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„Schönes Griechenland“ auf einer Insel

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Foto (© Christiane Bötig): Antikes Highlight - das Asklipieion. Foto (© Christiane Bötig): Antikes Highlight - das Asklipieion.

Die Insel Kos lebt vom Massentourismus. Eingefleischte Griechenlandfans nutzen zwar ihre guten Flugverbindungen, steigen aber schnellstens aufs Schiff, um auf kleinere Inseln weiter zu fahren.

Kos zu boykottieren, ist jedoch ein Fehler. Zwar buchen hier über drei Viertel aller Urlauber all-inclusive oder zumindest Halbpension. Zwar zählt das 50 Kilometer lange Eiland dicht vor der kleinasiatischen Küste dreimal mehr Fremdenbetten als Einheimische – doch trotz alledem gibt es noch viele Kilometer unverbauter, oft menschenarmer Strände ohne Liegestuhlvermieter und Tavernen, stille Orte und vor allem viele liebenswerte Menschen. Hotelklötze fehlen völlig, die großen Ferienanlagen sind weitläufig und recht harmonisch in die Umgebung eingepasst. Es lohnt sich also, die Insel zumindest einmal zwei volle Tage lang zu beschnuppern. Einen Tag könnte man der Inselhauptstadt mit ihren vielen archäologischen Stätten, Moscheen und romantisierenden Bauten aus italienischer Besatzungszeit widmen. Den zweiten könnte man dann stillen Orten, netten Menschen und etwas Schlemmerei widmen, Baden vielleicht auch noch inbegriffen.

Puzzle aus 2400 Jahren

Wir wohnen in einem kleinen 20-Zimmer-Hotel in der Neustadt, nur 500 Meter vom Stadtzentrum entfernt. Da sind wir mittendrin in koischem Familienleben. Die kleine Lobby ist zugleich das Wohnzimmer der Hoteliersfamilie. Im Laufe der zwei Tage lernen wir den Bruder des Besitzers, seine Frau, seine Tochter, seinen Schwiegersohn und seine Enkel kennen, genießen auf der kleinen Terrasse mit duftendem Jasmin unser Frühstück à la carte mit hausgemachten Marmeladen, kommen mit anderen Gästen ins Gespräch. Dann machen wir uns die Uferpromenade mit ihrem breiten Radweg entlang auf ins historische Zentrum. Zunächst will uns die Kolonialarchitektur des italienischen Faschismus mit ihrer orientalischen Verspieltheit beeindrucken. Während ihrer 31-jährigen Herrschaft (1912-1943) schmückten die Gefolgsleute Benito Mussolinis die Stadt mit dem schönen Strandhotel „Albergho Gelsomino“, das seit zwei Jahren wieder geöffnet ist, und mit einem imposanten Justizpalast, in dem das Gericht noch heute tagt. Im Innenhof und in den Zellen wurden auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise viele Immigranten provisorisch untergebracht.

Grenzlinie zwischen zwei Welten

Hier beginnt die Altstadt. Der Weg steigt sanft ein paar Meter an. Links wir in einem kleinen, restaurierten Frauen-Hamam aus osmanischer Zeit (1522-1912) eine Ausstellung zur Geschichte des Badewesens in Griechenland gezeigt. Ein paar Meter weiter stützt sich die noch Blätter tragende Ruine einer uralten Platane auf ein modernes Metallgerüst und antike Stierkopfaltäre. Unter ihr soll vor rund 2400 Jahren Hippokrates seine Schüler unterrichtet haben. Kos war ja die Wirkungsstätte des berühmtesten Arztes des Altertums. Am gleichen Platz wird gerade das Minarett einer beim Erdbeben 2017 schwer beschädigten Moschee restauriert. Die Brücke hinüber zur Burg der Johanniterritter, die die Insel von 1309-1521 beherrschten, endet vor einem geschlossenen Tor: Die Burg wird wegen Sicherungsarbeiten in Folge des Erdbebens wohl noch für Jahre unzugänglich bleiben. Dann geht es auf der Grenzlinie zwischen zwei Welten entlang. Rechts der Gasse erstreckt sich das Nightlife-Viertel bis zum Meer hin, in dem in diesem Sommer fast gar nichts los war. Links der Gasse liegt etwas unterm heutigen Straßenniveau die antike Agora mit den fotogenen Resten von Tempeln, Säulenhallen und einer frühchristlichen Basilika. Bis zu einem schweren Erdbeben 1933 standen über dem weitläufigen, heute parkähnlichen Gelände die Häuser der ehemaligen Ritterstadt. Die italienischen Archäologen nutzten die Chance, ließen sie abreißen und kamen so der Antike anschaulich auf die Spur. Das schönste an dieser Agora: Wie andere archäologische Stätten in der Stadt ist sie tagsüber völlig frei zugänglich. Kein Wärter pfeift Besucher zurück, die sich neben dem Tempel der Aphrodite zu einem Nickerchen ins Gras legen oder eine antike Säulentrommel als Tisch für ein kleines Picknick benutzen.

Viele Ausgrabungen liegen frei zugänglich mitten in der Stadt
Viele Ausgrabungen liegen frei zugänglich mitten in der Stadt

Zwischen Platia und Odeon

Das durch das Erdbeben noch stützungsbedürftiger „Tor der Steuereintreiber“, an dem in osmanischer Zeit Zölle erhoben wurden, geht es nach einem kurzen Abstecher zur restaurierten Synagoge weiter auf die Platia. Für den kleinen Hunger zwischendurch serviert das kleine Kafenio „Ariston“ bis 15 Uhr leckere Bougatsa, die süße Spezialität aus dem makedonischen Serres. Ein altgriechisches Frühstück und täglich frisch gekochte oder gebackene Gerichte serviert frau im großen „Aigli“, dem Cafe-Restaurant einer lokalen Frauen-Kooperative. In ihr haben sich sozial benachteiligte Koerinnen zusammengeschlossen, die voll und ganz auf regionale Produkte setzen. Selbst die Cola stammt hier nicht von Großkonzernen, sondern aus der epirotischen Vikos-Region. Die Mandelmilch Soumada und die Zimtlimonade Kanellada sind hier ebenso auf der Karte zu finden wie Cocktails auf der Basis griechischer Spirituosen. Für das historische Puzzle-Ambiente sorgen die italienische Markthalle voller griechischer Spezialitäten, eine vom Erdbeben 2017 gezeichnete Moschee und das Archäologische Museum aus italienischer Besatzungszeit. Es birgt auf zwei Etagen vor allem Keramik und hellenistische Statuen, aber auch karbonisierte Mandeln und ein schönes Bodenmosaik. Sein Thema: Die Ankunft des Heilgottes Asklipios auf Kos und seine Begrüßung durch den Arzt Hippokrates.

Erdbebenschäden sind noch immer sichtbar
Erdbebenschäden sind noch immer sichtbar

In die Antike gebeamt

Auf dem Weg durch die – sehr touristisch geprägte – Haupteinkaufsgasse statten wir dem Juwelier Theodoros Gatzakis einen Kurzbesuch ab. Wir tragen alle Masken. Anders als sonst darf Theodoros seinen Kunden keine Getränke servieren: Er hat keinen Geschirrspüler im Geschäft, das benutzte Gläser heiß genug spülen könnte. Also gibt er all seinen Besuchern je einen Piccolo-Sekt mit auf den Weg, ob sie nun etwas bei ihm gekauft haben oder nicht. Anschließend beamen wir uns wieder in die Antike zurück. Im Bereich des „Westlichen Grabungsgebiets“ fasziniert uns das antike Nymphäum, das ein wenig an die andalusische Alhambra erinnert. Zwei gut erhaltene Bodenmosaike erzählen uns die Mythen vom Urteil des Paris und der Entführung Europas, Reste einer Wandmalerei stellen uns einen antiken Briefträger vor. Zwei weitere Highlights warten dann gleich gegenüber auf uns: Eine aufwändig restaurierte römische Villa samt mehrere Mosaike und Fresken sowie das betriebsbereite Odeon, ein kleines Freilufttheater. Da darf man sogar in die Gewölbe unterhalb der Zuschauerränge, wo wie in heutigen Foyers in der Antike auch Weinschänken für Theaterbesucher angesiedelt waren. Heute ist hier eine kleine Fotoausstellung zum Thema „Antike Theater“ zu sehen.

Juwelier Theodoros Gatzakis empfängt seine Kunden mit Mundschutz
Juwelier Theodoros Gatzakis empfängt seine Kunden mit Mundschutz.

Unterwegs auf Kos

Am zweiten Tag geht es dann mit dem Mietwagen auf zu einer komprimierten Inselrundfahrt. Zunächst steht gleich um 9 Uhr das Asklipieion auf dem Programm, die bedeutendste archäologische Stätte der Insel. Hierher kamen über Jahrhunderte hinweg Heilung Suchende aus dem ganzen Mittelmeerraum, um sich mit Hilfe des Heilgottes, seiner Priester und Ärzte therapieren zu lassen. Ruinen und wieder aufgerichtete Säulen sind in einen Pinien- und Zypressenwald eingebettet. Von drei langen, breiten Terrassen aus, die durch monumentale Freitreppen miteinander verbunden sind, schweift der Blick über die grüne Küstenebene hinaus aufs Meer und zur kleinasiatischen Küste. Auch die Nachbarinseln Pserimos und Kalymnos hat man vor Augen. Man erfühlt noch heute, dass dies eine ideale Lage für einen Kurort war. Zurück an die Nordküste: Zwischen der Stadt und Mastichari machen die langen Sandstrände deutlich, warum so viele Badeurlauber nach Kos kommen. In der „Ouzeri Periklis“ am Fährhafen von Mastichari nennen wir Wirt Periklis nur den Betrag, den wir pro Person bei ihm für Meeresfrüchte mit allem Drumherum ausgeben möchten, und lassen uns von ihm verwöhnen. Mirmizelli, die kalymnische Variante des griechischen Salats mit eingeweichtem Zwieback, kommt auf den Tisch, Seeigel und marinierte Sardellen, Miesmuscheln und Austern. Nebenbei erzählt Periklis, dass die Monate Mai und Juni, in dem noch keine ausländischen Ferienflieger auf der Insel landeten, ihm äußerst gefallen hätten. Zum ersten Mal seit vielen Jahren hätte er in diesen Monaten wieder schwimmen gehen können und in seinem großen Garten arbeiten. Da wachsen auch die Bio-Zitronen, die er äußerst großzügig zu seinen Gerichten serviert.

Typisches koisches Bauernhaus

Über das zentral gelegene Binnendorf Antimachia, wo wir uns eine restaurierte Windmühle und ein typisches koisches Bauernhaus aus der Vorkriegszeit anschauen, geht es weiter ins wahrhaft schrecklich touristische Kardamena an der Südküste und von dort gleich wieder in die Berge hinauf. Im großen Binnendorf Pyli, in dessen Nähe auch der Hotspot für Immigranten liegt, öffnet uns ein sehr alter Mann eine Kapelle, die unter Verwendung antiker Spolien direkt über einem antiken Heroon errichtet wurde. Am jahrhundertealten Dorfbrunnen von Pyli sitzen wir im Kafenio unter einer üppigen Ficus benjaminica und beobachten die Einheimischen, die aus steinernen Löwenköpfen Trinkwasser in Flaschen und Kanister abfüllen. Jetzt stehen noch zwei ganz stille Orte auf unserem Programm. Im Bergdorf Lagoudi lässt uns der Dorfpriester in seiner vollständig mit neuen Fresken ausgemalten Kirche gern fotografieren. Er spricht ein wenig Deutsch,. denn er hat einige Jahre lang in Wilhelmshaven gearbeitet. Perfekt ist dann das Deutsch der Künstlerin Christina, die gleich unterhalb der Kirche unterm Namen „I Orea Ellada – Das schöne Griechenland“ in einem ehemaligen Gutshof eine Kunstgalerie mit eigenen Werken, ein Antiquitätengeschäft, einige Apartments und ein einzigartiges Café betreibt. Wer da auf der Terrasse sitzt und auf die gleichförmigen Ferienvillensiedlungen an der gegenüberliegenden türkischen Küste hinüberschaut, versteht den Unterschied zwischen Massentourismus à la Türkei und Kos. Hier kann man Individualist bleiben, wenn man nur die ausgetretenen Pfade meidet.

Nostalgie im Weingarten

Zum Abschluss unseres kurzen Stopover auf Kos kehren wir in der Weingartentaverne „To Ambeli“ beim stadtnahen Badeort Tigaki ein. Ein Angebot wie hier haben wir noch auf keiner anderen griechischen Insel gefunden: Auf der Mezedakia-Karte stehen über 60 warme und kalte griechische Tapas zum Einheitspreis von drei Euro pro Portion. Auch ganz seltene Spezialitäten wie griechische Sülze und Lammhoden sind darunter. Bestellt man zu viert zwölf Tapas, wird man preiswert satt und hat einen kleinen Streifzug durch die griechische Küche unternommen.

Klaus Bötig

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