Im Juli vor zwei Jahren erschütterte ein heftiges Erdbeben die Insel Kos. Zwei Menschen starben. Einige historische Gebäude sind bis heute deutlich vom Beben gekennzeichnet. Dem Tourismus schadet das nicht – er boomt weiter.
Unser Stadtrundgang gerät zur Bestandsaufnahme. Wo hat das Erdbeben, das die Insel in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 2017 erschütterte, seine Spuren hinterlassen? Auf jeden Fall an der Johanniterburg direkt am Hafen. Die ist seitdem aus Sicherheitsgründen für Besucher völlig gesperrt – und wird das wohl noch mindestens fünf Jahre bleiben –, denn von Sicherungsarbeiten sehen wir keine Spur. Auch unter der Platane des Hippokrates, unter der vor 2.400 Jahren der berühmteste Arzt der Antike gelehrt haben soll, sehen wir Trümmer. Da ist das Brunnenhaus der Hadji-Hassan-Moschee eingestürzt, hat auch die Platane selbst ein wenig in Mitleidenschaft gezogen. Zudem sind die einst im Erdgeschoss der Moschee angesiedelten Läden für immer geschlossen. Wir gehen weiter, kommen zur zentralen Platía der Stadt, dem Freiheitsplatz. Die Defterdar-Moschee dort hat noch stärker gelitten. Ihr Minarett stürzte ein und musste völlig abgetragen werden. Der Betsaal im Obergeschoss, der gerade erst wieder hergerichtet worden war, liegt brach – und die vielen Cafés im Erdgeschoss, die aus frommem Respekt keine Alkoholika ausschenken durften, stehen leer. Am einst prächtig von Bougainvilleen umrankten Tor der Steuereintreiber, einst Eingang zur Altstadt aus Ritterszeiten, steht ein Gerüst, von Blüten keine Spur. Und die kleine Kirche Agia Paraskevi oberhalb der Markthalle aus italienischer Besatzungszeit, zeigt deutliche Mauerrisse in ihren drei Apsiden, ihre Türen sind auch sonntags verschlossen. Schwere Erdbebenschäden sind auch am Fähranleger und an der Uferpromenade festzustellen. Den Kai hat man immerhin so weit stabilisiert, dass da der Fährverkehr unbeeinträchtigt ablaufen kann – und die brüchigen Stellen der Uferpromenade hat man provisorisch mit Holzplatten abgedeckt, die freilich den nächsten Winter kaum überstehen werden.
Neues von der Insel
Den Tourismus und den Urlauber auf der Insel beeinträchtigt all dies nicht. „Business as usual“ lautet die Devise. Einige sehr lange geschlossene Hotels wurden in diesem Jahr wieder geöffnet. Eins davon ist der ehemalige „Club Mediterranee“ im Inselosten bei Kefalos, der nach umfangreichen Um- und Neubauten zum „Ikos Aria“ wurde. In der Stadt selbst ist der verspielte Bau des „Albergo Gelsomino“ aus italienischer Besatzungszeit wieder fein herausgeputzt und als Luxus-Stadthotel direkt am Strand unter seinem historischen Namen wiedereröffnet worden. Nur aus einem innovativen Hotelprojekt in Marmari wurde wegen des langen, regenreichen Winters nichts: Da sollte Griechenlands erstes Zelt-Hotel entstehen. Wir suchen weiter nach Neuigkeiten und treffen dabei viele alte Bekannte. Nach einer Woche auf Chalki und Tilos, wo ich zuletzt vor über 20 Jahren war, tut das besonders gut. Auf dem Restaurant-Sektor hat sich wenig verändert. Wir bemerken nur, dass sich die türkischstämmigen Muslime der Insel ebenso wie auf Rhodos noch stärker integrieren: Nach der „Taverne Ali“, die schon vor Jahren von der Platia in Platani, wo traditionell die meisten dieser Muslime wohnen, in die Stadt umgezogen ist, hat auch die „Taverne Hassan“ erfolgreich diesen Schritt gewagt. Ihre Gäste sind wie im Ali außer Urlaubern vor allem christliche Koer.
Antikes Frühstück
Auf eine gute Idee sind die Damen im „Café Aegli“ an der Platia Eleftherias in der Stadt gekommen. Es wird von einer Frauen-Kooperative betrieben, die vor allem sozial Benachteiligten Arbeit geben will und von der Gemeinde unterstützt wird. Hier serviert man jetzt ein „antikes griechisches Frühstück“. Auf den Tisch kommen dabei eine Weizensuppe mit Tachini, Zwieback, Ziegenkäse, Yoghurt und Trockenfrüchte. Kaffee und schwarzen Tee kannten die antiken Griechen ja noch nicht, deshalb wird dazu ein Glas halbtrockenen Weins kredenzt. Ob Sokrates und Plato jemals so gefrühstückt haben? Im Aegli treffen wir auch Anja, eine Deutsche, die schon fast zwei Jahrzehnte lang auf Kos lebt und arbeitet und jetzt zur fleißigsten Kos-Bloggerin avanciert ist. Jetzt hat sie mit „Kos we care“ auch eine Kampagne ins Leben gerufen, die vor allem der Umwelt und dem Tierschutz, aber auch der Unterstützung bedürftiger Familien zu Hilfe kommen soll. Urlauber werden dazu aufgefordert, Fotos von Missständen auf Kos in den sozialen Medien zu posten, aber auch über positive Beispiele zu berichten.
„Full service“
Auf geht's zu einer kleinen Inselrundfahrt. Kos ist ja nur 546 Quadratkilometer groß und damit nur um ein Viertel größer als Usedom in der Ostsee. Von einem Inselende zum anderen fährt man maximal 60 Kilometer. Man könnte die ganze Insel also in höchstens zwei Tagen durchkreuzen – wären da nicht die vielen Einheimischen, die sich trotz Massentourismus noch immer gern auf Gespräche mit ihren Gästen und Kunden einlassen. Christos zum Beispiel, ehemals Wasserball-Nationalspieler und 17 Jahre lang weltweit tätiger Flugzeugelektriker. Als die Digitalisierung Fahrt aufnahm, nahm er sein Käppi und kehrte nach Hellas zurück. Jetzt vermietet er am westlichen Ortsrand von Tigaki Liegestühle und Sonnenschirme. Weil er dem Salzsee von Tigaki und den dort von November bis Mai lebenden Flamingos am nächsten ist, hat er seinen Strandabschnitt „Happy Flamingo Beach“ genannt. Seinen Gästen bietet er ungewöhnlich viel ohne Aufpreis: Außer dem Sonnenschirm auch Windschutz auf allen Seiten, massenhaft Kinderspielzeug, Luftmatratzen und SUP-Boards, Boule- und Boccia-Kugeln zur kostenlosen Ausleihe, Fahrradständer und ein Regal mit Strandlektüre. Für die ganz Kleinen gibt es einen Schwimmring in Flamingo-Form: Den hat Christos’ Tochter aus Düsseldorf mitgebracht. Flamingos stehen ohnehin in jeder erdenklichen Form in Christos’ Strandhütte herum, auch Gäste bringen immer wieder welche mit. Christos ist ja auch ausgesprochen nett zu ihnen – so dürfen sie sich zur Begrüßung an einer Obstschale bedienen. Speisen und Getränke werden aus einer 300 Meter entfernten Taverne angeliefert. Im Winter verbringt der 64-Jährige übrigens viel Zeit in München: Da lebt der Sohn bei seiner deutschen Mama.
Maler und Malerin
Unsere nächsten beiden Besuche gelten schon lange auf Kos lebenden Künstlern. Der österreichische Künstler Sol, mit bürgerlichem Namen Kurt Havlacek, betreibt seine „Bus Stopp Gallery“ im großen Binnendorf Pyli. Er malt vor allem abstrakt bis phantastisch. Anders als Tavernen- und Caféinhaber klagt er nicht über den All-inclusive-Tourismus, der auf Kos über 70 Prozent aller Hotelbetten belegt. So kam erst kürzlich ein Hotelgast zu ihm, der im „Neptune Resort“ ein wandfüllendes Gemälde von Sol gesehen hatte und es unbedingt haben wollte. Da es nur eine Leihgabe ans Hotel war, konnte er diesen Wunsch erfüllen – woraufhin das Hotel sofort das gleiche Bild als Kopie noch einmal bei Sol in Auftrag gab. Die gebürtige Flämin Christina Zenteli-Colman bevorzugt in jeder Hinsicht die kleinen Formate. Ihr Café „I Orea Ellada“ ist eher winzig, in ihren Verkaufsräumen in einem ehemaligen Landgut im Bergdorf Lagoudi bietet sie vor allem alten Schmuck feil, ihre Bilder sind meist nicht größter als ein halbes Wahlplakat , ihr Hund ist ein Zwerg – und auch ihr verstorbener Mann war um etliches kleiner als sie. Sie beherrscht viele Stilrichtungen, malt sowohl Ikonen als auch realistisch und abstrakt. Christina erzählt Interessantes: Zu ihren Stammgästen gehört auch ein Polizist, der in einer Tauchereinheit Dienst tut. Sie checken im Sommer die Rümpfe von einlaufenden Segelyachten auf daran versteckte Drogen. Und sie mokiert sich ein wenig über die vielen Flüchtlinge aus dem EU-Hot Spot im Nachbarort Pyli: Da würde sie sich sonntags wie in Kapstadt fühlen. Wir können das nicht bestätigen, denn auf Kos sieht man insgesamt eher weniger Immigranten als in Bremen, München, Wien oder auch Athen.
Letzte Begegnungen
Kos und seinen meisten Bewohnern geht's gut. Das bestätigen uns auch zwei befreundete Juweliere aus der Stadt, der eine Festlandsgrieche, der andere ein mit einer Deutschen verheirateter Däne. Ihre Urlaubsziele im vergangenen Winter bestätigen das: Der eine war mit Frau in Japan, der andere in Sri Lanka, Thailand, Vietnam und Kambodscha. Mein Hotelier Alexis Zikas aus dem Afendoulis hingegen verreist im Winter nie. Er ist geborener Koer und will gar nicht weg, genießt lieber mußevolle Tage in Haus und Garten und die viele Zeit für seine Familie. Die wird gerade größer. Um das Kind zur Welt zu bringen, fliegen seine Tochter und ihr Mann allerdings nach Athen. Sie trauen dem Krankenhaus auf der Insel des großen Arztes Hippokrates nicht allzu viel zu. Auch scheinbare Paradiese haben eben ihre Schattenseiten. Auch wir wollen weiter. Über Santorin geht's nach Anafi. In einer der nächsten Ausgaben der Griechenland Zeitung sind Sie dabei!
Text und Fotos: Klaus Bötig
Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 686 am 24. Juli 2019.