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Im Urlaub beim Ausbruch der Zypernkrise 1974 in Griechenland

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Unser Archivfoto © Elisa Hübel wurde in Thessaloniki gemacht. Unser Archivfoto © Elisa Hübel wurde in Thessaloniki gemacht.
Wo gestern noch Panigyri, das Kirchweihfest der griechisch orthodoxen Christen fröhlich und lautstark gefeiert wurde, verharrten auf dem Platz vor der Kirche nun weinende Frauen. Wir standen ratlos unweit daneben und ich sah zu meinen Füßen die im Sand verbliebenen Abdrücke der Tanzenden vom vergangenen Abend. Männer kamen hinzu und wickelten Gewehre aus und versuchten den Schaft wieder funktionsfähig zu machen. Es waren Waffen, die seit Beendigung des Bürgerkrieges 1949 illegal in Verstecken lagerten. So ist jene dramatische Zeit im Juli 1974 mit dem Beginn der Zypernkrise in meinem Gedächtnis geblieben.
 
Die Planung für unseren Griechenlandaufenthalt bahnte sich Monate vorher an. Ein befreundetes griechisches Ehepaar bot uns an bei ihnen Urlaub zu machen, wenn wir sie in unserem Kleinbus mitnähmen. Drei Wochen unbeschwerte Zeit im Land der Hellenen mit seiner sonnigen Wetterbeständigkeit, antiken Zeugnissen und modernen Geschäftigkeit stand uns bevor. Die Abreise  geschah am frühen Morgen des 5. Juli, denn am 7. Juli wollten wir das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft sehen.  Die Landschafts- und Lebensformen ließen uns auf der Fahrt durch Jugoslawien in unbekannte Welten blicken. Mais- und Kürbisfelder, soweit das Auge reichte, dazwischen Schweineherden von beträchtlicher Größe und Zigeunerlager mit meterlangen, eisernen Kochstellen unter freiem Himmel für mehrere hundert Menschen.  Phantastisch und romantisch fanden wir den Vielvölkerstaat. Je näher wir der griechischen Grenzstation Evzoni kamen, umso erregter wurden unsere griechischen Freunde, Töchter und Oma, die vom Heimweh getrieben und mit viel Geschenken ausgestattet der Ankunft in der Heimat entgegenfieberten. Nach Ausflügen rund um Thessaloniki und Baden im Meer vergingen die ersten Tage recht schnell. Die Einladung eines Freundes unserer Gastgeber, einem Rechtsanwalt, folgten wir gern. Am Weißen Turm, dem Wahrzeichen der Stadt, gab es mediterrane, lukullische Köstlichkeiten. Bei leiser landestypischer Hintergrundmusik flüsterte der Grieche „packt eure Koffer und fahrt schnell weg von hier.“ Das ließen wir uns zweimal übersetzten, zu ungeheuerlich klang es. Er wisse genau, dass in dieser Woche im Land ein Putsch stattfände, was unsere Freunde nicht glaubten und wir nicht verstanden.
Die Oma sagte in einer Militärdiktatur müsse man damit rechnen, aber doch nicht jetzt.  Einen Tag später, am 15. Juli, putschte die von griechischen Offizieren befehligte und von der Regierung Griechenlands unter seinem Präsidenten Papadopoulos gesteuerte Nationalgarde gegen den Staatspräsidenten von Zypern – Bischof Makarios. Unter dem Eindruck eines  drohenden Anschlusses der von Griechen und Türken bewohnten Insel, landeten am 20. Juli 1974 türkische Truppen und besetzen den Nordosten der knapp 1.000 Quadratkilometer großen Insel im östlichem Mittelmeer“, so die Geschichtsschreibung. 
Doch davon ahnten wir am frühen Morgen des 20. Juli nichts. Wir fuhren zum Kirchweihfest in einem kleinen Ort in unmittelbarer Nähe des fast 3.000 Meter hohen Olymp, Griechenlands höchstem Berg. Im Dorf der Jaja, wie die Oma nun wieder hieß, wurden auch wir Deutsche wie gute Bekannte empfangen, was die strapaziöse Fahrt über die kaum befestigten Wege schnell vergessen ließ. Im schönsten Haus des Bergdorfes bekamen wir eine Unterkunft. Unser Gastgeber öffnete im Erdgeschoss feierlich einen verdunkelten Raum, worin Tausende von Tabakblättern fein gebündelt und übereinander gestapelt lagen. „Letztes Jahr war es mir politisch zu unruhig, daher verkaufe ich erst jetzt“, erzählte der alte Herr. Noch schienen die Ereignisse der letzten Tage nicht an die Öffentlichkeit gedrungen zu sein. Die Gastfreundlichkeit verlangte, dass auch wir mit am langen Tisch der großen Familie unten im Dorf vor der Kirche saßen und an Stangen gegrillte Hühner mitaßen. Die Musikkapelle spielte laut und immerfort, dazu standen nacheinander die Gäste an den blanken Holztischen auf und tanzten den Sirtos, einen schleppähnlichen Tanz. Die Musiker spielten nichts von Theodorakis oder Chadzidakis, sondern jene alte Weisen, die vierhundert Jahre Türkenherrschaft überstanden hatten. Unsere Freunde waren glücklich, fast entrückt der deutschen arbeitssamen Wirklichkeit.
Erst spät löste sich das Fest auf. Am nächsten Morgen, dem 21. Juli, unter einer mit blauen Weintrauben umwachsenden Pergola servierte man Pita, frisch gebacken und mit Kürbismus gefüllt. Alles schien köstlich an diesem Ort zu sein. 
Das anhaltende Läuten der Kirchglocken auf dem Weg ins Dorf hinein beunruhigte uns. Die weinenden Frauen und die verängstigten Kinder und die Mienen der Männer mit ihren aus Verstecken geholten Gewehren ließen uns Schlimmes ahnen, und wir verließen schnell das Dorf. Schweigend fuhren wir die Wege hinab, wo wir gestern erwartungsvoll hinauffuhren und das jüngste der zwei griechischen Mädchen (5)  ein deutsches Lied sang: „Rote Kirschen esse ich gern, schwarze noch viel lieber“. In Katerini stieg unser Freund aus, um sich in der Kaserne zu melden. Mein Mann rief ihm noch nach: „Versuche immer als letzter in den Bus oder die Bahn zu kommen, vielleicht hast du Glück und kommst nicht mit“. In Thessaloniki warfen wir unser Gepäck in den Bus, verabschiedeten uns von der restlichen Familie, die uns bedrückt nachwinkten. Nun marschierten in Evzoni keine Gardisten mehr in der Nationaltracht herum, alles ging schnell. Ohne Proviant und Einkehrmöglichkeiten in Jugoslawien durchrasten wir dieses Land. In Ost-Tirol  besuchten wir Freunde und verbrachten dort noch eine Woche Urlaub, wenn auch nicht am blauem Meer unter Palmen. Bei der Heimkehr in unseren Eifelort hieß es sogleich, die Griechen sind auch wieder da und unser Freund berichtete, dass er überall als Letzter hingegangen und so davongekommen sei. Nach ein paar Tagen sei die Kriegsgefahr, wie ein Spuk vorüber gewesen und Zypern nun ein geteiltes Land, wie lange, das weiß keiner.
 
Von Felicitas Schulz 
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