Der offizielle Besuch von Erdogan in Athen am Donnerstag und die Treffen mit der politischen Spitze Griechenlands wurden von den meisten griechischen Medien mit dem Adjektiv „historisch“ bewertet: Zum ersten Mal wurden alle bilateralen Meinungsverschiedenheiten offen auf dem Tisch gelegt.
Der offizielle Besuch des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Athen ist am Freitag beendet worden. Die Gefühle der meisten Griechen, die die Stippvisite am Bildschirm miterleben durften, sind eher gemischt. Die Gespräche mit der politischen Führung in Athen haben sich überwiegend auf die muslimische Minderheit in Thrakien und die Auslieferung von acht türkischen Offizieren nach Ankara konzentriert. Letztere hatten nach einem gescheiterten Putschversuch in der Türkei per Hubschrauber Zuflucht in Griechenland gesucht. Von der türkischen Seite wurde bei den Gesprächen auch der 1923 geschlossene Vertrag von Lausanne favorisiert. An diesem wünscht sich Ankara gewisse „Aktualisierungen“, wie Erdogan es ausdrückte.
Im Rande wurde auch die Zypernfrage erörtert, außerdem brachte die griechische Seite die permanenten Luftraumverletzungen durch türkische Kampfflugzeuge zur Sprache.
Flüchtlingskrise im Gespräch
Erdogan hat u. a. Verständnis dafür gezeigt, dass Asylsuchende – die von der türkischen Küste aus ohne legale Reisepapiere nach Griechenland gekommen sind – ohne weitere Folgen vorläufig aufs griechische Festland umgesiedelt werden dürfen. Das verschafft den Inseln in der Ostägäis eine gewisse Entspannung. Der EU-Türkeipakt untersagt einen solchen Schritt offiziell. Demnach dürften nur Menschen, denen ein Flüchtlingsstatus zuerkannte wurde, das Festland betreten. Alle anderen müssen repatriiert oder zurück in die Türkei gebracht werden.
Vereinbart wurden zudem der Ausbau von Infrastrukturen und die Durchführung des bilateralen obersten Kooperationsrates „so bald als möglich“.
Ehrlichkeit und Intensivität
Begonnen hatten die Unterredungen in Athen etwas angespannt, weil der türkische Präsident gleich zu Anfang den Vertrag von Lausanne in Frage stellte. Bereits im vorigen Jahr hatte er in diesem Zusammenhang von „unfairen Bedingungen“ gesprochen. Präsident Pavlpoulos wies die türkischen Ansichten klar zurück. Der Vertrag brauche weder aktualisiert noch überarbeitet zu werden: Er sei „nicht verhandelbar“.
Ministerpräsident Alexis Tsipras konnte bei seinem anschließenden Treffen mit dem Besucher aus Ankara das Klima wieder glätten. Das Gespräch sei „ehrlich und intensiv“ verlaufen, hieß es im Anschluss. Tsipras stellte fest, dass Griechenland die Demokratie in der Türkei unterstütze. Das gleiche gelte für die europäische Perspektive des Nachbarlandes. Er brachte seine Abscheu für den Putschversuch im Sommer 2016 zum Ausdruck. Die Offiziere, die in Griechenland Zuflucht gefunden haben, seien zwar nicht willkommen, sie können aber nicht ausgeliefert werden, weil ein griechisches Gericht einen solchen Schritt unwiderruflich verboten hat. Erdogan erwiderte, dass die Todesstrafe per Gesetz in seinem Land verboten sei, auch würde keine Folter durchgeführt. Er hoffe, dass die griechischen Gerichte Verständnis zeigen würden.
Innergriechische Angelegenheit
Was den Vertrag von Lausanne anbetrifft, so wiederholte Tsipras, dass dieser das Fundament für die bilateralen Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei sei. Erdogan stellte fest, dass sein Land kein Ansinnen auf das Territorium anderer Länder habe.
Was die muslimische Minderheit in Thrakien angeht, so erklärte das griechische Regierungsoberhaupt, dass deren religiöse Rechte absolut respektiert werden. Vor allem seine Regierung deren maßgebliche Kraft das Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA) ist, setzt sich für die Minderheiten und deren Rechte ein. Gleichzeitig stellte er klar, dass es sich bei Themen, die die muslimische Minderheit in Thrakien betreffen, um innergriechische Angelegenheiten handelt.
„Gefahr für unsere Piloten“
Zur Sprache kamen auch die Verletzungen des griechischen Luftraumes durch türkische Kampfjets in der Ägäis. Tsipras stellte fest, dass diese eine Gefahr für die bilateralen Beziehungen und „für unsere Piloten“ sei. Erdogan erklärte diplomatisch eher ausweichend, dass die Themen, die die Ägäis bestreffen, zwar „schwierig“ seien. Es bestehe jedoch die Möglichkeit, dass diese gelöst werden könnten.
Was die Zypernfrage angeht, so wiederholte der Ministerpräsident Griechenlands, dass sich sein Land für einen wiedervereinigten Bundesstaat Zypern einsetze: Ein Staat ohne Garantiemächte und ausländliche Truppen, in der griechische und türkisch Zyprioten in Sicherheit leben können.
Kritik der Opposition
Am Donnerstagnachmittag hat sich Erdogan auch mit dem konservativen Oppositionschef Kyriakos Mitsotakis aus den Reihen der Nea Dimokratia (ND) getroffen. Letzterer hat betont, dass das internationale Recht respektiert werden müsse. Die übrigen Oppositionsparteien haben den offiziellen Erdogan-Besuch stark kritisiert. Im Vordergrund stand dabei, dass dieser nicht notwendig und zugleich schlecht organisiert gewesen sei.
Erdogan reiste am Freitag weiter in die nordgriechische Stadt Komotini, wo er sich mit Vertretern der muslimischen Gemeinde traf. U. a. stand die Teilnahme am Freitagsgebet in einer Moschee auf dem Programm.
Elisa Hübel