Und immer wieder Samos! – Die Eindrücke bei einer Reise auf diese Insel sind einfach so zahlreich, die Erlebnisse so einzigartig und die Geschichten über Land und Leute so individuell ... Mein Ziel: die Insel Samos irgendwann vollkommen zu ergründen, zu beschreiben, ihr einmal in ihrer Gesamtheit gerecht zu werden. Im Wandel der Zeiten....
Kulinarischen Eskapaden
Samos bleibt von den Einflüssen der Gegenwart nicht unberührt. Besonders als touristische Destination. Von einer der meistbesuchten griechischen Inseln mit Rekordbesucherzahlen, wie keine andere Insel in der Nordägäis, hat sie in den vergangenen Jahren, einmal aufgrund der Wirtschaftskrise, dann auch im Zuge der Flüchtlingskrise, Einbußen hinnehmen müssen. Warum das so ist, weiß vor Ort eigentlich kein Mensch so richtig zu erklären. Doch das Wichtigste im Fall von Samos ist: die meisten sind nicht mit übereinander geschlagenen Beinen auf ihren Stühlen sitzen geblieben. Vielleicht ist das ein Grund, warum die Samioten in der Sommersaison 2016 immer noch mehr Gäste aufgenommen haben, als alle anderen Inseln der Nordägäis. Und im Wandel der Zeiten sind sie unermüdlich auf der Suche nach neuen touristischen Konzepten, um ihren Gästen die Traditionen ihrer Insel immer wieder näher zu bringen. Ihre archäologischen Schätze sind weitgehendst erforscht, ihre Geschichte gründlich recherchiert und ihr Naturreichtum in zahlreichen Schriften dokumentiert. Ebenso glänzend ausgebaut ist ihr Netz an Freizeitmöglichkeiten. Jetzt will man darüber hinaus, Besucher mit den lokalen Esstraditionen vertraut machen. Auch mich hat dieses Mal die Neugier auf das aktuelle kulinarische Angebot nach Samos verschlagen.
Ein griechisches Frühstück bitte
Was ich auf Samos deutlich zu spüren bekommen habe: ihre Einwohner wollen neue Wege im touristisch-kulinarischen Sektor beschreiten. Und sind dabei gewillt alte Vorurteile aus dem Weg zu räumen. Eins davon lautet: „die Griechen frühstücken nie!“ Um vom Gegenteil zu überzeugen, bieten inzwischen viele Cafés der Insel neben dem typisch englischen Frühstück aus Eiern, Speck, Toast, Butter und Marmelade, jetzt häufiger auch eine kleine Auswahl an griechischen Spezialitäten, ganz wie zu Großmutters Zeiten. Das sind Kräuter-, Kamillentee, griechischer Mokka mit Eierbroten, Honig und Marmelade. Oder auch selbstzubereitetes Hefegebäck. Das imposanteste griechische Frühstück habe ich allerdings im Filo Aqua Blue Hotel genossen. Dieses 3-Sterne-Hotel hat eine separate griechische Frühstücksabteilung entwickelt, die auch für Nicht-Hotelgäste zugänglich ist. Dort servierte man mir: Orangenkuchen (Portokalópita), Weizengrießkuchen (Halvas simigdalenios), Eierkuchen mit Honig und Walnüssen(Tiganites me meli kai karidia), hausgemachte Spinatpita (spanakopita), Käsepita (tiropita), Blätterteig-Käsetaschen (tiropitakia me fyllo kroustas), frischen Joghurt mit selbstgemachten Quittengelee (jaourti me kydonia), frisches Obst, Traubengelee (Moustalevria), Orangensaft und selbstgemachte Zitronenlimonade (lemonada) mit Zitronen aus eigenen Anbau.
Echt griechisches Frühstück im Fito Aqua Bleu
Beim Leuchtturm und am Pappa Beach
Wenn auch immer ich im kleinen Städtchen Pythagorion nach einem guten Lokal befragte, immer fiel der Name „Faros“ (Leuchtturm). Um das „Faros“ zu erreichen, muss man die gesamte Uferpromenade in südöstlicher Richtung laufen. Faros befindet sich am Ende einer ganzen Reihe von Cafés, Tavernen und Restaurants. Durch seine Randlage ist es ruhiger als im Epizentrum von Pythagorion. Dieses Restaurant setzt auf kulinarische Traditionen: gefüllte Zucchiniblüten, dunkle Spaghetti mit Meeresfrüchten und geschmortes Rindfleisch mit Reisnudeln (Jiuvetsi), alles frisch zubereitet, versteht sich!Traditionell geht es auch bei Maria und Kostas am Pappa Beach zu, einem kleinen Badestrand unweit des Küstenortes Iraion. Aus dem ehemaligen Freak-Strand der 70er Jahre ist der Pappa Beach zu einem unkonventionellen Geheimtipp geworden. Und den Namen hat dieser Strand von Marias Vater erhalten. Dieser war der Priester (Pappas) der Region. Die kleine und vom Hauptverkehr der Insel völlig abgeschnittene Badebucht wird von Maria und Kostas verwaltet, die ihre Gäste auch mit allem kulinarisch Notwendigen versorgen. Hierher fährt man am besten, wenn man diverse kleine traditionelle Gerichte auswählt. Maria serviert leckere Gemüse- und Fischvorspeisen bei einem Glas inseleigenen Ouzo, dem samiotischen Trester (Souma) oder einem Glas Retsina.
Zwischenstopp im Bergdorf Manolates
Und wieder fahre ich zum Künstlerdorf Manolates hinauf. Dieses Mal nicht um ein Geschenk von den vielen Tonwerkstätten zu erwerben. Ich folge dem Schild „Taverna Loukas“, der mich zum höchsten Punkt von Manolates führt. Der Ausblick auf die Landschaft ist von dort oben atemberaubend. Und ich erkenne seltene Raubvögel in den Lüften, die großzügig ihre Bahnen ziehen. Auch hier wähle ich eine kleine Zwischenmahlzeit, die aus geschmortem Schweinefleisch, Rinderrouladen, hausgemachter Wurst, dicken Bohnen und Kichererbsenbällchen besteht. Dabei muss der Wirt ein wenig schmunzeln, als er mir seine Bergspeisen serviert. „Ich musste eben einem Gast erklären, dass es bei uns hier oben keinen Oktopus gibt. Bekanntlich wird der noch immer unten im Meer gefangen und das ist von hier ja einige Kilometer weit entfernt.“ In der Taverne Loukas gibt’s nur typisch samiotische Berggerichte, so traditionell, wie eh und je.
Kafenion im Doryssa
Meinen griechischen Mokka am Nachmittag bestelle ich dieses Mal in einem Kafenion, dass sich in einem ungewöhnlichen Dorf befindet. In Doryssa. Das traditionellste Dorf auf Samos, das eigentlich gar kein Dorf ist, sondern eine, vor fast 40 Jahren traditionell nachgebaute Dorfsiedlung, so original getreu, dass es als Hotel gar nicht erkennbar wird. Mit einer Dorfkirche, einem Tante-Emma-Laden, einem Volkskundemuseum, einem nachgebauten alten Waschhaus, einem Backofen und einem Kafenion. Das Kafenion „To Aigaion Pelagos“ (das ägäische Meer). Zum Mokka bestellte ich dort eingelegte Sauerkirschen (glyko tou koutaliou kerasi). Allein schon wegen dieses Kafenions lohnt ein Besuch ins Doryssa-Hotel, nach einem 500m Fußweg von Pythagorion aus. Und auch in diesem Fall gilt, wie so oft auf Samos: man braucht nicht Hotelgast zu sein, um diese einzigartige Anlage zu genießen. Übrigens ist der Name Doryssa einer alten Bezeichnung für Samos entlehnt worden. Unter anderem wurde die Insel in der Antike auch Dryoussa (Eicheninsel) genannt.
Das hübsche Kafenion im „Puppenhaus“-Dorf Doryssa
Samiotische Weinlegenden
Samos besitzt eines der ältesten Weinanbaugebiete Griechenlands. Die erste Winzerkooperative wurde auf der Insel bereits 1934 gegründet, der Samos Wein hatte damals schon Weltruhm erlangt. Die Anfänge der Weinherstellung gehen zurück in die Antike, auch wenn sich viele antike Reiseschriftsteller darüber einig waren, dass Samosweine damals nicht zu den besten Griechenlands gehörten. Der Mythos besagt, dass es Dionyssos, dem Gott des Weinanbaus und der Fruchtbarkeit nach Samos verschlägt, weil sich die Amazonen dort vor ihm versteckten. Sie hatten aufgehört ihm zu opfern. Dionyssos wollte sie deshalb abstrafen. Weil die Samioten ihm schließlich bei der Suche halfen, schenkt er ihnen zum Dank das gute Klima und führt sie in die Kunst der Weinherstellung ein.
Ein weiterer Mythos besagt, dass der erste Gründer der Insel, Agäos, Sohn von Poseidon und Astipaläa ebenfalls eng mit der Weinherstellung auf Samos in Verbindung steht. Der Legende nach wurde ihm prophezeit, er würde niemals seinen eigenen Wein trinken können. Er gab sich zwar alle Mühe den ersten gekelterten Wein zu kosten, doch als er gerade den Becher an seine Lippen führen wollte, wurde er gerufen, da ein riesiger Eber im Begriff war, sein Weinfeld zu zerstören. Agäos ließ alles stehen und liegen, lief zum Weinfeld, wurde vom Eber angegriffen und tödlich verletzt. Seitdem gilt der Spruch: „polla metaksi peli kilikos kai xeileos akrou!“ (Vieles kann passieren im Abstand vom Becher- und Lippenrand).
Milch von Vögeln
Seit dem Spätmittelalter blüht auf Samos der Handel mit Wein und Rosinen. Neben Tabak und Olivenöl war der Wein das drittgrößte Produkt, das Devisen einbrachte. Die drei Weinsorten sind seither dieselben geblieben: die Liasto, sonnengetrocknete Moshato-Reben, von der alle Likörweine der Insel gewonnen werden. Dann der Robola, ein trockener ungeharzter Weißwein, der nichts mit der ionischen Robola-Rebe zu tun hat und schließlich der Retsina (ein geharzter Weißwein aus den einheimischen Moshato, Asprouda und Kolokithato Reben). Die Insel berühmt gemacht hat vor allem der Liasto Wein. Den gibt’s als „Samos Vin Doux“ (Qualitäts-Likörwein), „Samos Anthemis“ (aromatischer Likörwein-fünf Jahre in Holzfässer gereift), „Samos Nectar“ (Edelsüßer Wein – zwei bis drei Jahre im Holzfass gereift), „Samos Grand Cru“ (der Spitzenlikör des Hauses). „Golden Samena“ heißt dagegen der erste moderne trockene Muskat-Weißwein aus Samos.
Der Historiker Strabon schreibt voller Begeisterung über die Insel Samos. Weil sie so fruchtbar ist, ist er der Ansicht, dass man dort auch Milch von Vögeln finden könne. Heute ist dieser Ausdruck fest in der griechischen Sprache verankert: „kai tou pouliou to gala“ „und Vogelsmilch“ sagt man, wenn man in einem Lokal, einem Geschäft oder einer Region praktisch alles in Hülle und Fülle finden kann. Im Fall von Samos, kann ich dem nur zustimmen und mich des Eindrucks nicht verwehren, Samos wieder einmal nur kurz gestreift, keinesfalls gänzlich erfasst zu haben. Ihres übergroßen kulinarischen Angebots wegen.
Text und Fotos von Marianthi Milona