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Besuch des türkischen Staatspräsidenten Erdogan in Athen: Aufbau des gegenseitigen Vertrauens Tagesthema

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Unser Archivfoto (© Eurokinissi) entstand während eines Treffens zwischen Premierminister Kyriakos Mitsotakis (l.) und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Unser Archivfoto (© Eurokinissi) entstand während eines Treffens zwischen Premierminister Kyriakos Mitsotakis (l.) und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Nach einer längeren Frostperiode kommen sich Athen und Ankara seit März wieder näher. Bisheriger Höhepunkt des Tauwetters könnte der Donnerstag werden: Dann kommt der türkische Präsident Erdogan, begleitet von einer Ministerdelegation, zu Gesprächen in die griechische Hauptstadt. Damit es zu keinen Zwischenfällen kommt, sind tausende Polizisten auf den Beinen.

Bald ist es soweit. Am Donnerstag (7.12.) kommt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zu einem offiziellen Besuch nach Athen. Dabei stehen zunächst Begegnungen mit Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou und anschließend mit Premierminister Kyriakos Mitsotakis auf dem Programm. Es folgen Statements gegenüber der Presse. Anschließend tagt der Höchste Kooperationsrates zwischen Griechenland und der Türkei. Diesem gehen Treffen verschiedener Minister beider Länder voran.

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Mitsotakis (l.) und Erdogan

Pflege der bilateralen Beziehungen
Um das derzeit recht gute bilaterale Verhältnis nicht zu torpedieren, will man zunächst über weniger brisante Themen sprechen. Dahinter steht die Absicht, zunächst erst einmal gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Ganz oben auf der Gesprächsliste stehen die Asyl- und Flüchtlingsfrage. Griechenland möchte erreichen, dass Ankara mehr Immigranten zurücknimmt, die illegal von der türkischen Küste aus nach Hellas gekommen sind und hier keinen begründeten Anspruch auf Asyl haben. Auch will man vereinbaren, dass ein hochrangiger Vertreter der griechischen Küstenwache in Izmir stationiert wird; ein Kollege der türkischen Küstenwache wird hingegen vermutlich auf der Insel Lesbos im Einsatz sein. Durch diese Vertretungen soll vor allem der Kontakt zwischen beiden Seiten verbessert und deren Einsätze besser koordiniert werden.
Weitere Themen betreffen wirtschaftliche Kooperationen, Kulturfragen sowie den Tourismus. So etwa soll für Kurzurlauber aus der Türkei die Visumspflicht für die griechischen Ägäis-Inseln abgeschafft werden.
Es wird erwartet, dass mindestens 20 bilaterale Kooperations-Verträge unterzeichnet werden. Von griechischer Seite werden sich die Minister für Äußeres, Verteidigung, Migration, Wirtschaft, Bildung, Kultur- und Tourismus beteiligen.
Zu den Themen, die man im Moment lieber nicht ansprechen möchte, gehört etwa die Festlegung der Ausschließlichen Wirtschaftszone in der Ägäis.

Erhöhtes Polizeiaufkommen
Dem Vernehmen nach wird sich Erdogan nur für etwa sechs Stunden in der griechischen Hauptstadt aufhalten. Um seine Sicherheit zu gewährleisten, werden etwa 3.500 Ordnungshüter im Einsatz sein. Gut abgeschirmt werden soll die gesamte Route, auf der die türkische Delegation unterwegs sein wird. Ebenfalls bewacht werden Gebäude und Einrichtungen, die mit der Türkei in Verbindung stehen, allem voran die türkische Botschaft.
Die Arbeit der Polizei wird als besonders schwierig eingestuft, da der Erdogan-Besuch unmittelbar nach dem Todestag von Alexandros Grigoropoulos durchgeführt wird; der damals 15-Jährige war am 6. Dezember 2008 von einem Polizisten ermordet worden. Aus diesem Anlass werden am Mittwoch heftige Proteste in vielen Landesteilen, und vor allem in Athen erwartet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es zu Ausschreitungen kommen könnte.

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Treffen einer griechischen und einer türkischen Delegation

Erfolgreiche Erdbeben-Diplomatie
Bis Anfang des Jahres waren die griechisch-türkischen Beziehungen schwer unterkühlt. In der jüngeren Vergangenheit standen beide Seiten in der Ägäis wiederholt an der Schwelle zu militärischen Konfrontationen. Im vorigen Jahr hatte Erdogan erklärt, dass er jeglichen Kontakt zu Griechenlands Premierminister abbreche.
Im Februar ereigneten sich in der Türkei mehrere verheerende Erdbeben, mehr als 50.000 Menschen kamen dabei ums Leben. Athen gehörte zu den ersten Ländern, die der Türkei tatkräftige Hilfe angeboten hatten. Diese Unterstützung wurde damals von einigen Beobachtern als „Erdbeben-Diplomatie“ bezeichnet. Ankara nahm die Hilfsangebote aus Athen dankend an. Vor diesem Hintergrund kam es im Juli in Vilnius im Rahmen eines NATO-Gipfeltreffens nach trotziger Zeit des Schweigens zu einer ersten Begegnung zwischen Mitsotakis und Erdogan. Seither haben sich die beiden Regierungs- bzw. Staatsoberhäupter mehrfach die Hände geschüttelt.
Allerdings sollte man sich angesichts dieser Begegnungen keine allzu großen Hoffnungen machen: Die Lösung schwieriger Themen liegt nach wie vor in weiter Ferne. So etwa forderte Ankara immer wieder eine Entmilitarisierung griechischer Inseln, was von Athen mit Verweis auf das Recht zur Selbstverteidigung entschieden zurückgewiesen wird.

Treffen der Regierungen
Der ehemalige EU-Kommissar für Migration Dimitris Avramopoulos (2014-2019) beschrieb den Besuch von Erdogan und seiner Delegation in Athen als ein Treffen zwischen zwei Regierungen und nicht nur zwischen den Personen Mitsotakis und Erdogan. Der frühere Ministerpräsident Jorgos Papandreou (2009-2011) stellte seinerseits in einem Beitrag in der konservativen Zeitung „Kathimerini“ fest, dass es in der Außenpolitik schwierig sei, gute bilaterale Beziehungen aufzubauen. Umso schneller könnten solche dann auch wieder zerstört werden, gab er zu bedenken. Der Sozialist fügte hinzu, dass gute bilaterale Beziehungen zwischen Athen und Ankara auch Impulse für die Stabilität der gesamten Region aussenden könnten.

Die Opposition ist skeptisch
Über den geplanten Besuch von Erdogan und seiner Delegation hat Außenminister Jorgos Gerapetritis sowohl Staatspräsidentin Sakellaropoulou als auch die Vorsitzenden der Parlamentsparteien informiert. Mit der Präsidentin war sich Gerapetritis einig, dass es vor allem darum gehe, das internationale Recht zu respektieren.
Der Vorsitzende der größte Oppositionspartei SYRIZA Stefanos Kasselakis forderte Gerapetritis seinerseits und die Regierung dazu auf, die internationalen Allianzen des Landes zu nutzen. Ziel sei es, Ankara davon zu überzeugen, langfristig am griechisch-türkischen sowie am türkisch-europäischen Dialog festzuhalten. In der sozialistischen PASOK sprach man sich eher zurückhaltend für einen „Dialog unter Voraussetzungen“ aus. Die faschistische Partei Spartiates und die patriotische Partei Niki stehen dem Besuch Erdogans in Athen skeptisch gegenüber. (Griechenland Zeitung / Elisa Hübel)
 

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