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Keine Angst vor Morpheus!

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Foto (© GZwa): Blühender borstiger Mohn. Foto (© GZwa): Blühender borstiger Mohn.

Rote Mohnfelder zwischen den dunklen Stämmen der Olivenbäume, das blaue Meer in der Ferne – das ist für viele „Nordländer“ der Inbegriff des frühlingshaften mediterranen Südens. Griechische Landfrauen denken pragmatischer. Für sie gehört der Anblick zum Alltag und der Klatschmohn (Papaver rhoeas) zur Chortopita, jener schmackhaften Wildgemüse-Pita, die im Frühjahr gefüllt wird mit Mohn- und Malvenblättern, mit Fenchelgrün, Sauerampfer, Brennnessel, Zirmet und allerlei Anderem.

So beliebt der Klatschmohn in der Pita ist, so gemieden die Mohnsamen im Mohnkuchen. Hat man sich dann extra aus dem Heimatland Mohn mitgebracht, um seinem Ehemann den Lieblingskuchen am Geburtstag zu backen, dann wird er von den eingeladenen griechischen Gästen nicht angerührt. Gefährlich, verboten, macht süchtig, heißt es, als wären die kleinen schwarzen Körnlein das reinste Gift! Was hat es auf sich mit dieser Angst? Was steckt dahinter? Die winzigen schwarzen Mohnkörnchen im Kuchen oder auf den Mohnbrötchen stammen tatsächlich von einer Giftpflanze, dem Schlafmohn. Es sind seine ausgereiften Samen. Schlafmohn, das klingt wie ein Zauberwort, Papaver somniferum, der „Schlaf bringende Mohn“, aus dem das Opium, eines der ältesten Rauschmittel, gewonnen wird. Als Opium bezeichnet man den milchigen weißen Saft aus der unreifen Fruchtkapsel. Allgemein siedelt man die Heimat des Schlafmohns gedanklich im Fernen Osten an, dort wo die Sonne aufgeht. Doch die am weitesten zurückreichenden steinzeitlichen Funde liegen weit entfernt davon, nämlich bei uns im Okzident! Sie stammen aus den Pfahlbauten am Bodensee. Als „Pflanze des Glücks“ wurde er dann erstmals schriftlich 3000 v. Chr. erwähnt und erschien immer häufiger in den nachfolgenden Jahrhunderten und, man kann schon sagen: Jahrtausenden, in Literatur, Kultur und Kunst.

Saft aus den Tränen der Aphrodite

Die Mohnpflanze war vielen Göttern und Göttinnen heilig, so z. B. dem Gott des Schlafes Hypnos, und seinem Sohn Morpheus, dem Gott der Träume, denn der Milchsaft bringt bekanntlich nicht nur Schlaf, sondern auch Träume … Bei Ovid wurde der weiße milchige Saft als „Saft vom Kraut des Vergessens“ bezeichnet. Er entstand aus den Tränen Aphrodites, tröstend und berauschend. So bediente sich dem Mythos nach die Fruchtbarkeitsgöttin Demeter seiner, um sich über den Raub ihrer Tochter Persephone in die Unterwelt hinwegzutrösten. Demeter, betäubt und berauscht, vergaß ihre Aufgaben und die Menschen mussten hungern. Gleichzeitig galten die reifen Mohnkapseln als Symbol für Fruchtbarkeit, Wohlstand und Reichtum, abgebildet sogar mit Athene auf einer Münze, 400 v. Chr. Von der der Antike an wird Schlafmohn im Mittelmeerraum zu Heilzwecken und als Rauschmittel angebaut. Seit Hippokrates war das Opium als ein mit Vorsicht zu verwendendes Beruhigungs- und Betäubungsmittel im Gebrauch. Das Mittelalter hindurch bis zur Neuzeit galt es mal als „göttliches Medikament“, mal als Universalheilmittel, mal als „Holder Schlummersaft“ bei Goethes Faust, mal als absolut wirkungsvolle Mixtur in Wein mit Zimt und Nelkenpulver angesetzt. Ein recht lockerer Umgang mit Opium als Rauschmittel herrschte auch noch in den 20er Jahren unseres letzten Jahrhunderts. Opium- Pfeifen waren in feinsten Kreisen üblich. Drastische Verbote folgten. Drogenmissbrauchsgesetze entstanden.

20.000 Kapseln für ein Kilo Mohn

Dennoch wurden weiterhin auf dem Lande in manchen Gegenden – nicht zuletzt auch in Griechenland – bedenkenlos die Mohnkapseln als Schnuller-Einschlafhilfen für Babys und Kleinkinder benutzt. Eine Kapsel in Honig getaucht und in den Mund gesteckt, so dass die Kleinen daran lutschen und saugen konnten, ließ nicht lange auf seine Wirkung warten. Sie wurden ruhig und schliefen ein. Die Folgen von wiederholtem, häufigerem Gebrauch konnten verheerend sein. Vergiftungen bis hin zu Debilität, sogar mit Todesfällen, wurden bekannt. Die Gefahren des Schlafmohns sind nicht zu übersehen. Die Bedenken und die Angst werden also verständlicher. Ein großer, bedeutender Schritt in der Geschichte der Medizin und Pharmakologie war die Entdeckung der über 40 verschiedenen Alkaloide, die sich im Opium befinden. So konnte 1805 ein deutscher Apotheker erstmals Morphin als reinen Wirkstoff daraus isolieren. Es folgten u.a. Codein und Papaverin, alle mit unterschiedlichen Wirkungen, wie schmerzstillend, beruhigend, entkrampfend usw. Schlafmohn gehört heute zu den wichtigsten Arzneidrogen, verwendet bei der Schmerztherapie, als Sedativum oder Narkotikum, als Hustenmittel oder bei Impotenz. Auch homöopathische Zubereitungen des Schlafmohns gibt es. Es besteht keine Gefahr der Abhängigkeit. Der legale, beschränkte Anbau des Schlafmohns zur Gewinnung des Opiums ist streng kontrolliert. Er findet hauptsächlich in östlichen Ländern statt, wie z. B. in der Türkei, im Iran, in Indien. Die rundlich, bauchige Kapsel wird dabei angeritzt, der Milchsaft tritt in Tränenform aus und wird beim Trocknen an der Kapsel bräunlich. Um 1 kg Opium zu ernten, müssen zirka 20.000 Kapseln angeschnitten werden. In Handarbeit! Trotz aller Kontrollen gibt es dennoch die massenhafte illegale Heroinherstellung. Reife Samen sind ungiftig. Aus ihnen wird ein fettes Öl gewonnen oder sie kommen als Backzutat in den Handel. Hierfür findet der Anbau weltweit statt. Obwohl es Schlafmohn, rosa, lila oder weißlich blühend, nur als Kulturpflanze gibt, ist er ab und zu ausgewildert zu finden. Auf Grund seiner unzähligen winzigen schwarzen Samen vermehrt er sich schnell. Schlafmohnpflanzen brauchen Wärme und einen kalkhaltigen, nährstoffreichen Boden. Taucht er zufällig mal im eigenen Garten auf – Privatanbau verboten! – so ist es gut, eine Geschichte über seine Herkunft erzählen zu können.

Irgendwann greifen die Griechen zu

Häufig trifft man in Griechenland den „Borstigen Mohn“ an, Papaver setigerum, der als Stammpflanze des Schlafmohns gilt. Man kann ihn leicht an seinen borstigen Haaren erkennen, wie sein botanischer Name aus dem Lateinischen sagt: setiger = Borsten, Wildschwein. Er hat, wie der Schlafmohn grünliche, blaugraue, etwas fleischige Blätter, eine rosa Blüte und Milchsaft in der unreifen Kapsel. Man sollte ihn tunlichst nicht für die Pita verwenden. Die ganze Pflanze enthält, wie der Schlafmohn, Giftstoffe. Zum Glück ist er deutlich zu unterscheiden vom Klatschmohn, dessen Blätter dunkelgrün sind. Auch hat die Samenkapsel des Klatschmohns keinen Milchsaft, und seine Samen kann man nicht als Gewürz oder als Backzutat verwenden. Für den Mohnkuchen, den Dresdner Mohnstollen, für die Mohnbrötchen und für die Mohn-Butter-Soße zu den Dampfnudeln aus Hefeteig werden nur die reifen, schwarzen Samen des Schlafmohns verwendet. Manchmal wird bei Gesundheitsbehörden von vereinzelt möglichen Rest-Alkaloidspuren gesprochen. Aber man braucht sich nicht verunsichern zu lassen. Mohnkuchen kann bei normalen Konsummengen bedenkenlos verzehrt werden. Und wer nascht schon einen ganzen Kuchen auf einmal? Inzwischen kann man auch in Griechenland in bestimmten Läden Mohnsamen erhalten. Sie werden langsam als Backgewürz bekannter. Auch fertige Backware gibt es z. B. „beim Polen“. Die Angst wird schwinden durch das Wissen um die Harmlosigkeit des Mohns. Mohnkuchen wird also weiterhin zum Geburtstag gebacken und auch den griechischen Gästen angeboten. Irgendwann werden sie schon zugreifen und sich ein Stückchen schmecken lassen.

(Griechenland Zeitung / Waltraud H. Alberti)

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