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Die Insel der Zwergelefanten

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Foto (© GZkb): Iridi Rock – ein Hotel voller Bougainvilleen. Foto (© GZkb): Iridi Rock – ein Hotel voller Bougainvilleen.

Tilos ist ein Inselzwerg von nur 61 Quadratkilometern Größe im südlichen Dodekanes zwischen Rhodos und Kos. Im zweiten Teil des Beitrags über das Eiland beschreibt unser Autor u. a. ein Dorf, das langsam wieder zum Leben erwacht, und besucht Sand- und Kieselstrände mit und ohne Tamarisken. Eine kurze Abhandlung über die berühmten Zwergelefanten aus uralten Zeiten darf natürlich nicht fehlen.

Auf dem Weg zum kleinen Dorf

An der Straße zum Kloster liegen drei der fünf Siedlungen der 61 Quadratkilometer kleinen Insel. Zunächst passieren wir das abseits des Asphaltbandes gelegene Mikro Chorio, das „kleine Dorf“. Schon 1967 wurde es von seinen letzten Bewohnern verlassen. Die 220 aus Naturstein erbauten, meist zweigeschossigen Häuser verfielen; die Dachziegel wurden zum Teil in Livadia wiederverwendet. Ende der 1970er Jahre musste man sich mühsam einen Weg durch dorniges Gestrüpp nach Mikro Chorio bahnen. Heute führt wieder ein leidlich gut befahrbarer Feldweg hin, einige Häuser wurden instandgesetzt und geweißelt, um sie fürs Wochenende oder die Ferien nutzen zu können. Trotzdem wird die Atmosphäre eines Geisterdorfes wohl noch lange erhalten bleiben. Aus hohlen Fensteröffnungen wachsen Öl- und Feigenbäume heraus, auf verwilderten Terrassen stehen alte Backöfen und Olivenölpressen. Etwas Leben kehrt nur im Juli und August ein, wenn in Mikro Chorio der wohl eigenartigste Club Griechenlands seine Pforten öffnet. Dann gibt es zwischen Livadia und Mikro Chorio zwischen 23 und 3 Uhr sogar einen Buspendelverkehr. Die beiden Hauptkirchen des Dorfes, Kato und Pano Panagia, sind hingegen nur an wenigen Festtagen im Jahr zu Gottesdiensten mit dem einzigen Inselpriester geöffnet. Dann kann man in der Pano Panagia Fresken aus dem Jahr 1787 betrachten, unter denen, wie in der vielbesuchten Marienkirche von Lindos auf Rhodos, auch eine Darstellung des hl. Christophoros mit Hundekopf ist. Kein Wunder: Der Maler war der gleiche Georgios von Symi. Er war anscheinend ein im südlichen Dodekanes viel gefragter Hagiograph.

Livadi von oben
Livadi von oben.

Tilos und seine Elefanten

Kurz hinter Mikro Chorio senkt sich die Inselhauptstraße in ein relativ grünes Tal hinunter. Von oben sehen wir ein kleines Regenwasser-Rückhaltebecken, das nicht nur den wenigen Bauern hier nutzt, sondern das auch für die zahlreichen Zugvögel im Winter attraktiv ist. Eine knapp zwei Kilometer lange Stichstraße führt zur Charkadio-Höhle, die Tilos 1971 zum ersten Mal in die Schlagzeilen brachte: Paläontologen entdeckten hier in über acht Meter dicken Ablagerungen vulkanischer Feinsedimente, die wahrscheinlich von einem Vulkanausbruch auf Nissyros herrühren, etwa 2.000 Knochen und Zähne verschiedener Tiere. Echsen und Fledermäuse waren ebenso darunter wie Hirsche und – als wahre Sensation – Überreste des mediterranen Zwergelefanten. Untersuchungen dieser Knochenfunde ergaben, dass die bis zu 1,80 Meter hohen zwischen etwa 45.000 und 4.000 v. Chr. auf Tilos lebten, dass die Insel damals also noch recht grün und baumreich gewesen sein muss. Ähnliche Zwergelefanten gab es zwar auch auf vielen anderen Inseln im Mittelmeer, so z. B. auf Kreta, Rhodos, Naxos und Delos, aber nirgendwo hat man Zähne und Knochen in solch großer Zahl entdeckt wie hier. Die Forschungen halten noch an. Eingeschlafen ist hingegen das Projekt eines modernen Museums nahe dem Höhleneingang. Der Bau steht, wurde auch offiziell eingeweiht, ist aber nahezu leer und nicht fürs Publikum geöffnet. Auch das moderne Amphitheater zu Füßen der Höhle verwittert vor sich hin – nur ganz gelegentlich wird es für Folklore-Events genutzt. Die Höhle selbst ist abgesperrt, für die geplante Elektrifizierung und touristische Erschließung fehlt das Geld. Fazit: Man könnte mehr daraus machen!

Kurios Die Rekonstruktion eines Zwergelefanten
Rekonstruktion eines Zwergenelefanten

Das große Dorf

Eine halbwegs gute Vorstellung von diesen prähistorischen Zwergelefanten bekommen wir schließlich doch noch in Megalo Chorio, dem Hauptdorf und Verwaltungszentrum der Insel. Eine nette Dame aus dem Gemeindebüro schließt uns den kleinen Ausstellungsraum an der Hauptstraße auf, in dem einige der Knochen- und Zahnfunde ausgestellt sind. Aus ein paar Fundstücken ist ein solcher Zwergelefant rekonstruiert – man könnte sich ihn als süßes Haustier vorstellen. Gleich oberhalb des Ausstellungsraums liegen das eigentliche Rathaus und die 1827 erbaute Erzengel-Kirche mit ihrem mit Kieselsteinen gepflasterten Hof. Oberhalb der Kirche wiederum ist noch ein kurzer Abschnitt der Stadtmauer aus hellenistischer Zeit gut erhalten. Beim weiteren Anstieg hinauf zur Kirche Panagia Theotokissas bezaubert der kykladische Charakter des Ortes mit seinen weißen Häusern, engen gewundenen Gassen und reichlich Blumenschmuck. Überragt wird Megalo Chorio vom Kastro, einer Burg aus der Johanniterzeit. Die römisch-katholischen Ritter herrschten ja zwischen 1209 und 1521 von Rhodos aus über den gesamten Dodekanes, hatten auf jeder dieser Inseln eine „Zweigniederlassung“. Von der großen Zisterne am nördlichen Dorfrand aus führt ein schmaler, abends im Sommer beleuchteter Pfad in etwa 30 bis 45 Minuten hinauf. Direkt unterhalb der Burg zeugen Ruinen von Wohnhäusern und Kapellen von einer Siedlung, die noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts bewohnt war. Innerhalb der Burgmauern steht nur die Ruine einer Erzengelkirche aus dem 16. Jahrhundert. Von den Apollon und Athena geweihten Tempeln der antiken Stadt Telos blieb nichts erhalten. In diesem antiken Telos lebte im 4. Jahrhundert v. Chr. wahrscheinlich auch die Lyrikerin Erinna, die in der Antike als geistige Verwandte der lesbischen Sappho hoch verehrt wurde.

Kykladisch anmutend Megalo Chorio
Megalo Chorio

Wo man baden kann

Von Megalo Chorio führt eine Stichstraße durch eine äußerst fruchtbare Küstenebene hinunter zum Eristos Beach. In den 1980er und 1990er Jahren wurden hier in Gewächshäusern sogar Nelken für den Export gezüchtet. Die Gastarbeiterinnen von den Philippinen, die dort arbeiteten, wurden aber wieder entlassen – angeblich, weil die Margen der Zwischenhändler auf Rhodos zu hoch und die Nelken von Tilos daher schwer verkäuflich waren. Der ein Kilometer lange und bis zu 30 Meter breite Sand-Kies-Strand von Eristos ist neben dem von Livadi der Hauptbadestrand der Insel. Landseitig wird er von vielen Tamarisken gesäumt, unter denen auch freies Zelten üblich ist. Gen Süden kann sich der Blick ungehindert in der Weite der Ägäis verlieren. Die nächste Insel gegenüber ist erst das kleine Anafi, doch das ist für einen Blickkontakt viel zu weit weg. An der Straße von Megalo Chorio zum Kloster Agios Panteleimonas liegen dann noch zwei weitere Strände. Eher dürftig ist der von Agios Antonios. Dafür sitzt man dort gut in einem Café und einer Taverne am kleinen Fischerhafen. Wer mag, kann von der Bushaltestelle aus auch auf einem markierten Pfad gut drei anstrengende Kilometer weit zum Kloster und von dort nochmals acht Kilometer zur Bushaltestelle am Eristos Beach wandern. Als einer der schönsten Inselstrände hingegen gilt der einsame Plaka Beach unterhalb der Straße zum Kloster. 300 Meter farbige Kieselsteine säumen dort die Bucht, hinter dem Strand spenden viele Bäume Schatten, unter denen im Sommer meist auch einige Griechen zelten. Viele Besucher bringen Brot mit – nicht für die Zelter, aber für die vielen Pfauen, die hier leben und ihr Rad schlagen.

Ganz im Inselsüden Der Agios Sergios Beach
Agios Sergios Beach ganz im Süden.

Neun Kilometer Einsamkeit mit Fernblick

Unsere letzte Autotour auf der Insel führt uns von Mikro Chorio aus in den Inselsüden. Über neuen Kilometer lang ist das schlaglochfreie Asphaltband, bei dem man sich fragt, wer es braucht. Im Wesentlichen hat es die EU finanziert. Nicht einmal Schafe und Ziegen nutzen es, denn deren Haltung wird des Naturschutzes wegen auf Tilos gar nicht so gern gesehen. Eigentlich ist die Straße nur für Touristen und die Müllabfuhr da, denn an ihrem Ende liegt hoch über der Ägäis die Müllkippe der Insel. Wer baden will, steigt von dieser Straße auf einem gut markierten Pfad zum etwa 150 Meter langen Sand-Kies-Strand Tholos hinab, wo man schön im Schatten von Felsen liegen kann, oder steigt auf nicht markiertem Weg zum Agios Sergios Beach hinab, der geradezu zu Robinsonaden einlädt. Die Müllkippe auf dem Trachilos am Ende der Asphaltstraße ist allerdings kein romantischer Anblick. Sie führt auch die vielen dreigliedrigen Papierkörbe an der Uferpromenade von Livadia ad absurdum, in denen Abfälle nach Müllart getrennt abgelegt werden sollen. Zum einen landen hier auch Plastik und Glas, weil deren Recycling nur auf dem Festland erfolgen könnte und der Transport dahin viel zu teuer ist – und zum anderen gibt es auch auf Tilos noch Einheimische und Gäste, die zu bequem sind, ihren Müll zu sortieren.

(Griechenland Zeitung / Klaus Bötig)

Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 690 am 28. August 2019.

 

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