Den Namen kennt dank Dichtung und Schnulzen fast jeder, da war fast niemand. Von Arkadien, einer der sieben historischen Landschaften der Peloponnes ist die Rede. Für Touristen ist die Region bestenfalls Durchzugsgebiet, denn sie liegt im Herzen der Peloponnes, hat selbst aber nur wenig Küste – dafür aber schöne Berglandschaften, weite Hochebenen und eine reiche Geschichte.
Der 1937 im euböischen Chalkis geborene Konstantinos Papatheodorou gilt religiösen Traditionalisten als Ketzer, vielen Kunststudenten hingegen als „einer der authentischsten griechischen Architekten“ der Neuzeit. Wir treffen den 80-jährigen Herrn zufällig im arkadischen Mantinea vor seinem bedeutendsten Gesamtkunstwerk: Der Kirche der hl. Fotini. Zwischen 1970 und 1980 hat er sie weitgehend mit eigenen Händen erbaut, noch immer arbeitet er an Details wie jetzt zum Beispiel an der Vorplatzgestaltung. Die Bodenmosaike stammen ebenso von ihm wie die Deckenmalereien. Für die hat er Wochen auf dem Gerüst verbracht, dort oben sogar geschlafen. Das Gotteshaus, das die offizielle Kirche nicht haben will, wirkt wie ein Lehrbuch der Sakralarchitektur der letzten vier Jahrtausende. Elemente mykenischer, griechisch-klassischer und römischer Tempel sind ebenso vertreten wie typisch byzantinisches Mauerwerk. Die Altäre nehmen bizarre Gestalt an, Kapitelle haben ungewöhnlichste Formen. Manche der Fresken scheinen hochbyzantinisch zu sein, andere der Volkskunst zu entstammen. Alles erinnert auch ein wenig an Antonio Gaudí oder Friedensreich Hundertwasser. Die religiöse Vergangenheit Griechenlands in einem Gebäude als Einheit zu präsentieren, war des Architekten größtes Anliegen. Deswegen denkt er jetzt sogar daran, neben heidnischen und christlichen Elementen auch Jüdisches zu integrieren.
Zweitgrößer Tempel
Den zweitgrößten Kultbau des antiken Griechenlands auf der Peloponnes haben französische Archäologen schon 1888 bis 1910 ausgegraben: Den Athena-Tempel in Tegea. Ein dessen Bedeutung würdiges Archäologisches Museum wurde erst 2014 eröffnet. Ein eigener Saal ist darin dem Tempelarchitekten Skopas von Paros vorbehalten, nach dessen Plänen der massiv aus weißem Marmor erbaute Prachtbau mit seinen 36 äußeren Säulen um 350 v. Chr. entstand. Multivisuell wird seine Kunst erläutert, eine traditionelle Rekonstruktionszeichnung zeigt das einstige Innere des noch immer als Ruine eindrucksvollen Baus. Schön dargestellt wird im Museum auch die Entwicklung der typisch arkadischen Hermen: Pfeilerschäften mit integrierten Schultern, Kopf und manchmal auch Genital. Sie standen als Schutzgottheit einst an vielen Straßenkreuzungen. Wir verlieben uns in ein besonders seltenes Exemplar: Es erinnert an die typische Form von Toblerone-Schokolade.
Hauptstadt Tripolis
Zwischen Tegea und Mantinea breitet sich die arkadische Hauptstadt Tripoli am Rande einer weiten Ebene aus. Touristisch ist sie belanglos: Es gibt hier keine Sehenswürdigkeit mit Baedeker-Stern. Das Einbahnstraßensystem ist mehr als verwirrend, Parkplätze sind knapp, der riesige Dorfplatz ist eine der größten Brachen in griechischen Städten. Trotzdem sind wir immer wieder gerne hier: Alles ist so herrlich unaufgeregt. Anders als anderswo stehen auf der Platia keine Tische und Stühle. Die Gastronomie hat sich unter die vielen Bäume am Platzrand fixiert. Da trinken im Café Turistico fast nur Einheimische ihren Kaffee, lassen sich im Grand Chalet nahezu ausschließlich Griechen das sehr leckere Leitungswasser aus der Karaffe eingießen und den Chorta Salata mit Zucchini und Staudensellerie schmecken. Auch die kleinsten Städter kommen gern zum Platz, denn in einer Ecke versteckt sich ebenfalls ganz unter Bäumen ein buntes Spielparadies: der Eden Family Park. Für Kletterübungen dient aber auch die kolossale Reiterstatue des Theodoros Kolokotronis: Der „Alte von Morea“ eroberte mit seiner wilden Heerschar im September 1821 Tripoli als erste größere Stadt auf dem Peloponnes. Mit seinen vielen türkischen, aber auch jüdischen Bewohnern ging er keineswegs sanftmütig um: Wer nicht fliehen konnte, wurde getötet. Aber daran muss man ja nicht unbedingt denken, wenn man abends am Platz sitzt und hinter dem klassizistischen Bau des Bezirksgerichts den Abendhimmel über den ganz nahen Bergen genießt.
Arkadiens Ebenen und Berge
Arkadien gleicht einer Symphonie aus weiten, fruchtbaren Ebenen und sie umschließenden Bergen. Optisch wohl am schönsten ist die wasserreiche Ebene von Orchomenos, die selbst noch im Herbst an eine südostasiatische Reisfelderlandschaft erinnert. Klar, dass da schon die alten Griechen siedelten und ebenso klar, dass sie da auch ein Theater erbauten. Ich war lange nicht da, habe dort einst schlechte Erfahrungen mit Hirtenhunden gemacht.
Von denen gibt es in Arkadien mehr als genug. Nicht umsonst ist Arkadien durch den antiken Römer Vergil und die europäische Schäferdichtung (Anakreontik) als Land der Hirten und Herden in die Literatur eingegangen. Dichterfürst Goethe stellte seine „Italienische Reise“ unter das Motto „Auch ich in Arkadien“, noch Ingeborg Bachmann schrieb eine Erzählung mit dem Titel „Auch ich habe in Arkadien gelebt“.
Den Menalon haben beide nicht gesehen. Das 1849 Meter hohe Gebirge gleich nördlich von Tripoli besitzt schon seit 1965 ein – relativ kleines – Skizentrum, das sich freilich am ehesten für Anfänger und Familien eignet: Drei Lifte, bis zu 570 Meter lang, erschließen sieben Pisten von bis zu 2,5 Kilometern Länge.
Es gibt freilich sehr viel schneesicherere Wintersportgebiete in Griechenland wie zum Beispiel den nahen, sehr viel höheren Chelmos bei Kalavryta auf der Peloponnes. Trotzdem sind die Unterkünfte in den Dörfern rund um den Menalon an Winterwochenenden noch leidlich gut gebucht. Der offene Kamin gehört wie in vielen Tavernen auch in etlichen Apartments zur Standardausstattung, Schneemänner lassen sich überall bauen und wer mag, kann ja auch ein wenig durch die dichten Nadel- und Mischwälder wandern. Der bedeutendste Ferienort in der Region ist Vitina mit vielen guten Tavernen. Still, bescheiden und ländlich bietet sich Levidi als Alternative an.
Arkadiens Küste
Das Sommerhalbjahr ist für diese Bergdörfer Nebensaison. Da sind auch die meisten Griechen lieber am Meer. Doch Arkadien kann mit Badeorten kaum aufwarten. Nur entlang der Küste des Argolischen Golfes zwischen Xiropigado und Poulithra liegen ein paar teils lange, teils kleine Buchten säumende Strände. Viel Trubel herrscht da kaum.
Poulithra ist da das wohl interessanteste Ziel, denn ganz in seiner Nähe liegt der große Binnenort Leonidio mit über 3.000 Bewohnern vor eisenroten Felswänden am Ausgang der Dafnon-Schlucht. Seine Auberginen gelten als die besten ganz Griechenlands – und der traditionelle Dialekt der Bewohner als ein Kleinod: Man pflegt wieder das Tsakonische, das als Relikt eines 3.000 Jahre alten dorischen Dialekts gilt. „Kaour ekanate!“ steht denn auch als Willkommensgruß auf einem Schild am Ortseingang statt des Neugriechischen „Kalos ilthate!“ Auch architektonisch hat Leonidio seine Besonderheiten. Typisch sind Natursteinhäuser mit ungewöhnlich dicken Mauern und zumeist farbig umrandeten Fenstern. Die Nähe der fotogenen Felswände nutzt man neuerdings in Leonidio auch für eine Trendsportart: das Rock Climbing. Nirgendwo auf dem griechischen Festland gibt es ein besseres Angebot an erschlossenen Routen als hier. Zur bedeutendsten Sehenswürdigkeit der Region muss man allerdings nicht klettern: Eine Straße führt bis zum Kloster Elonis, das – auf den ersten Blick unerreichbar scheinend – im 16. Jahrhundert mitten in eine rote Felswand hineingebaut wurde.
Das besondere Lousios-Tal
Am anderen Ende Arkadiens spielt das Wasser auch eine bedeutende Rolle. Hier führen der Lousios und seine Zuflüsse das ganze Jahr über das kostbare Nass. Wie und wofür man sich diesen unerschöpflichen Energieträger in der Vergangenheit zu Nutzen machte, demonstriert äußerst anschaulich das von der Kulturstiftung der Piräus-Bank finanzierte „Museum of Watercraft“ bei Dimitsana. Von da startet auch eine der schönsten Tageswanderetappen auf der Peloponnes. Zumeist fernab jeglichen Straßenverkehrs geht es da durchs üppig grüne Tal mit seinen steilen Hängen an zwei noch bewohnten und einem verfallenden historischen Kloster vorbei bis zu den kleinen Ausgrabungen des Äskulap-Heiligtums von Gortys, wo man sich von einem vorbestellten Taxi wieder abholen lassen kann.
Und am nächsten Tag kann man dann wieder mit dem eigenen Fahrzeug auf landschaftlich besonders schöner Strecke über Stemnitsa, das Dorf der Schmuckkünstler, nach Karitena weiterfahren, das manchmal auch etwas stark übertrieben als „Toledo Griechenlands“ bezeichnet wird. Da gilt es, eine Burg zu erklimmen. In ihr wurde 1770 Theodoros Kolokotronis geboren, der in Tripoli auf der Platia noch immer auf seinem Pferd sitzt.
Von Klaus Bötig