Kurz darauf geriet die Situation in mehreren Teilen der griechischen Hauptstadt außer Kontrolle. Ein weiterer Brand brach in einem mehrstöckigen Gebäude des Finanzministeriums aus. Außerdem gingen Geschäfte und mehrere Fahrzeuge in Flammen auf, darunter ein Einsatzwagen der Feuerwehr und ein Übertragungswagen eines türkischen Fernsehsenders. Besonders angespannt war die Lage auch am Syntagma-Platz vor dem Parlament, wo aufgebrachte Demonstranten auf den abgesperrten Vorplatz des Parlaments vordringen wollten. Durch den Einsatz von Tränengas gelang es der Polizei, die Kundgebungsteilnehmer von den Treppen zurückzudrängen. Die Polizeiführung hat unterdessen sämtliche Polizisten, die sich im Urlaub befanden, zurückbeordert. Rund um die Technische Hochschule (Polytechnion) kommt es weiter zu Scharmützeln. Die Polizei hat in dem daran angrenzenden Stadtteil Exarchia ein großes Aufgebot in Stellung gebracht. Exarchia gilt als Treffpunkt der Anarchoszene.
Premier Jorgos Papandreou brachte während einer Sondersitzung des Parlaments, die wegen der Todesopfer in der Bank einberufen worden ist, zum Ausdruck, dass „niemand das Recht zur Gewalt hat". Gerade in der jetzigen Lage müsste man seiner „demokratischen Verantwortung" gerecht werden. „Niemand", so der Premier, „darf mit dem Schicksal des Landes spielen". Am morgigen Donnerstag wird im Parlament über das von Athen gemeinsam mit der Eurogruppe, dem Internationalen Währungsfond und der Europäischen Zentralbank ausgehandelte Sparpaket abgestimmt. Griechenland hofft im Gegenzug auf 110 Mrd. Euro. Dieses Sparpaket, das vor allem die Beamten trifft, war der Anlass für die heutigen Massendemonstrationen. Medienberichte sprechen von 150.000 Teilnehmern, womit es sich um einen der größten Aufmärsche seit vielen Jahren handelt.
„Es handelt sich um die sozial ungerechtesten und härtesten Maßnahmen der neueren Geschichte des Landes". So hatte der Vorsitzende der Dachgewerkschaft des Privatsektors GSEE, Jannis Panagopoulos das jüngste Sparpaket der sozialistischen Regierung von Jorgos Papandreou vor dem Streik am Mittwoch kommentiert. Damit werden den Beamten weitere 8 % bei den Zulagen gekürzt und das so genannten 13. und 14. Monatsgehalt beschnitten oder ganz gestrichen. 20 bis 30 Prozent weniger landen in der Folge in den Portemonnais der Staatsdiener.
„Die Maßnahmen der Regierung, der EU und des IWF führen zum
Umsturz historischer Errungenschaften, schaffen unsere Rechte ab
und werfen die Gesellschaft auf den Stand der Sechziger Jahre
zurück", kommentierte die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst ADEDY
das Sparpaket. Sie streikt am Mittwoch gemeinsam mit dem GSEE sowie
der kommunistischen Gewerkschaft PAME. Mit dabei sind auch die
Bankangestellten, die Seeleute, Lehrer, Mitarbeiter des
Notrettungsdienstes EKAB und Journalisten. Deshalb gab es am
heutigen Mittwoch zunächst keine Radio- und Fernsehnachrichten;
nach den Todesopfern im Umfeld der Demonstrationen entschlossen
sich u.a. viele Fernsehstationen, über die Ereignisse zu berichten.
Außerdem wurden zahlreiche Zugverbindungen storniert, der
Flugverkehr brach komplett zusammen, weil die Fluglotsen ebenfalls
streiken.
Die Wut bei einem Teil der Betroffenen ist groß. Demonstranten
hatten bereits auf dem Marsch zum 1. Mai am Samstag den ehemaligen
Parlamentspräsidenten Apostolos Kaklamanis angepöpelt. Etwa 50
unbezahlte Lehrer mit Zeitverträgen stürmten am Montag eine
Live-Fernsehsendung des Staatsfernsehens ERT mit der
Bildungsministerin Anna Diamantopoulou. Rund 200 Mitglieder der
KP-Gewerkschaft besetzten am gestrigen Dienstag die Akropolis und
hängten über den Felsen der antiken Festung ein Transparent mit der
Parole „Peoples of Europe Rise Up" – zu Deutsch: „Völker Europas –
erhebt euch".
Premier Papandreou ringt angesichts der Krise um Konsens. Bisher
erhielt er auf seinen Appell, alle Parteiführer im Parlament an
einen Tisch zu bringen, eine Absage. Die konservative Opposition
Nea Dimokratia (ND) spricht von einem Waterloo für die Politik der
regierenden PASOK, die Linke von einem „barbarischen" Sparpaket.
Wenn die Menschen nicht handeln und die Köpfe gesenkt lassen
würden, dann sei "die Tragödie vorprogrammiert", so die KP.
Staatspräsident Karolos Papoulis stellte am Dienstag bei einem
Treffen mit Papandreou fest: „Das Volk wird die neuen Maßnahmen
akzeptieren, aber es muss sich sicher sein, dass es Gerechtigkeit
gibt, und dass all jene, die rechtswidrig Reichtum ergattert haben,
dafür bezahlen werden". In diesem Zusammenhang soll Presseberichten
zufolge rasch ein Untersuchungsausschuss eingerichtet werden, um
eventuelle Vergehen von Politikern der Vorgängerregierung der ND zu
verfolgen.
Jüngste Umfragen zeigen, dass ein Drittel der Griechen die
Sparpolitik der Regierung mitträgt. 51 Prozent sind jedoch dagegen
und wollen sich an Protesten und Streiks beteiligen. Sie überzeugt
offensichtlich die Argumentation von Papandreou nicht: „Wir zahlen
die Quittung für das Griechenland von gestern". (GZ / as, Foto:
Eurokinissi)