Kleine, hübsch restaurierte Häuser mit blauen, roten und türkisfarbenen Fensterläden gruppieren sich um den kleinen Naturhafen von Kastelorizo. Die Häuser in der zweiten und dritten Reihe ziehen sich den felsigen Hang hinauf. Die höchste Erhebung ist der Vigla mit 273 Metern. Eine Postkartenidylle – und Schauplatz des Films „Mediterrano“, der hier gedreht worden ist. Und damit kein Zweifel aufkommt, zu welchem Kontinent Kastelorizo gehört, steht am Hafen eine große Tafel mit der Aufschrift: „Hier beginnt Europa". Eine Fotogeschichte von Michael Lehmann.
Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang ist die „Blue Star Paros“ unterwegs bis zum schönsten Ende Griechenlands: von Piräus bis nach Kastelorizo, 600 Kilometer durch die Ägäis bis zur türkischen Küste. Die 124 Meter lange „Blue Star Paros“ gehört zu den modernen Fähren der Reederei „Blue Star Ferries“, die acht Schiffe auf zehn Strecken in der Ägäis unterhält. Der griechische Staat subventioniert diese Fährlinien großzügig. Die südöstlichen Ägäis-Inseln sind wichtige Außenposten, quasi maritime Grenzpfähle dicht vor der türkischen Küste. Von Kastelorizo könnte man hinüber in die Türkei schwimmen. Es sind nicht mal drei Kilometer.
Nur 250 Menschen harren im Winter auf Kastelorizo aus. Im Sommer leben etwa doppelt so viele Menschen und manchmal viele hundert Gäste auf dem nur zwölf Quadratkilometer kleinen Eiland. Wahrzeichen und Namensgeberin der Insel ist das aus rötlichem Felsgestein gebaute Kastell oberhalb des Hafens beziehungsweise das, was von dem Kreuzritter-Bau aus dem frühen 14. Jahrhundert übriggeblieben ist. Und dann ist da noch die „Blaue Grotte“: ein kolossaler, unterirdischer Felsensaal, der in einem faszinierenden Blau erstrahlt. Das Wasser unter den Tropfsteinen und der Höhlendecke gleicht türkisblauer, glitzernder Tinte.
Die Insel ist so klein, dass man nach ein paar Tagen einen Insel-Koller bekommen kann. Manchen Besuchern reichen deshalb ein, zwei Nächte. Aber wer wie die Inselbewohner die Abgeschiedenheit liebt – hier ist man wirklich weit weg vom „Schuss“ –, der sollte schon an eine Woche Kastelorizo denken. Es gibt genug zu erkunden. In der Hauptsaison von Ende April bis Mitte Oktober gibt es viele Übernachtungsmöglichkeiten. Da im Sommer viele nach Australien ausgewanderte Griechen ihre Inselheimat besuchen, kann es auch durchaus mal enger werden. Dann ist es in den beschaulichen Gassen wuselig.
Abgesehen von der Fährverbindung von Piräus aus kommt man z. B. auch von Rhodos mit dem Schiff nach Kastelorizo. Von hier aus sind es „nur“ vier bis fünf Stunden – eine sehr interessante kleine Seereise, weil die Fähre immer dicht vor der türkischen Küste fährt. Es gibt aber auch eine Flugverbindung von Rhodos mehrmals in der Woche, die vom Staat bezuschusst wird, also relativ erschwinglich ist. Die Abfertigung am Flughafen ist dementsprechend individuell. Ich war der einzige Fluggast beim Flug Kastelorizo – Rhodos – zwei Piloten, Stewardess und Bodenpersonal nur für mich. Unglaublich. Flugzeit nur knappe 25 Minuten nach Rhodos.
Und was den Reiz des Eilandes besonders ausmacht: Zum einen sein herrlicher Naturhafen – eine Bucht, in der die bunten Häuser in der Sonne funkeln, kristallklares Wasser, wenige Boote und deshalb relativ wenig Bootsverkehr und das entspannte Leben! Viele Tavernen und Cafés, direkt am Wasser. Man kann hinüber auf die türkische Seite blicken, auf das Städtchen Kas. Und die Menschen? Die Einwohner des Eilands sind entspannt. Sie sind stolz auf ihre einsame Insel, wenngleich einige Insulaner mit ihrem Schicksal am vermeintlichen Ende der Welt etwas hadern. Man kann wandern, das Kastell besuchen, zwei Museen und vor allem: die Blaue Grotte. Mit dem kleinen Ausflugsboot hinfahren lassen und in der Grotte schwimmen. Super!
Was die Reisezeit betrifft: Mitte Oktober bis Anfang November. Dann ist das Wasser noch 24 Grad warm. Sehr gut sind auch die Monate März und April, wenn es blüht. Von Ende April an steigen die Temperaturen im Südosten der Ägäis so schnell an, dass von der Blütenpracht und dem frischen Grün bald nicht mehr viel übrigbleibt. Auf Kastelorizo gibt's aber auch Büsche, Bäume und Kräuter, die die Hitze ertragen. Es ist also keine reine Steinlandschaft.
Text und Fotos: Michael Lehmann
Diese Reportage stammt aus dem Archiv und erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 635 am 11. Juli 2018.