August 2018: An der Nordküste Kretas sind die Hotels wieder einmal total ausgebucht. Die meisten Urlauber kommen auf die größte und südlichste griechische Insel, weil sie alles bietet: garantiert sonniges Wetter, gute und ausgewogene Ernährung, charakteristische Naturlandschaften, kulturelle Sehenswürdigkeiten. An erster Stelle auf der Prioritätenliste stehen jedoch für die meisten Kreta-Besucher immer noch: am Strand liegen, Sonne anbeten, schwimmen.
Auf der Suche nach Neuheiten wird man auf der größten griechischen Insel schon fündig, aber dafür sind „Sonderaktionen“ erforderlich, denn die traditionellen Reiseanbieter haben davon noch nicht allzu viel in ihr Programm aufgenommen. Ich habe dieses Mal den Fokus auf die Gastronomie und die Trinkkultur gelegt, die bei einer Reise auf Kreta eigentlich nicht mehr aus dem Ferienplan wegzudenken sind. Gleich zu Beginn meiner untypischen Kreta-Tour erklärt mir der heutige Präfekt Stavros Arnaoutakis, dass die Kreter allen Vorurteilen zum Trotz recht gut zusammenarbeiten können – wenn es darauf ankommt. Vor allem die junge kretische Generation baut auf Kooperation und nutzt es als Chance, in schweren wirtschaftlichen Zeiten auf die Schätze der Insel, die Wunder der einheimischen Natur, die Vielfalt an Lebensmitteln und Produkten aufmerksam zu machen.
Andere Strände, andere Ausflugsrouten
Strandleben stand dieses Mal auf Kreta nicht für mich auf dem Programm. Ich wollte lieber Menschen treffen, die andere Geschichten über Kreta erzählen und die mir, zum Beispiel, neue kulinarische Gebiete erschließen. Meine erste Station: Die Hellenic Aloe Gesellschaft. Mitarbeiter Charalambos Giakoumakis hält gerade ein Seminar über die griechische Aloe, als ich anklopfe. Seit fünf Jahren experimentiert der junge Produzent mit dem Anbau dieser exotischen Pflanze auf Kreta. Und seit zwei Jahren bietet er gemeinsam mit seinem engagierten Forschungsteam in der Nähe von Heraklion zwölf Kosmetik- und zwei Ernährungsprodukte an. Alle sind 100 Prozent biologisch und enthalten zwischen 50 und 93 Prozent reine Aloe.
Auf einem langen Tisch zeigt mir Aloe-Fachmann Giakoumakis ein Laubblatt der Wüstenlilie, wie Kenner dieses Kaktusgewächs bezeichnen, und wie es für die Weiterverarbeitung per Hand aufgeschnitten wird: „Ich zeig ihnen mal bei diesem kleinen Blatt, wie wir das Gel aus der Aloe herausnehmen. Dieses Blatt wiegt nur 600 bis 700 Gramm. Die Aloe wird wie ein Fisch filetiert. Sie schneiden zunächst die Ränder weg. Dann fahren Sie mit dem Messer quer durch die Mitte des Blattes, so als würden sie einen Schwertfisch in zwei Stücke teilen“, erklärt der kretische Aloeexperte und die Begeisterung ist ihm regelrecht ins Gesicht geschrieben, während er einen breiten Geleestreifen von der Außenschale abzieht. Viel Handarbeit ist bei der Weiterverarbeitung der Aloe erforderlich. Maschinen können das exakte Aufschneiden so noch nicht leisten.
Charalambos Jiakomakis (l.) mit einem Kollegen sind von der heilenden Wirkung der Aloe überzeugt
Die heilende kretische Aloe
Im letzten Jahr konnten die Mitarbeiter bei Hellenic Aloe 600 Tonnen biologisch angebaute Aloe ernten und zu Cremes, Erfrischungsgetränken oder Körperpflegemitteln weiterverarbeiten. Die kretischen Hersteller sind von der heilenden Wirkung dieser Pflanze absolut überzeugt. Und erzählen das auch den Gästen, die bei ihnen anklopfen. Das Erfrischungsgetränk aus Aloe besteht zu 95 Prozent aus reinem Aloe-Gel. Dem werden nur noch etwas Stevia und ein Schuss Zitrone beigemischt, damit es frischer schmeckt. Darüber hinaus beinhaltet die Aloe 21 Aminosäuren. Sieben davon können nicht so leicht in anderen Nahrungsmitteln gefunden werden. Und wie die Aloe heilend auf die menschliche Haut wirken kann, das hat Charalambos Giakoumakis selbst vor Ort aus erster Hand erfahren können. Im vergangenen Herbst ist eine junge Frau zur Ernte eingestellt worden. Sie hatte den Sommer über für andere Bauern auf den Feldern gearbeitet. Ihre Hände sollen rau und alt ausgesehen haben. „Nach einer Woche in Kontakt mit der kretischen Aloe wirkten sie frisch und glatt, wie die einer jungen Frau. Dabei hatte sie sich nicht einmal mit Aloe eingecremt. Es war allein der Kontakt mit der Pflanze, der diesen Effekt bei ihr ausgelöst hatte.“
Ein besonderer botanischer Park
„Wenn ich etwas braten muss, verwende ich Olivenöl, darüber diskutiere ich einfach nicht“, sagt Dimitris Batsakis auf meiner zweiten Kreta-Station. Der Biologe hat zehn Jahre am Robert-Koch-Institut gearbeitet und an Gemeinschaftsprojekten mit der FU Berlin geforscht. Als seine Eltern Hilfe brauchten, hat er den Job hingeschmissen und ist in seine Heimat zurückgekehrt. Jetzt arbeitet er im Botanischen Garten, 18 Kilometer südlich von Chania, in Richtung Omalos und Samaria-Schlucht.
Am Sonntag lesen Sie u. a. davon, dass zu Dimitris Batsakis’ Essgewohnheiten zwei Flaschen Olivenöl pro Woche gehören. Außerdem wird über das Zentrum für kretische Gastronomie in Argyroupolis, einem Küstenort zwischen Rethymnon und Chania, berichtet.
Text und Fotos: Marianthi Milona
Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 640 am 22. August 2018.