An der Chalkidiki scheiden sich die Geister der Griechenlandfans. Hartgesottene Philhellenen, die die Kargheit der Kykladen, die Wildheit Kretas oder das elegante Korfu mit seinen vielen historischen Dörfern lieben, schütteln entsetzt den Kopf: Da kriegt sie keiner hin. Studienreisende meiden die Chalkidiki, weil dort kaum Altertümer zu finden sind. Trotzdem ist die Chalkidiki das bettenreichste und beliebteste Urlaubsziel auf dem griechischen Festland. Vor allem Strandliebhaber wissen sie zu schätzen. Und alle, die gute Straßen, gute Hotels jeder Kategorie, eben eine nahezu perfekte touristische Infrastruktur mögen.
Griechisches Festland, Teil 1
Für die Kritiker kann man durchaus Verständnis aufbringen. Die Chalkidiki ist zumindest oberflächlich ganz modern. Dörfer, die älter als 100 Jahre sind, muss man wie die Stecknadel im Heuhaufen suchen. Selbst alte Kirchen und Klöster sind Mangelware – von denen in der Mönchsrepublik Athos einmal abgesehen, die geographisch ja auch zur Chalkidiki gehört. Aber da dürfen nur Männer hin – und auch das nur in stark begrenzter Stückzahl und mit speziellem Visum.
Strandhotels statt Sumpfgebiete
Dass die Chalkidiki so modern ist, liegt auch an diesen Athos-Klöstern. Von ihrer Mönchsrepublik aus, verwalteten deren Bewohner auch ausgedehnte Ländereien auf den beiden anderen Halbinseln und im Binnenland der einer Hand mit drei Fingern gleichenden Region. Sie erbauten ein paar Wehrtürme, in denen sie die Ernteerträge bis zum Abtransport in ihre Klöster lagerten, sonst aber fast gar nichts. Bauerndörfer gab es kaum. Weite Teile der Halbinsel Kassandra waren ungesunde Sumpfgebiete, die Halbinsel Sithonia schwer zugängliches Bergland mit hafenarmen Küsten. Beide Halbinseln waren vor allem durch Frachtsegler, nicht aber durch Straßen und Wege mit dem Hinterland sowie den Städten Thessaloniki und Kavala verbunden.Eine erste Wende brachte die kleinasiatische Katastrophe, in deren Folge auf der Chalkidiki zwischen 1923 und 1930 viele tausend Vertriebene aus Kleinasien und von der Schwarzmeerküste angesiedelt wurden. Über zwanzig Dörfer, die alle ein „Nea“ oder „Neos“ im Namen tragen, zeugen davon. Man nahm den Namen der alten Heimatdörfer und setzte ihnen einfach ein „Neu“ voran: Nea Potidea, Nea Fokea oder Neos Marmaras zum Beispiel.
Die zweite Wende läutete die Militärdiktatur ein. Um die Entwicklung des Landes in ihrem Sinne voran zu bringen, vergab sie große Ländereien an investitionsstarke Investoren. Eine Gruppe von Bauunternehmen schuf aus den Sümpfen an der Westküste der Kassandra das Sani Beach Resort, auf der Sithonia erhielt der Großreeder Carras sein Stück vom Kuchen zum Bau eines Luxus-Resorts samt Spielcasino und Golfplatz. Carras machte noch mehr daraus, schuf mit der Domaine Carras ein völlig neues und zudem qualitativ noch hochwertiges Weingut. In der Folgezeit wurden auch die Straßen bestens ausgebaut, die Finger waren bald binnen weniger als 120 Minuten von Thessaloniki aus mit dem Auto zu erreichen. Jetzt kauften sich viele Großstädter neue Häuser und Apartments auf der Chalkidiki, viele kleinere und auch größere Hotels entstanden.
Die Mönchsrepublik Athos beeinflusste lange die Geschichte Chalkidikis
Wandel im Tourismus
Bis 1990 lebte der Fremdenverkehr auf der Chalkidiki, außer von Flugpauschalurlaubern, vor allem auch von Individualreisenden, die mit dem Auto, Motorrad oder Wohnmobil vor allem aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden kamen. Entsprechend hoch ist an den Küsten dieses Landstrichs die Zahl von Campingplätzen. Nach Ausbruch der Bürgerkriege in Ex-Jugoslawien entstand plötzlich ein Loch, das zunächst schwer zu füllen war. Aber der Fall des Eisernen Vorhangs brachte schon schnell eine ganz neue Klientel: Reisende aus Bulgarien, Ungarn, Rumänien und vor allem den ehemaligen Sowjetrepubliken. Viele brachten sich ihre Lebensmittel von zu Hause mit, weil ihr Urlaubsbudget winzig war – andere kamen aber auch mit Schwarzgeldkoffern und kauften sich auf der Chalkidiki ein.
Autos mit Kennzeichen aus osteuropäischen Staaten dominieren bis heute in den Sommermonaten die Straßen der Chalkidiki. Viele deutsche und österreichische Stammgäste sind auf die Peloponnes übergewechselt, wo Patras ja direkt von den Fähren aus Italien angelaufen wird. Gleichzeitig hat die moderne Großhotellerie die Chalkidiki aber auch für Pauschalurlauber attraktiv gehalten, die mit dem Flieger in Thessaloniki landen. Zu den frühen First Class- und Luxushotels „Sani Beach Resort“ auf der Kassandra, „Porto Carras“ auf der Sithonia und „Eagles Palace“ am Ansatz der Athos-Halbinsel haben sich zahlreiche weitere, sehr gute Häuser gesellt. Aber auch der Billigurlauber wird leicht fündig, denn die ziemlich leeren Taschen vieler Osteuropäer haben die Preise für Apartments und Privatzimmer der einfacheren Art gewaltig gedrückt.
Porto Carras: Entstand schon während der Junta-Zeit (1967-1974)
Tausend Strände, ein Heilbad
Das größte Kapital der Chalkidiki sind ihre ganz überwiegend feinsandigen Strände. Manche sind wie die noch völlig unverbaute Strandsichel des Chroussos Beach im äußersten Südosten der Kassandra schneeweiß, andere – wie die Strände an der Nordwestküste der Kassandra zwischen Nea Potidea und dem Sani Beach – intensiv rötlich gefärbt. Generell überwiegen auf der Kassandra lange Strandbänder ganz unterschiedlicher Breite, während die Küsten der Sithonia zumeist durch viele kleine Sand- und auch ein paar Kiesstrandbuchten zergliedert sind. Die schönsten langen Sandstrände dort sind die von Toroni und Sarti.
Selten herrscht an den Stränden der Chalkidiki ein Gedränge, wie auf manchen Inselstränden. Liegestühle und Sonnenschirme sind nur Einsprengsel, beherrschen das Bild nicht. Eine typische Eigenart insbesondere der Sithonia sind die vielen originellen Beach Bars, die vor allem die jungen Leute aus Thessaloniki schätzen. Da kann man zwischen Mitte Juni und Anfang September ganze Nächte lang chillen und nach dem Frühstück am Strand einschlafen.
Fürs Publikum, das nachts lieber schläft und tagsüber auf seine Gesundheit achtet, hält die Kassandra ein heilkräftiges Juwel bereit: das Thermalbad der Gemeinde Pallini ganz im Südwesten der Halbinsel. Architektonisch gibt es sich ganz sachlich-funktional, Wellness-Klimbim mit Duftstäbchen und romantischen Lichtern macht man hier nicht mit. Dafür schwimmt man in einem Innen- und Außenbecken direkt auf der Steilküste im warmen, schwefelhaltigen Thermalwasser, das am Fuße des Küstenfelsens entspringt, kann zu volkstümlichen Preisen Wannenbäder (6 Euro) nehmen und sich massieren lassen, sich seinen Kaffee (0,50 Euro) am SB-Automaten holen und auf der Terrasse mit Meerblick zwischen Griechen genießen.
Auf der Halbinsel herrscht weniger Gedränge, als oft an den Kykladenstränden
Beach Bar Ethnik auf der Sithonia - ein Ort für Tag und Nacht
Die schönsten Dörfer
Trotz der Dominanz der Strände lohnen auch ein paar alte Dörfer den Besuch. Auf der Kassandra darf Afytos als das schönste von allen gelten. Es gleicht einer Symphonie aus Naturstein, der zudem noch in unmittelbarer Ortsnähe gewonnen werden kann. Der leidenschaftliche Bildhauer Vassilis Pavlis konnte in seiner Zeit als Bürgermeister das Dorf davon überzeugen, bei dieser Bauweise zu bleiben, so dass der ganze Ort heute als homogene architektonische Einheit erscheint. Gassen und Straßen entstanden nicht nach Plan, sondern sind gekrümmt und gebogen gewachsen, die Platia ist ein schattiger Ort voller Leben wie in alten Zeiten. In die Steinmauern, die zur Höhenpromenade direkt am Steilufer führen, sind alte Mühlsteine und Reliefs des Ex-Bürgermeisters eingefügt – und am Ende der Höhenpromenade hat der Wirt der Cocktailbar „Mageia“, die wie ein Amphitheater mit Panoramablick wirkt, kürzlich sogar einen Baum aus thassischem Marmor gepflanzt. Stein fasziniert die Bevölkerung und die Besucher.
Auf der Sithonia nimmt Parthenonas unbestritten den Spitzenplatz im Schönheitswettbewerb ein. Obwohl es nur 350 Meter hoch liegt, darf es als einziges Bergdorf auf den Fingern der Chalkidiki gelten. Der Ort entvölkerte sich nach der Neugründung von Neos Marmaras im Jahr 1923 immer stärker, die Menschen zog es in die neue Küstensiedlung. 1970 verließ die letzte Familie Parthenonas, zurück blieb ein Geisterdorf. 1977 kehrte eine erste Familie zurück, setzte ein Haus instand und betrieb es bald als allseits bekannte Taverne. Hinzu kam eine erste Pension, einige verfallende Wohnhäuser wurden restauriert. Heute ist Parthenonas ein beliebtes Ausflugsziel, zumal man von hier aus auch auf leichten Wegen durch grüne Täler an die Ägäis zurückwandern kann.
Nicht sehr alt, aber trotzdem schön enthüllt auch das erst von Kleinasien-Flüchtlingen vor nicht einmal 100 Jahren gegründete Sarti auf der Sithonia dem Feinfühligen historischen Charme. Vom langen, hier besonders breiten Sandstrand aus fällt der Blick über den Golf hinüber auf den Berg Athos, der 2033 Meter hoch, fast senkrecht aus dem Meer aufsteigt. Hinter dem Strand erstreckt sich das Dorf mit seinem rechtwinkligen Straßennetz, das deutlich seine Gründungszeit um 1930 verrät. An den Gassen stehen noch viele alte Flüchtlingshäuser, oft von Hibiskus und Bougainvilleen überrankt. Die kleine Platia mit vielen Bänken, Blumen und Bäumen wirkt besonders intim, die Aneinanderreihung von Cafés und Tavernen an der kurzen Uferpromenade und gemütliche Musikkneipen an der kurzen Stichstraße vom Dorf zur Sithonia-Rundstraße sorgt für abendliche Unterhaltung ohne zu viel Trubel. Osteuropäische Urlauber überwiegen, ein Reisebüro an der Platia bietet nicht nur seinen vielen slowakischen Kunden geführte Eselsritte als Ausflüge an. Die Tavernen haben ihr Angebot auf die neue Kundengruppe umgestellt: Statt teurer Langusten gibt es jetzt viel preiswertes Gyros.
Im zweiten Teil erfährt man u.a. etwas über die einzige bewohnte Insel Makedoniens, den Badestrand des Aristoteles sowie über eine „touristische Vorhölle“.
Text von Klaus Bötig