Denkt man an Griechenland, so kommt einem Meer, Strand und Sonne in den Sinn. Ein Blick auf die Landkarte zeigt jedoch, dass Hellas ziemlich gebirgig ist – ganze 60 Prozent der Landmasse werden von Bergen bedeckt. Wintersportorte sind daher keine Seltenheit im Land an den Küsten der Ägäis. Wir besuchten Elatochori.
Nur 36 Kilometer von der im Flachland gelegenen nordgriechischen Stadt Katerini entfernt schmiegt sich das Skigebiet von Elatochori an den Nordosthang des Gipfels des Arvanitis-Berges – eine der höchsten Erhebungen des mehr als 2.000 Meter aufragenden Pieria-Gebirges. Die kurvige Straße führt zunächst bergan durch eine Hügellandschaft, ab dem Dorf Elatochori geht es dann in Serpentinen die letzten Kilometer hinauf bis zum Ziel auf etwa 1.400 Meter. Obwohl es noch früh ist, sind die Parkplätze bereits voll, und ich muss mich mit einer improvisierten Alternative am Straßenrand begnügen.
Gemütliche Atmosphäre
Im Pistenbüro, in dem auch eine Ambulanz untergebracht ist, die während der gesamten Saison die medizinische Versorgung sicherstellt, frage ich nach Kostas Gklaras, mit dem ich verabredet bin. Kostas ist ehemaliger Bürgermeister, Mitgründer des Skigebietes und Vorsitzender der Betreibergesellschaft. „Kostas hat etwas Verspätung“, antwortet der Arzt der Ambulanz auf Deutsch. Mit bleibt also noch etwas Zeit. Der Wetterbericht sagt für den späten Vormittag starke Bewölkung und Schneefall voraus, also nutze ich die Sonne, solange sie noch scheint, um zu fotografieren. Gleich vorab: Man sollte in Elatochori kein hochalpines Ambiente erwarten. Man findet hier aber ein kleines, gemütliches Skiresort, das alles bietet, was man braucht um einige schöne Tage zu verbringen.
Kostas Gklaras
Kleine Weltmeister
Direkt vor dem Büro tummelt sich der Nachwuchs. Stolze Eltern helfen beim Anlegen der Ausrüstung, viele Kinder fahren mit Helm. Die Akrobatik der Zwerge kann ich nur bewundern: Irgendwie halten sie die Skier in Zaum, der Körper gerät gefährlich in Rückenlage, aber im Endeffekt funktioniert alles. Was bei einem Erwachsenen zum Sturz führen würde, schaffen die Kleinen problemlos und kurven sicher den Hang hinunter. Und wie kleine Entchen auf Brettern folgt eine andere Gruppe halbwüchsiger Anfänger erfolgreich ihrem Skilehrer auf dem sanft geneigten Hang. Ihre orangen Signalwesten fordern zum Abstandhalten auf.
Großes Gejauchze herrscht gegenüber auf dem „Schlittenberg“. Während Väter mit ihren Sprösslingen den Hügel heruntergleiten, filmen chic gekleidete Mütter das Treiben. Schmunzelnd beobachte ich, wie ein Mann mühsam einen Schlitten nebst Mädchen den Hang hinaufzieht, während sich die Kleine an den Bremsen des Gefährts festhält.
Gemütliche Abfahrt
Plaudern mit dem Próedros
Inzwischen ist Dimitris Gklaras eingetroffen, der Sohn meines Gastgebers. Jung, sportlich, gut aussehend. Wir philosophieren über die Bemühungen der griechischen Fremdenverkehrsindustrie, einen Ganzjahrestourismus zu etablieren. Und in der Tat: Wer nicht unbedingt im Sommer kommen muss, hat im Winter oder in der Nebensaison mehr von Griechenland. Keine große Hitze, kein Gedränge, fast leere Museen und Ausgrabungsstätten sowie entspanntes Personal. Und Schnee, wenn man denn will. Schließlich erscheint auch Kostas Gklaras, und sein Filius räumt den Stuhl für seinen Vater – den „Próedros“, den Präsidenten, wie er ihn respektvoll nennt. Kostas ist schon etwas älter, groß und immer noch gut aussehend. Er ist aufgeschlossen und freundlich, und im Laufe des Gesprächs vermittelt er mir, dass er genau weiß, was er will. „Anfang der 1980er Jahre kam die Idee auf, hier ein Skigebiet einzurichten“, erzählt Kostas. „Die Diskussionen, Machbarkeitsstudien, Anträge und die Bautätigkeit beanspruchten rund 20 Jahre. Im Jahr 2000 haben wir die ersten Pisten für das Publikum öffnen können. Später haben wir die Anlage sukzessive erweitert.“ Im Laufe der Zeit sei im oberen Abschnitt noch ein Schlepplift und der zweite Babylift gebaut worden. Für Snowboarder, aber auch Skifahrer, sei dann noch der sogenannte Fun Park hinzugekommen. Derzeit gebe es, so der Ex-Bürgermeister, Überlegungen, das Resort in Richtung Gipfel zu erweitern. „Wir beschäftigen 30 Mitarbeiter“, sagt Kostas nicht ohne Stolz, „und in den Skihütten, dem Skiverleih usw. kommen noch einmal 70 weitere Personen hinzu.“ Und vom Skigebiet würden darüber hinaus Hotels, Pensionen und Restaurants profitieren.
Pisten für jeden Geschmack
Der Sessellift beginnt bei einer Seehöhe von 1.410 Metern, der eine der beiden Schlepplifte, der am weitesten nach oben führt, endet auf 1.974 Metern. Damit werden Ski- und Snowboardfahrer zu den Pisten gebracht. Für die kleinen Sportsfreunde und -freundinnen stehen zwei Babylifte zur Verfügung. Der Sessellift kann 1.200 Personen pro Stunde befördern. Die gesamte Ausrüstung, wie Lifte, Pistenbullys usw., holte man sich in Elatochori aus Österreich und Italien. Die Abfahrten in diesem griechischen Wintersportzentrum bieten für jeden etwas – dafür sorgen die Schwierigkeitsgrade „Blau, Rot und Schwarz“. Da die schwierigen Abfahrten nicht jedermanns Sache sind, kann man sie auf Ziehwegen umfahren. So ist sichergestellt, dass das gesamte Gebiet für Anfänger geeignet ist. Die Pisten werden natürlich täglich präpariert. Für Essen und Trinken ist auch gesorgt: Eine große Skihütte lädt zu Pausen oder zum Apès Ski ein. Bei gutem Wetter ist die Sonnenterrasse ein Besuchermagnet. Auf 1.700 Metern, der Endstation des Sessellifts, können die Gäste dann noch in einer kleineren Hütte einkehren. Die Saison beginnt gewöhnlich an Weihnachten und endet Ende März, bei günstigen Bedingungen auch erst Mitte April. Am meisten Betrieb ist logischerweise an den Wochenenden. Kostas erzählt, dass dann manchmal mehr als 5.000 Winterbegeisterte anreisen. „Unsere Besucher“, fährt mein Gastegeber fort, „kommen aus ganz Griechenland, einige inzwischen auch aus dem Ausland. Um ihren Skiurlaub abwechslungsreicher zu gestalten, kombinieren manche den Besuch mehrerer benachbarter Skigebiete mit dem unseren. Die Skipisten von Seli und Tria-Pente Pigadia sind ja nicht weit entfernt.“
Piste mit Blick ins Tal aus fast 2.000 Metern Seehöhe
Vom Olymp zur Ägäis
Während wir uns unterhalten, erfüllt sich die Prophezeiung des Wetterberichts: Dunkle Wolken schieben sich nach und nach vor die Sonne. Ich möchte oben im Skigebiet noch fotografieren, kann aber wegen eines nicht komplett verheilten Bänderrisses nicht Ski fahren. „Kein Problem“, meint Dimitris, „nehmen wir das Schneemobil“. Ich hatte das geheimnisvolle Fahrzeug schon vor der Tür stehen sehen. Etwas unsicher stimme ich zu. Die Mütze in die Stirn gezogen, die Kamera ordentlich umgehängt steige ich auf. „Es fährt wie ein Motorrad“ erklärt Dimitris. „Damit wir nicht umkippen, müssen wir uns in die Kurven legen“. Meine Zuversicht steigt, damit kenne ich mich aus. Die Kraft des Vehikels ist erstaunlich. Als wir die schwarze Piste hochbrettern, gibt Dimitris mehr Gas und das Schneemobil beschleunigt nochmal ordentlich. An verschiedenen Stellen halten wir an. Dimitris erklärt mir die alles, und ich mache Fotos. Oben angekommen zeigt er zum Nachbargebirge, zum Olymp. Die Sonne leuchtet noch einmal kurz und die mächtigen Gipfel glänzen in der Sonne. Dimitris dreht sich etwas und zeigt auf das ägäische Meer, dessen Wellen in der Sonne glitzern. „So etwas findest du in Österreich nicht, das findest du nur hier“, sagt er.
Die Wolken verdecken jetzt die Sonne, es beginnt zu schneien. „Gut für euch“, sage ich. Er lächelt nur und startet das Schneemobil.
Dimitris auf seinem Pistenbully
Text und Fotos von Jürgen Weidner
Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 862 am 22. Februar 2023.