Auf Naxos, der größten Insel der Kykladen, und auf ihren vier bewohnten Trabanten, den Kleinen Kykladen, spielen zwei besonders gute Griechenland-Romane und eine sehr aufschlussreiche Biographie. Allen Titeln zu diesen Inseln gelingt es, das Flair der jeweiligen Schauplätze bildhaft einzufangen und ein Psychogramm ihrer Bewohner zu zeichnen.
Die deutsche Autorin Bertina Henrichs, die Die Schachspielerin 2005 auf Französisch erstmals veröffentlicht hat, erzählt die Geschichte eines Zimmermädchens aus der Chora von Naxos, die mit einem Automechaniker verheiratet ist und zwei Kinder im Teenager-Alter hat. Ihr einfaches Leben geht seinen gewohnheitsmäßigen Gang, bis sie im Zimmer eines französischen Ehepaars ein Schachspiel entdeckt. Solch ein Spiel will sie ihrem Mann zum Geburtstag schenken. Ihr alter Lehrer hilft ihr bei der Beschaffung, besorgt aus Athen ein Spielbrett samt Figuren, auf dem sie gegen einen Automaten spielen kann. Der beschenkte Gatte zeigt keinerlei Interesse, sie aber ist fasziniert. Nach anfänglichen Selbstversuchen gewinnt sie ihren alten Lehrer als Spielpartner und Gegner. Fortan treffen sie sich regelmäßig heimlich in seinem Haus im Bergdorf Chalki. Gegen alle Widerstände erlernt sie das Spiel so gut, dass sie am Ende erstmals in ihrem Leben allein nach Athen reist und dort an einem Schachturnier im Edelviertel Kolonaki teilnimmt.
Das Wahrzeichen von Naxos_Ein antikes Tempeltor
Sympathische Figuren
In feinen Strichen wird in diesem Roman der Weg einer schlichten, in Konventionen verhafteten Frau zur Selbstverwirklichung nachgezeichnet. Was sehr gut herüberkommt, ist die Beengtheit des Lebens auf einer kleinen ägäischen Insel, auf der Jede(r) über Jede(n) Bescheid weiß, jede Abweichung von Normen auffällig ist und verspottet wird. Und auch die mangelnde formale Bildung vieler Insulaner wird deutlich. Trotzdem bleiben alle Figuren irgendwie sympathisch, sodass dieser Roman eins der seltenen Bücher ist, das ganz ohne Bösewichter auskommt. Es hat nur einen einzigen kleinen Makel, der mir als Küstenbewohner und ägäischer Seefahrer natürlich übel aufgestoßen ist: Die Übersetzerin spricht von Stockwerken statt Decks an Bord von Schiffen.
Schicksal auf Naxos
Noch intensiver als durch die Schachspielerin taucht man ins Leben einfacher Naxioten ein, wenn man Zwei Türen hat das Leben von Astrid Scharlau liest. Die in Münster geborene Biologin lebt seit über 20 Jahren mit ihrem naxiotischem Mann und ihren vier Kindern auf der Insel. In ihrem 316 Seiten starken Buch erzählt sie die Lebensgeschichte ihres 1917 geborenen und 2007 gestorbenen Schwiegervaters in elf Kapiteln. Sehr lebendig und anschaulich erzählt er von seinem Hirtenleben als Junge, von seiner Soldatenzeit im Zweiten Weltkrieg, vom Bürgerkrieg und der Junta-Zeit. Die griechische Gewitztheit des Schwiegervaters und der gute Schreibstil der Autorin machen das Buch trotz aller Widrigkeiten der Zeiten, von denen es erzählt, zu einem großen Lesevergnügen. Wer eine Fortsetzung sucht, mietet eins der vier Ferienhäuser (azalas.de) der Autorin in einer einsamen Gegend auf Naxos. Da erzählt Astrid Scharlau gern ihren Gästen von sich und ihren Erlebnissen auf der Insel.
Vier Inseln mit langer Geschichte
Im Norden und Osten von Naxos liegen vier bewohnte Inselchen, die man auch zusammenfassend die Erimonissia (Einsame Inseln) oder die Kleinen Kykladen nennt. Alle vier zusammen brachten sie es bei der letzten Volkszählung 2011 auf gerade einmal 600 dort gemeldete Einwohner. Wirklich einsam sind sie nur noch im Winterhalbjahr; im Hochsommer strömen massenweise Individualreisende dorthin. Diese Eilande zwischen Naxos und Amorgos bieten nicht nur schöne Strandbuchten und gute Wandermöglichkeiten, sondern blicken auch auf eine ruhmreiche Geschichte zurück: Von ihnen stammen auch die meisten der berühmten, so modern anmutenden Kykladenidole, die schon vor über 4000 Jahren geschaffen wurden.
Der Krimi Griechisches Geheimnis der Münchner Deutschgriechin Stella Bettermann nimmt die Leserschaft von Athen über Naxos bis nach Schinoussa und Iraklia mit. Handwerklich ist er ausgezeichnet, die Handlung ist spannend und schreitet schnell voran. Der Münchner Kommissar Nick Zakos und sein urbayerischer Kollege Ali sind sympathische Typen. Nick bekommt während der Taufe seines Sohns einen Anruf von seinem Vater aus Athen: Seine Stiefmutter sitzt unter Mordverdacht in Untersuchungshaft. Die Anwältin soll einen Staatsanwalt getötet haben. Nick ermittelt nun privat in Griechenland, unterstützt von seinem Kollegen Ali und einer Journalistin der Zeitung Kathimerini. Die Bösen in dieser Geschichte sind die Mitglieder einer reichen Reederfamilie, die allerlei auf dem Kerbholz haben. Weil ich die meisten Schauplätze der Geschichte persönlich kenne, kamen während der Lektüre viele angenehme Erinnerungen auf, standen mir Bilder vor Augen. Ich fragte mich allerdings, ob die Orts- und Tavernenbeschreibungen markant genug sind, den gleichen Effekt bei Nicht-Inselkundigen zu erzielen. Insgesamt aber lohnt sich die Lektüre für jeden Krimi-Freund.
Diese Taverne kommt im Krimi von Stella Bettermann vor
Wer schon auf Koufonissi war, wird bei der Lektüre des Romans Im Sternbild der Kykladen des zyprischen Autors Emilios Solomou Vieles wiedererkennen. Und auch wer die Insel noch nicht besucht hat, wird sich ihre Landschaft und Natur beim Wandern über das Eiland mit dem Archäologen Jorgos Doukarelis gut vorstellen können. Als junger, schon verheirateter Wissenschaftler hat er auf Koufonissi eine Ausgrabung leiten dürfen. Ihm gelang ein Sensationsfund: das Skelett einer schwangeren, ganz offensichtlich ermordeten jungen Frau aus prähistorischer Zeit. Doch nicht nur das hat sein Leben verändert, sondern auch die Affäre mit einer an den Ausgrabungen mitwirkenden Studentin. Diese „Koordinaten eines Ehebruchs“ sind die Hauptthematik dieses vielschichtigen Romans von hoher literarischer Qualität, der auch noch auf weiteren Zeitebenen spielt: Über 20 Jahre nach dem Ehebruch kehrt Jorgos Doukarelis nach Koufonissi zurück, erinnert sich an jenes folgenreiche Jahr und webt zudem ein Bild von den Lebensumständen jener vor 5000 Jahren hier Ermordeten und ihrer Mitmenschen. Zugleich erfährt er hier von einem erst wenige Monate zurückliegenden Mord, der ihn ganz persönlich hart trifft. Die gesamte Geschichte ist weitgehend schnörkellos, aber durchaus kunstvoll erzählt, hängt nie durch, ist trotz langsam fortschreitender Handlung äußerst spannend. Nicht umsonst ist das Werk mit dem Literaturpreis der Europäischen Union 2013 ausgezeichnet worden.
P.S.: Wer Griechenland etwas besser kennt, wird an diesem Buch auch die bissige Kritik an der archäologischen Bürokratie des Landes goutieren.
Die Perle der Kleinen Kykladen
Der vierten der Kleinen Kykladen hat schließlich der Braunschweiger Architekt Christian Wiethüchter, der die Insel in den ersten neun Jahren unseres Jahrtausends zehnmal besuchte, sein Reisetagebuch Donoussa gewidmet. Auf den 272 Seiten seines 2017 erschienenen Werks sind auch zahlreiche Farbfotos und Zeichnungen des Autors zu finden. Es dürfte vor allem Liebhabern der Insel gefallen und denen, die unbedingt bald einmal selbst dorthin reisen wollen.
Bye Bye Schinoussa!
(Griechenland Zeitung / Klaus Bötig)