Ein sehr weit verbreitetes Bildmotiv der orthodoxen Ikonenmalerei zeigt einen frontal stehenden oder thronenden Christus, der von zwei Personen, nämlich seiner Mutter Maria sowie Johannes dem Täufer flankiert wird. Dabei hält Christus normalerweise ein Buch in der Linken und schaut mit segnender Geste dem Betrachter entgegen, während sich die beiden anderen zu ihm hinwenden und ihre Hände in seine Richtung erheben. Das Motiv geht weit ins byzantinische Mittelalter zurück und ist spätestens seit dem 10. Jahrhundert als feste Bildformel nachgewiesen.
In den Berichten über das Leben Jesu hat die Darstellung freilich keinerlei Entsprechung, und tatsächlich ist sie auch nicht etwa als erzählerisches Abbild eines konkreten historischen Geschehens zu deuten. Visualisiert wird vielmehr ein wichtiger Aspekt der theologischen Lehre hinsichtlich der herausragenden Bedeutung von Maria und Johannes. Sie treten hier nämlich vor Christus hin, um bei ihm für die Errettung der Menschen zu bitten. Die entsprechenden Ikonen vermitteln den Gläubigen ganz unmittelbar die Gewissheit um diesen Beistand der beiden prominenten Fürsprecher. Bezeichnet werden solche Darstellungen gemeinhin als „Deesis“, womit deutlich Bezug auf ihren Aussagegehalt genommen wird (gr. δέησις, dt. etwa „Gebet, Bitte“). Im Griechischen ist darüber hinaus häufig auch von Trimorpho (Τρίμορφο) die Rede, was wiederum die Dreizahl der Protagonisten betont (μορφή / morphi, dt. „Gestalt“). Bisweilen wird die Gruppe von Jesus, Maria und Johannes auch um zusätzliche Personen erweitert; in solchen Fällen spricht man dann von einer „Großen Deesis“.
Jens Rohmann