stellen geschickt, wo sich die Eltern informieren konnten. Wenn sie auf den Fotos ihre Kinder erkannten, wussten sie zumindest, wo diese sich befanden.
Nachdem meine Eltern erfahren hatten, dass wir in Radebeul untergebracht waren, zogen sie von Bulgarien nach Zgorzelec in Polen, um wenigstens in meiner mittelbaren Nähe zu sein. Damit waren wir zwar immer noch getrennt, aber die Distanz war nicht mehr ganz so groß. Außerdem war ich es wie die anderen Kinder inzwischen gewohnt, getrennt von den Eltern zu sein. Das Leben im Internat gefiel mir, und der Unterricht in der Schule machte mir Spaß, auch wenn uns am Anfang die deutsche Sprache mächtig zu schaffen machte. Aber als Kind lernt man schnell, zudem hatten wir sehr gute, aufmerksame Lehrer. Auch der Kontakt zu unseren deutschen Mitschülern half mir, schnell Deutsch zu lernen und mich in das Leben in der neuen Umgebung zu integrieren.
Mir war eigentlich von Anfang an klar, dass wir hier in Deutschland bleiben würden. Wo sollten wir denn auch hin? Inzwischen hatte ich viele Freundschaften geschlossen. Auch meine berufliche Entwicklung war vorangeschritten. Nach der Oberschule erhielt ich eine medizinisch-technische Ausbildung im Friesenstädter Krankenhaus in Dresden, wo ich ein Jahr als Laborantin arbeitete. Danach ging ich zum Medizinstudium nach Leipzig, wo ich meinen späteren Ehemann kennenlernte.
Auszug aus unserer zweisprachigen (deutsch/griechisch) Neuerscheinung „Zwischen Heimat und Fremde“.