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Drei Dörfer in den Bergen Zentralgriechenlands

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Blick auf den Velouchios Blick auf den Velouchios

Karpenissi wäre eine ziemlich gesichtslose Kleinstadt, läge sie nicht in einer paradiesischen Landschaft inmitten hoher Berge und hätte sich in unmittelbarer Nähe nicht ein Skizentrum etabliert. Als Bezirkshauptort der mittelgriechischen Präfektur Evrytania thront Karpenissi jedoch über mehreren sich kreuzenden Landstraßen und kann so – gerade auch im Sommer - zum Ausgangspunkt für unvergessliche Ausflüge werden. Drei Ziele, drei besonders schöne bzw. interessante Dörfer werden hier vorgestellt. 

Auch im Sommer muss es nicht immer das Meer sein …(Teil 1)

Am Hauptplatz (platía) von Karpenissi trinken wir einen für das gesamte Umland typischen „Tsipouro“-Schnaps, studieren Landkarten und unterhalten uns über die Strecke, die wir hinter uns haben. Unser Blick fällt zwischendurch auch auf den Touristenkiosk nebenan, hinter dessen Scheiben zwar Hochglanzbroschüren der Gegend locken, der aber jedes Mal, wenn wir hierher kamen, geschlossen war. Um von Lamia nach Karpenissi zu kommen, mussten wir den 1.100 Meter hohen Tymfristos-Pass („Tymfristou Rachi“) überqueren. Dieser „Bergrücken“, der sich wie ein Riegel zwischen die Täler des Sperchios- und des Karpenitsiotis- Flusses schiebt, bildet die Grenze zwischen den Provinzen Fthiotida und Evrytania. Die beiden Bergflüsse entspringen an den Hängen dieses Berges, fließen aber dann in divergierende Richtungen.

Mavrilo: Schießpulver und Linden

In dieses endlose Grün taucht man ein, wenn man schon vor der Passstraße die Abzweigung zum Bergdorf Mavrilo nimmt, das 920 Meter hoch direkt am Fuß des Tymfristos-Gipfels, des „Velouchios“, liegt, der mit in zwei Felszacken endenden Steilwänden, schon von weither immer wieder zwischen Tannen und Kastanienbäumen sichtbar, in den Himmel ragt – ein einzelner grandioser, mehr als 2.300 Meter hoher Berg. Wir hielten mehrmals an, um das im Näherkommen immer prächtigere Landschaftsbild zu genießen. 
Die Sehenswürdigkeit von Mavrilo, die dem Ort den Namen gab, liegt schon vor dem Dorf, bei einem Quellfluss des Sperchios, der einst ein Dutzend Wassermühlen in Gang hielt, ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für die Gegend vor allem im 17. und 18. Jahrhundert. Es gab Getreide- und Sägemühlen, vor allem aber mehrere Baroutómyla – Schießpulvermühlen. Gerade sie wurden wegen der Explosionsgefahr außerhalb des Dorfes betrieben. Eine von ihnen ist, exakt wieder aufgebaut, seit 2008 Museum und verdeutlicht das Herstellungsverfahren: Demnach wurde eine Mischung aus Schwefel, Salpeter und Holzkohle unter ständiger Wasserzufuhr durch paarweise angeordnete hölzerne Stampfen, die das Mühlrad antrieb, zur jeweils gewünschten Korngröße zermahlen. Die Differenzierung in der Korngröße machte das Schießpulver für verschiedene Geschütztypen geeignet, durch Siebe mit unterschiedlich weiten Sieblöchern wurde es entsprechend sortiert. (Im Dorfkafenion an der Platia wird ein Schlüssel für das oft geschlossene Museum verwahrt). 
Der Name Mavrilo kommt von „Mavra Yli“ = „Schwarze Substanz“.  Zuvor hieß das Dorf „Koryfés“ („Gipfel“). Die großen Wassermengen, die die Mühlen beanspruchten, stammen aus zahlreichen Quellen im Dorf selbst sowie in der unmittelbaren Umgebung. Erhalten sind noch zwei gedrungene einbogige Brücken, über die einst Hirten, Herden und Händler der „Vlachoi“ zogen, die hier in nomadischen, aber organisierten Siedlungsverbänden lebten: Bis in nachosmanische Zeit wurde die ganze Gegend um Mavrilo bis hinauf nach Epirus als „Megali Vlachia“ („Großes Wlachen-Land“) bezeichnet. Insbesondere der Volksstamm der Aromunen war hier zu Hause, und im Dialekt der Bergbauern finden sich noch heute ausgeprägte aromunische Idiome. 

Uralt ist hier der Ruhm des jungen Sperchios. Auch wenn das Flüsschen gerade der Erde entsprungen ist, trägt es doch den Namen eines göttlichen Heros, der in der frühen Antike verehrt worden ist. Homer erzählt in der „Ilias“ (Verse 144-147), dass der Held Achill dem Sperchios ein Opfer gelobt habe und sein Versprechen, bevor er nach Troja zog, auf einem Altar am Fluss erfüllte … „Monopatia Achilleas“ – „Pfade des Achill“ nennt man aufgrund dieser Sage in Mavrilo das auf einem großen Plan abgebildete Wanderwegenetz, das, minutiös gestaffelt nach Schwierigkeitsgraden, alle Fußstrecken verzeichnet, die über die bewaldeten und felsigen Hänge des Velouchios führen. 

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Die „Pfade des Achill“ - Wanderplan in Mavrilo

Die Platia von Mavrilo

Und damit sind wir auf der parkähnlichen Platia im Zentrum von Mavrilo angelangt, einer der schönsten Dorfplätze, die ich kenne. An frühen Sommerabenden und insbesondere sonntags kurven hier Rad fahrende und Ball spielende Kinder herum, die ihren Eltern in „ihr“ Dorf in die Sommerferien gefolgt sind. Auf der rechten Schmalseite des Platzes sprudelt im Schutz einer mächtigen, angeblich 300-jährigen Platane aus einem gemauerten Brunnen eine weitere Sperchiosquelle, und daneben dient die alte Dorfschule der Ausstellung historischer Heimatfotos. Im Hintergrund locken die Tische der Kafé-Psystariá-Tavérna „O Baroutómylos“, und seitlich geht der Blick in die Ferne, zu den Schwarztannen und Eichen an den Hängen des Velouchios.
Auf der anderen Seite der Platia erhebt sich die Pfarrkirche des Heiligen Dimitrios, eine Basilika von 1728 mit Wandmalereien, die kurz nach der Erbauungszeit  geschaffen wurden. Das Kirchenschiff wirkt hausartig schlicht, verfügt jedoch über schönes farbiges Mauerwerk. Heute noch wird erzählt, die Türken hätten die Neuerrichtung von Kirchen nur zugelassen, wenn sie sich nicht von den anderen Bauten der Umgebung unterschieden.
Die größte Attraktion der Dorfplatia aber sind ihre Bäume, die dem weiten, 4.000 Quadratmeter großen Oval sein parkähnliches Aussehen geben. Neben Oliven- und Kastanienbäumen stehen hier hohe, in Griechenland sonst seltene Lindenbäume, und sogar eine Trauerweide senkt ihre Zweige bis zur Erde nieder. Doch die  kleinen kugeligen grünen Früchte, die aus den duftenden Lindenblüten hervorgegangen waren und von denen ich einige mit nach Athen nahm, sind auf meiner Terrasse nicht aufgegangen. So muss ich es wieder versuchen …

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Auf der prakähnlichen „Platia“ von Mavrilo

Megalo Chorió: ein Ort zum Entspannen

Biegt man, an Karpenissi vorbei, in das Tal des Karpenitsiotis-Flüsschens, so findet man nach etwa acht Kilometern einen Wegweiser zu der frühchristlichen Basilika des Heiligen Leonidas von Klavsí aus dem 5. Jahrhundert. Die zahlreichen kleinen Dörfer, die in dieser Gegend auf unterschiedlichen Höhen verstreut liegen, gehören heute alle zur Bezirkshauptstadt Karpenissi, bildeten aber vor der Gebietsreform unter der Bezeichnung „Potamiá“ – „Flussgebiet“ – eine eigenständige Gemeinde mit dem Verwaltungszentrum im größten der Bergdörfer, „Megalo Chorió“. Es soll mehrere frühe Heilige gegeben haben, die Leonidas hießen. Es dürfte sich um Leonidas, den Bischof von Athen, handeln, der um das Jahr 250 bei Korinth zusammen mit sieben christlichen Frauen von den Soldaten des römischen Kaisers Decius getötet worden ist. Damals stand Evrytania unter korinthischem Einfluss, was wohl die örtliche Verehrung dieses Heiligen erklärt.

Kirche in Gestalt einer Scheune 

Zwischen Feldern geht es auf engem Sträßchen leicht bergauf, und dabei übersieht  man die Kirche des Märtyrers trotz ihrer beachtlichen Größe leicht, denn der Bau hat die schlichte Gestalt einer Scheune. Im Jahr 1955 fand man nach heftigem Gewitter auf aufgewühltem Ackerboden ein Mosaikteil, das so bedeutend wirkte, dass man ein Stück davon abtrennte und zur Begutachtung nach Athen brachte. Doch die Gemeinde Klavsí brauchte ganze zwei Jahre, bis sie das Archäologische Amt davon überzeugen konnte, dass sich eine Grabung lohnte: Heute stellt die dreischiffige Basilika mit Narthex und Querschiff das einzige frühchristliche Monument der Provinz Evrytania dar. Sie wurde 1968 in den originalen Maßen rekonstruiert und mit einem Holzdach gedeckt, das den Schutz des Mosaiks gewährleistet: Naturmotive aus der Tier- und Pflanzenwelt, reich an christlicher Symbolik, geometrische Muster und Inschriften bilden einen steinernen pastellfarbenen „Teppich“. 

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Megalo Chorió - das Kirchlein Ai Thanassis

Mezedakia im Großen Dorf

Sechs Kilometer weiter schmiegt sich in 720 Metern Höhe, umgeben von dichten Tannenwäldern, „Megalo Chorió“, das „Große Dorf“ an die Flanken des Kaliakouda-Gebirges, dessen Gipfel mehr als 2.100 Meter erreichen. Gegenüber erhebt sich bis zu 1.975 Meter der dicht bewaldete, sanftere Chelidonas mit dem „Kleinen Dorf“, „Mikro Chorió, dessen jüngerer Teil aus einem geradezu feudalen Villen-, Park-  und Ausgehviertel besteht – in der Nähe ist ein Ski-Zentrum – , während darüber auf der Höhe der alte Ortskern mit einer kleinen Platia, übrig geblieben ist. 1963 wurde das alte Dorf nach einem verheerenden Erdrutsch, der auch Menschenleben kostete, verlassen. Zwischen den Ortsteilen entstand damals ein kleiner See. Im Talgrund zwischen den beiden Gebirgen gräbt sich der Karpenitsiotis seinen Weg durch eine lange, enge Schlucht, die wir bald durchfahren werden … 
Doch zuvor lassen wir in Megalo Chorió eine ganze Weile lang „die Seele baumeln“. Das liebenswerte Dorf mit seinen traditionellen Steinhäusern und Ziegeldächern ordnet sich amphitheatralisch um einen kreisrunden Platz, der zugleich Dorfzentrum, Terrasse und Aussichtsplattform ist. Nebeneinander gruppieren sich um eine mächtige Schatten spendende Platane ein plätscherndes gemauertes Brünnlein, Sitzbänke, ein Dorfkiosk, der wie ein kleines „Pantopoleion“ buchstäblich „alles“ im Angebot hat und die Tischchen und Stühle des Cafés „Antigoni“. Dort saßen wir abwechselnd mit Kaffee, Wasser, „Tsipouro“ und „Mezedakia“ (Tresterschnaps mit Häppchen), nicht wissend, wie die Zeit verging, – mit den Augen eintauchend über die roten Dächer hinweg in das dichte Grün des Chelidonas gegenüber und ab und an eine kleine Spazierrunde einlegend durch alte Straßen mit kleinen Läden und weiteren Kaffeehäusern, aus denen es nach den einheimischen Süßigkeiten duftet, so das nach seinem Besitzer benannte winzige „Galaktopureko („Milchpudding“) tou Karveli“.

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Megalo Chorió - Blick über Teile des Dorfes in die Schlucht

Nachhaltiger Tourismus

Wandert man etwas weiter hinaus Richtung Ortsrand, findet man sich auf einem Höhenweg mit weitem Ausblick bis zum Horizont inmitten bunt leuchtender Gärten voller Sommerblumen. Am Ende der Straße, schon außerhalb des Dorfs, steht vor der dunklen Front des Tannenwaldes die hübsche weiße Kirche des Ai Thanassi.Das Dorf hat noch keine 500 Einwohner, wird aber zu jeder Jahreszeit von in- und ausländischen Gästen besucht, die den Einheimischen einen sanften, aber nachhaltigen Tourismus bescheren. Ein kleines Heimatmuseum informiert über örtliche Traditionen und Handwerkskünste und natürlich die Geschichte – sie scheint trotz des Hl. Leonidas eigentlich erst mit dem Befreiungskampf gegen die Osmanen begonnen zu haben.

Im nächsten Teil lesen Sie etwas über das Dorf Proussós.

Text und Fotos von Ursula Spindler-Niros

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