Ein Zwischenstopp im Küstenstädtchen Leonidio auf der südöstlichen Peloponnes im Mai, außerhalb der Saison. Es kommt zu einer Begegnung mit einem passionierten Opernsänger, einem Wagnerianer. Im Gespräch mit ihm geht es nicht um Geldsorgen oder die Krise, sondern einzig um Musik und Poesie.
Lange ist es her, dass wir das letzte Mal in Leonidio waren, genauer gesagt 1983, im Mai. Damals näherten wir uns von der anderen Seite, auf der abenteuerlichen Gebirgsstraße über Geraki und Kosmas auf 1.150 Metern Seehöhe, über einsame Schotterstraßen, mit Begegnungen wie der mit dem Bauern, der das Getreide noch mit der Sichel mähte. Kosmas bestand nur aus schiefergedeckten Häusern auf einer Art Alm. Die Telefonleitungen wurden noch von Hand gestöpselt und im Kafenion bullerte ein Kanonenofen in der Maikälte vor sich hin. Verglichen damit war Leonidio, das saubere Kleinstädtchen mit griechisch-gemütlichem Flair, ein Ausbund an Modernität.
Viele Veränderungen im arkadischen Dorf
Seither hat sich einiges geändert im arkadischen Ort, nicht nur weil er durch eine Gemeindezusammenlegung Verwaltungssitz wurde. Die vormals abenteuerlichen Gebirgsstraßen im Hinterland wurden asphaltiert, die idyllischen aber verfallenen Schieferdächer im Bergdorf Kosmas durch praktischere, aber etwas unpassende knallrote Ziegeldächer ersetzt, die leerstehenden Häuser mit Öl-, Honig- und Gewürzläden für Touristen bestückt.
Auch Leonidio erkannten wir trotz aller Veränderungen gleich wieder. Hier spielt sich der Tourismus ab, vor allem in Plaka. Allerdings war jetzt, außerhalb der Hauptsaison, nicht allzu viel hier los. Wir wollten ja auch nur eine Zwischenübernachtung einlegen auf dem Weg nach Monemvasia, dafür würde es wohl reichen. Schließlich werben gleich zwei „Archontika“ (Herrenhäuser) mit luxuriös-historischem Ambiente. Das Hotel „Chatzipanagiotis“ war auch schnell gefunden.
In Leonidio trifft man auf nette Häuser und Herrenhäuser
In Leonidio trifft man auf nette Häuser und Herrenhäuser
Schon König Otto war hier zu Gast
Der Reeder Kostas Chatzipanagiotis, so lehrt uns der Webauftritt, erbaute es im 19. Jahrhundert. Die Familie leistete 1821 einen wesentlichen Beitrag im Befreiungskrieg von der osmanischen Herrschaft und brachte einen Bürgermeister hervor. Besonders stolz ist man, einen Besuch des aus Bayern stammenden ersten griechischen Königs Otto im Jahre 1844 in diesem Haus verzeichnen zu können. Den für Nichtgriechen zungenbrecherischen Namen der Gründerfamilie könnte man mit der „Jerusalempilger der Muttergottes“ wiedergeben. Denn: Chatzi ist eine Analogie zum arabischen Hadschi, dem Mekkapilger. Das Wort wurde gläubigen Griechen nach einer Jerusalemwallfahrt zugeordnet, und der männliche Vorname Panagiotis leitet sich von Pan-agía ab, der All-Heiligen, der Muttergottes also.
Schnell bekannt wie bunte Hunde
Vorerst können wir von der Herberge nur die Straßenfassade und das geschlossene Eingangstor betrachten. Davor ein Korb mit Prospekten, der Hotelbetrieb dürfte aufrecht sein. Nach kurzer Wartezeit auf eine vielleicht gleich auftauchende Person beschließen wir, den benachbarten „Kafetzis“ (Kafenion-Betreiber) zu fragen. Der weiß nichts, holt aber einen anderen heran, während wir erst einmal ein Getränk zu uns nehmen. Der andere verschwindet und kommt nicht wieder. Nach einiger Zeit wird beschlossen, die Telefonnummer, die auf dem Prospekt angegeben ist, zu kontaktieren. Während es läutet, taucht ein dritter Helfer auf. Die Frau am anderen Ende der Leitung verspricht derweil die baldige Ankunft einer zuständigen Person. Nach zehn Minuten erscheint Helfer Nummer 4, der zu berichten weiß, dass noch mit fünf Minuten Wartezeit zu rechnen ist. Schließlich biegt Nummer 5, ein älterer Ortsbewohner auf einer Vespa um die Ecke, auf dem Sozius ein junges Mädchen mit einem Schlüssel. Unnötig zu erwähnen, dass wir nach diesem Pan-Leonidischen Projekt keine Unbekannten mehr in der Stadt sind.
Antwort auf die Frage nach dem WLAN
Die junge Rezeptionistin zeigt uns das Haus und zwei Zimmer. Das ursprüngliche Herrenhaus wurde mit enormem Aufwand in ein Hotel verwandelt. Am Ende eines ummauerten, gepflasterten Innenhofs befindet sich das zweistöckige Hauptgebäude mit straßenseitiger Dachterrasse, was einen direkten Blick auf das Stadtgeschehen erlaubt. Inwiefern noch alte Bausubstanz vorhanden ist und was um- oder zugebaut wurde, lässt sich nicht mehr feststellen. Jedenfalls muss es sich um einen mutigen Investor gehandelt haben, so nicht irgendwelche Fördertöpfe angezapft wurden.
Die Zimmer sind sehr klein und ohne Balkon oder Terrasse, die Badezimmer noch kleiner. Auf die Frage nach dem – in griechischen, selbst einfachsten Unterkünften allgegenwärtigen – WLAN hält die junge Dame triumphierend ein Kabelende hoch. Aber schließlich gibt es Wichtigeres als E-Mail oder Internet, und später stellt sich auch noch heraus, dass das offene Haus-WLAN ohnehin auch im Zimmer funktioniert.
Es geht auch ohne Frühstück
Der Zimmerpreis von 70 Euro inklusive Frühstück kommen uns in Anbetracht des winzigen Zimmers und der Jahreszeit etwas happig vor, wenn man bedenkt, dass wir auf dieser Reise schon recht luxuriöse, geräumige Apartments mit eigener Terrasse direkt am Meer um die Hälfte des Geldes bewohnt haben. Ob man das Frühstück eventuell weglassen könne? Unsere Erfahrungen mit griechischem Hotelfrühstück haben uns schon vor Jahren gelehrt, dass einem Kaffee, irgendwo, und etwas vom Bäcker immer der Vorzug zu geben ist. Doch nein, leider, ohne Frühstück, das sei unglücklicherweise gänzlich unmöglich. Seufzend akzeptieren wir und gehen das Gepäck aus dem geparkten Auto holen.
Bei unserer Rückkehr passt uns die Rezeptionistin händeringend ab. Es sei jemand krank geworden und nun gäbe es ein Problem mit dem Frühstück. Ob es uns wohl sehr viel ausmachen würde, darauf ausnahmsweise zu verzichten und dafür nur 60 Euro für das Zimmer zu bezahlen? Es gäbe Cafés ganz in der Nähe und einen Bäcker praktisch gegenüber … die Blicke, die wir bei unserem gnädigen Verzicht austauschen, sprechen Bände.
Ein Gartenlokal mit Überdachungsplane
Für einen Drink und gehen wir am frühen Abend in den Ort. Es fängt an zu tröpfeln, zu regnen, in Strömen zu regnen, zu schütten und zu gießen. Gut, dass wir ein Gartenlokal mit Überdachungsplane gewählt haben. Rasch passen sich Besucher und Betreiber der Situation an. Der Kellner, der, um zum Garten zu gelangen, die Straße überqueren muss, tut das mit dem Tablett in der einen und dem Regenschirm in der anderen Hand. Alle finden das gut, schließlich soll das Bier nicht verwässert werden. Man rückt zusammen, in die Mitte, weg von den Rändern der Plane. Auch der riesige Flachbildfernseher mit deutscher Bundesliga muss mehr ins Zentrum und wird später sogar ausgeschaltet, vom Strom getrennt und abgedeckt. Wir rücken ebenfalls. Das hat den Vorteil, dass wir jetzt mit unseren Nachbarn am Nebentisch ins Gespräch kommen.
Ein Deutsch sprechender Bariton und Wagnerianer
Drei Herren, ein kleiner verschmitzter mit grauen Haaren, ein massiger, etwas jüngerer mit Bart, und ein eher unauffälliger sitzen dort bei ihrem Bier und einer Pikilia, dem Teller mit kleinen Häppchen. Sie lassen es sich nicht nehmen, diesen mit uns zu teilen und uns dazu noch auf ein Bier einzuladen. Wir packen unser bestes Griechisch aus, doch es stellt sich heraus, dass der Massige ein passionierter Opernsänger ist, ein Bariton und Wagnerianer, und recht ordentlich Deutsch spricht. So verläuft die Unterhaltung zweisprachig: Wir sprechen Griechisch, der beiden anderen wegen und um zu üben, der Sänger spricht Deutsch, unseretwegen, um zu üben und vielleicht auch, um seinen Tischgenossen zu demonstrieren, dass er es tatsächlich kann.
Dass wir seine Wagnerbegeisterung nicht teilen, ist ein kleiner Rückschlag, doch schließlich einigen wir uns auf Mozart, das passt für uns Österreicher auch besser. Endlich wird der Vorname meines Mannes, Wolfgang, mit Mozart und Freude statt mit Schäuble und Entsetzen assoziiert. Hier zeigt sich, dass auch italienische Arien im Repertoire unseres neuen Freundes vorkommen: „Là ci darem la mano“ wird gemeinsam angestimmt, die Verführungsarie aus „Don Giovanni“. Die übrigen Gäste machen immer mehr den Eindruck, sich das Fußballprogramm zurück zu wünschen …
Auf einem klapprigen Moped tuckert er vorbei
Wir finden es schon sehr bemerkenswert, dass ein nicht hauptberuflich (so viel ist offensichtlich) auftretender Sänger allein auf Grund der Opern so gut Deutsch gelernt hat, kennen wir doch Beispiele von weltberühmten, hochbezahlten Diven, die ihre deutschen Rollen wie ein Papagei auswendig lernen, ohne die Worte zu verstehen. Gegen Ende des Gesprächs rückt unser Bariton sogar damit heraus, Rilke und andere deutschsprachige Dichter im Original gelesen zu haben und zitiert Poesie.
Am nächsten Tag besichtigen wir vor der Weiterfahrt den Ort. Leonidio hat einige schöne, nicht umgebaute oder zumindest schonend restaurierte Archontika zu bieten. Die imposant hochragenden Felswände sind wohl auch ein paar Fotos wert. Sie bilden übrigens ein bekanntes Eldorado für Sportkletterer.
Unseren Wagnerianer sehen wir nur noch kurz von weitem wieder, in ausgebeulten kurzen Hosen auf einem klapprigen Moped vorbeituckernd, das für diese Last zu schwach wirkt. Ist das sein einziges Fahrzeug? Ob dieser gebildete Mann seine Fähigkeiten sinnvoll einsetzen kann? Beruf, Geld verdienen, Arbeit, Geldsorgen, Krise – all das war am Tag zuvor kein Thema gewesen, einzig Musik und Poesie, Poesie und Musik.
Unser Foto (© Eurokinissi) zeigt einen hübschen Strand in Leonidio
Text und Fotos von Heidi Perr