Er ist jung, homosexuell und reich. Stefanos Kasselakis ist ein Novum in der griechischen Politik. Am Sonntag wurde er zum Oppositionsführer des Landes gewählt. Obwohl der 35-jährige Unternehmer aus den USA bisher kaum über politische Erfahrung verfügt, verspricht er, die Linkspartei SYRIZA wieder in die Regierung zu bringen.
Vor nur wenigen Wochen hätte niemand einen derartigen Triumph eines Quereinsteigers bei der linken Partei SYRIZA für möglich gehalten. Am Sonntag (24.9.) votierten 71.000 Parteimitglieder und Freunde der Partei für den aus den USA kommenden 35-jährigen Reeder Stefanos Kasselakis, der griechische Wurzeln hat und seine Kindheit und frühe Jugend in Hellas verbrachte. Nun ist er frischgebackener Vorsitzender der größten Oppositionspartei des Landes, Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA). Bei den Stichwahlen schlug er seine Opponentin, die ehemalige Arbeitsministerin Efi Achtsioglou, deutlich: Diese kam auf 56.000 Stimmen.
Nach dem Wahlsieg von Kasselakis skandierten seine Anhänger begeistert Parolen wie: „Stefan halt fest, wir holen uns wieder die Regierung!“ oder „Stefan schreite voran, verändere alles!“ Der neue Parteichef selbst kommentierte etwas pathetisch: „Das Licht hat heute gewonnen, und die Hoffnung wird die Zukunft.“ Drei Mal hintereinander wiederholte er lautstark, dass er seine Wähler nicht verraten werde.
Efi Achtsioglou
Arbeit mit Sozialen Medien
Beobachter meinen, dass Kasselakis deshalb das Rennen um den Parteivorsitz für sich entscheiden konnte, weil er einen frischen Wind in die Politik zu bringen scheint. Für ihn spricht, dass er sich völlig offen zu einer festen Beziehung mit einem anderen Mann bekennt, was in Griechenland im Bereich der Politik nicht selbstverständlich ist. Zum anderen ist er in den Sozialen Medien gut vertreten und könnte damit auch die jüngere Generation für sich gewinnen.
Ein objektiver Nachteil könnte sein, dass er die letzten zwei Jahrzehnte seines Lebens im Ausland gelebt hat, und einige Facetten des griechischen Alltags möglicherweise nicht klar beurteilen kann. Auch viele Details der griechischen Außenpolitik dürften ihm eher vom Hörensagen bekannt sein. Dessen ungeachtet gibt sich der neue Steuermann bei SYRIZA staatsmännisch. Seine erste Auslandsreise, so kündigte er an, werde ihn nach Zypern führen; eine symbolische Geste, die normalerweise eher bei frisch gekürten Außenministern und Regierungschefs in Griechenland üblich ist.
Kasselakis mit seinem Partner
Vergleich mit PASOK
Ein gewisser Nachteil für die Oppositionsarbeit dürfte sein, dass Kasselakis nicht im Parlament vertreten ist; er kann deshalb als Parteiführer nicht mit Reden in der Volksvertretung punkten.
Ähnlich gelagert war dieser Fall auch bis zu den jüngsten Parlamentswahlen bei der sozialistischen PASOK. Als Nikos Androulakis im Dezember 2021 die Parteiführung bei den Sozialisten übernommen hatte, hatte er ebenfalls kein Mandat in der griechischen Volksvertretung – er saß damals im Europaparlament.
Der Wahlsieg von Kasselakis dürfte auf jeden Fall auch in den Reihen der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) thematisiert werden. Der aus den USA eingereiste Unternehmer präsentierte sich bisher als Opponent von Premier Kyriakos Mitsotakis und machte mehrfach sein Ziel deutlich, diesen an der Regierung abzulösen.
Kurs auf die Europawahlen
Am Montag wird sich Kasselakis erstmals mit seinem Vorgänger Alexis Tsipras treffen, der zwischen 2015 und 2019 das Land in einer linken Regierung unter SYRIZA geführt hatte. Tsipras war 15 Jahre Parteivorsitzender. Im Gegensatz zu Kasselakis hatte er bereits im jungen Alter politische Erfahrung gesammelt. Die 2010 ausgebrochene Finanz- und Wirtschaftskrise hatte ihm und SYRIZA die Chance gegeben, die Regierungsgeschäfte des Landes zu übernehmen.
Bei den Parlamentswahlen im Sommer erlitt SYRIZA eine heftige Niederlage: Die Partei erhielt nur 17,83 % der Stimmen, während die ND mit 40,56 % eine autonome Regierung bilden konnte. Die PASOK kam als drittstärkste Partei auf 11,84 %. Inzwischen sind die Sozialisten für SYRIZA durchaus eine Bedrohung, denn der Abstand zwischen beiden Parteien ist stark geschmolzen. Im Zuge dieser Entwicklungen sah sich Tsipras gezwungen, den Hut zu nehmen und seinen Posten für einen Nachfolger freizumachen.
Einige Beobachter gaben bereits zu bedenken, dass der Wahlsieg von Kasselakis zu einer Spaltung bei SYRIZA führen könnte. Die erste Hürde für den frisch gekürten Linkspolitiker dürften die Europawahlen im kommenden Sommer sein; für das Ergebnis bei den Kommunalwahlen am 8. bzw. 15. Oktober wird er kaum verantwortlich sein. (Griechenland Zeitung / Elisa Hübel)