Login RSS

Die beiden Schotten

  • geschrieben von 
Foto © GZ/Robert Stadler Foto © GZ/Robert Stadler

Fortsetzungs-Satire: „Ich habe zwar nichts gegen Griechen …“ – Teil 3

Der Text stammt aus der Feder von Dr. Michael Neu. Er studierte Geschichte und Politik an den Universitäten Siegen, British Columbia (Kanada) und Sheffield (GB). Nach einer zweijährigen Episode als Englischlehrer am Städtischen Gymnasium Kreuztal, der besten Zeit seines Lebens, ist er seit 2012 Lektor für Philosophie, Politik und Ethik, an der „School of Humanities“ der University of Brighton. Es bleibt uns nur, Ihnen eine gute Unterhaltung zu wünschen. Und lassen Sie sich irritieren: Es handelt sich um eine SATIRE. Los geht's auch schon mit dem letzten Teil der Kreta-Reise, diesmal am Hotelpool mit Touristen.

Ich sitze bei Lykourgos an der Bar und beobachte das bunte Treiben. Irgendein Rotzbengel hat einer mittelalten Dame beim Sprung in den Pool ein paar Spritzer zugefügt. Auch dazu muss ein schriftlicher Bericht angefertigt werden. Außerdem beschwert sich ein dicker Tourist über den erhöhten Chorgehalt im Poolwasser der Papadopoulos. Triumphierend schwenkt er seine Badehose, die eindeutig verfärbt sei, was zwingend auf einen zu hohen Chlorgehalt zurückzuführen sei. Der Mann fordert Schadenersatz. Ich trinke Bier. Es hält nicht gerade das, was man sich von einem deutschen Bier versprechen würde, aber ist es gut gekühlt. Und Barmann Dimitris scheint ein lustiger Zeitgenosse. Außerdem ist da noch Dimitris‘ Vater Spyros, bei dem man sich wundert, dass beim Sprechen kein Rauch aus seinem Mund aufsteigt. Duncan und Angus, zwei Schotten aus Edinburgh, runden das Bild ab. Sie könnten ohne weiteres aus Glasgow stammen. Angus wiegt drei Zentner und Duncan ist von oben bis unten tätowiert. Ich begehe den Fehler, Duncan als „English-Man“ zu bezeichnen. „Scots-Man“ sei er, „not a fucking Brit“, und „English-Man“ schon gar nicht. Lieber wäre er tot. Duncan schwingt seine Faust und geht auf mich los. Angus hält ihn gerade noch zurück, was gar nicht nötig wäre, da Duncan völlig entkräftet ist. Man müsste im Grunde nur gegen griechische Kakteen allergisch sein und einmal kräftig in seine Richtung niesen – der Schotte würde rückwärts in den Pool klatschen und nie wieder auftauchen.

Lykourgos beschwichtigt; er kennt Duncan seit vielen Jahren. „Jürgen ist Deutscher, Duncan, er kann keine Akzente unterscheiden. Glaub mir, er verachtet die Engländer. Außerdem ist er nicht das schärfste Messer in der Schublade.“ „Yes, Duncan”, stoße ich ins selbe Horn, „I don’t have all cups in my cupboard. Scheiß’ auf die Engländer! Lass uns trinken, mein schottischer Freund.” Duncan lässt sich beruhigen. Statt uns zu prügeln trinken wir. Duncan kippt Unmengen an Wodka mit Cola in sich hinein. Dabei achtet er penibel darauf, dass Dimitris ihm immer reichlich Wodka einschenkt – und nur wenig Cola. „Trinkt man in Schottland nicht eher rauchigen Whiskey als billigen russischen Wodka mit süßer amerikanischer Limonade?“, frage ich. „Das ist ein dummes Vorurteil aus England. Ich dachte immer, Ihr Deutschen wäret so entsetzlich schlau und würdet nicht immer allen Mist glauben, den Euch die Leute so auftischen?“ Duncan und Angus haben im Lotto gewonnen und Geld wie Heu: 1,2 Millionen Pfund pro Nase. Und sie haben keine Ahnung, wie sie es ausgeben sollen. Also fliegen sie vier Mal im Jahr nach Griechenland, lassen ihre Frauen links liegen und sitzen den ganzen Tag bei den Papadopoulos an der Bar. Alle zwei Stunden springen sie zur Abkühlung in den Pool – offensichtlich ohne sich vorher eingecremt zu haben, denn ihre Haut pellt sich.

Dem fetten Angus wird die Unterhaltung zu viel. Er lässt sich auf einer Liege nieder, von der man zunächst nicht erwartet, dass sie seinem Gewicht standhalten könnte. Während Duncan immerfort auf mich einredet, mache ich mir Sorgen um Angus. Dicke Leute, die mit offenem Mund schlafen, aber dabei nicht schnarchen, sehen immer gleich so tot aus. Allerdings meine ich zu beobachten, wie sich Angus’ mächtige Bauchdecke, der flachen Atmung folgend, ein wenig hoch und runter bewegt. Es ist ein trostloser Anblick. Meinetwegen kann der fette Angus ruhig sterben. Er hat ohnehin nichts mehr vor in seinem Leben. Es wäre ein schöner, schmerzfreier Tod, in reizvoller Umgebung.

Duncan wird ebenfalls bald sterben. Er hat zwei Herzinfarkte hinter sich. Der dritte wird ihn laut Arzt das Leben kosten. Duncan ist 40, seit 30 Jahren mit derselben Frau zusammen und hat zwei Söhne, von denen nur einer Alkoholiker ist (die beiden Enkelkinder sind noch zu jung, um Alkoholiker zu sein). Seine Frau beschwert sich jeden Tag darüber, dass er seit dem Lottogewinn nur noch an der Theke hockt und säuft. Natürlich hat sie Recht, wie eigentlich fast alle wütenden Ehefrauen, aber Duncan kann die Dinge nun mal nicht ändern. All dies erzählt mir Duncan über eine Stunde lang. Drei Dinge betont er dabei immer wieder:
„I’m just a fucking Scotsman.” („Ich bin nur ein fickender Schotte“, wobei „fickender” hier metaphorisch zu deuten ist.) „I’m not fucking English.” („Ich ficke keine Engländer.“) „I just about fell out with you.” („Ich hätte dir fast die Eier ausgerissen.“) Seine rechte Hand, die Duncan mir ständig reicht, um sich dafür zu entschuldigen, dass er fast mit mir aneinandergeraten wäre, ist völlig verbogen und verzogen. Die Finger sind krumm und zwei Fingerkuppen fehlen gänzlich. Alles von Pub-Kämpfen aus der Vergangenheit. „Du hast Glück gehabt, Deutscher, dass ich mich im letzten Moment beherrschen konnte. Sonst wärst du jetzt nicht mehr.“ „Was hast du denn genau gegen die Engländer?“ frage ich, um vom Thema abzulenken. Duncan überlegt und legt die Stirn in Falten. Er nimmt einen großen Schluck Wodka-Cola. „Das kannst du nicht verstehen.“ Lange Pause. „Ich hätte dir fast die Eier ausgerissen.“

 

Nach oben

 Warenkorb