Ich habe wieder mal ein Glas mit eingemachtem Süßen – mit Grapefruits –, geschenkt bekommen. Sozusagen als Beigabe zum Mixer, den ich in Vonitsa kaufte, nachdem ich mit dem Ladenbesitzer und seiner Frau geplaudert hatte. In Griechenland kommen kleinen Gaben im täglichen Zusammenleben eine große Bedeutung zu. Die Hellenen drücken ihre Sympathie und Gastfreundlichkeit auf diese Weise aus. Es ist ihre Freude am Geben!
Das Glas steht seit Tagen bei mir in der Küche herum. Denn obwohl ich die Geste zu würdigen weiß – die in Sirup getränkten Früchte finde ich persönlich zu süß. Hierzulande werden Früchte und einige Gemüsearten nach dem immer ähnlichen Grundrezept in Zucker- und Honigsirup eingelegt und verschenkt. Traditionell wurden die glykά tou koutalioú in einer silbernen Schüssel serviert, der glykothίki. Dieser Brauch wird bis auf den heutigen Tag in meiner Nachbarschaft gepflegt. Zu ihrem Geburtstag hat meine 70-jährige Nachbarin Stassoula zu einer Kaffeerunde in ihr Haus eingeladen. Sie ist eine emsige Garten- und Küchenfee, die jedes mögliche Obst in Sirup einlegt. In ihrer Speisekammer sieht es wie in einem Kleinladen aus. Hier stehen eingelegte Trauben in Gläsern. Stassoula sagt, sie bevorzugt mittlerweile die kernlosen, früher piekte sie die Kerne mit einer Sicherheitsnadel aus den einzelnen Trauben heraus. Stassoula hat auch Orangenschalen eingelegt, Quitten, Feigen, Zitronen und Kumquats. Und es gibt Gläser mit süß eingelegten Karotten und kleinen Auberginen. „Alles stammt aus meinem Garten“, sagt sie dazu stolz. In allen Größen stehen die Einmachgläser mit Schraubverschluss auf zwei Holzregalen aufgereiht, manche sind herzförmig, andere sehen wie gläserne Urnen aus. In Stassoulas Wohnzimmer glimmt ein massiver Olivenholzscheit im Kamin, ihr bestes Geschirr steht auf dem Wohnzimmertisch, die Süßspeisen hat sie auf verschiedene silberne Schüsselchen verteilt. Ich lasse mich von den anwesenden alten Damen beraten, wie man bei dieser Gelegenheit vorgeht. Hier wird nämlich ein strenges Nacheinander eingehalten. Man greift nicht zuerst zu den Keksen und zum Likör, nein! Zuerst wird das kleine Süße vom Löffel zum Kaffee und dem dazugehörigen Glas Wasser gereicht. Die glykά tou koutalioú werden oft zu Einladungen innerhalb der Nachbarschaft, zu einfachen Besuchen oder zu Festlichkeiten, wie Stassoulas Geburtstag, oder zu einer Einstandsparty für eine neu bezogene Wohnung serviert. Jede von uns hat ein Löffelchen mit einem blumenverzierten Keramikgriff, mit dem wir vom süßen Eingemachten aus den Silberschalen kosten. In sparsamer Dosierung natürlich, denn diese Süßspeise wird, wie Stamata mich anweist, nicht mit dem Suppenlöffel geschluckt, sondern manierlich vom zierlichen Löffel gelutscht. Und erst auf die Sirupfrüchte und auf den Mokka folgen Stassoulas Mandelkekse und ihr hausgemachter Sauerkirschenlikör.
Auch wenn ich kein Fan des Supersüßen bin, ich genieße den Frauentreff im gemütlichen Wohnzimmer und nasche ausnahmslos von allem, was Stassoulas Geburtstagtafel zu bieten hat! (Griechenland Zeitung / Linda Graf)