Montag ist Markttag in der nahe gelegenen Kleinstadt Vonitsa am Ambrakischen Golf. In der ruralen Gegend unseres Dorfes Paleros am Ionischen Meer haben viele Kleinbauern und ältere Menschen ein geringes Einkommen, eine dürftige Pension; viele haben weder ein Fahrzeug noch einen Führerschein und organisieren sich im Vorfeld des Wochenmarktes eine Mitfahrtgelegenheit zum 17 Kilometer entfernten Vonitsa.
Die Geschäftigkeit macht sich bereits in den frühen Morgenstunden bemerkbar. Takis der Schafbauer ist frisch geduscht, sein feuchtes Haar exakt gescheitelt, auf seinem leuchtend roten T-Shirt prangt die Aufschrift Unbeatable, passend zu seinem roten Pickup, mit dem er allwöchentlich mit seinem schweigsamen Bruder nach Vonitsa fährt. Die Gebrüder Lambros und Mitsos stehen in gebührendem Abstand zueinander auf der Zufahrtsstraße nach Vonitsa, um per Anhalter mitgenommen zu werden. Sie leben mit ihrer Schwester unter einem Dach und reden seit über zwanzig Jahren kein Wort mehr miteinander. Ich halte nicht an. Beide haben immer eine Fahne. Der eine redet nicht, sondern brüllt mir während der Fahrt irgendetwas ins Ohr, der andere tätschelt mein Knie. Ob man sich erst gestern begegnet ist, oder ob man gar nichts miteinander zu tun hat: In Vonitsa ist die Begeisterung über ein Zusammentreffen stets groß. Da begrüßt man sich mit einer Überdosis Überraschung, da bleibt man stehen und ruft erstaunt: „Dass man sich hier sieht!“ – „Τι κανεις? Ich habe dich lange nicht gesehen. Wo bist du gewesen? Was machst du hier?“ – „Ich habe dich auch lange nicht gesehen, ich gehe auf den Markt.“ – „Ich auch, na sowas!“ – „Und zum Supermarkt.“ – „Ich auch!“ An diesem Montag zahlen wir zudem alle die fällige Stromrechnung. Ha! Noch etwas, das wir gemeinsam haben! Auf dem Markt, zwischen Gemüse- und Fischstand, beim Kleinkrämer und beim Stand mit der Unterwäsche, geht es in derselben Tonart weiter: „Που είσαι!“ – „Wo bist du!“ – mit einem fast feierlichen Ton in der Stimme, als treffe man sich in einem anderen Land, weit weg von Zuhause und nicht einfach im benachbarten Städtchen. Der Markt ist ein Treffpunkt für Griechinnen und Griechen. Und da spielt der Ort keine Rolle – sei es nun am Ambrakischen Golf oder im 9.600 Kilometer entfernten Nordamerika. Im kanadischen Vancouver kam ich beispielsweise am griechischen Stand mit dem Olivenhändler ins Gespräch. Er hieß Takis, und es stellte sich heraus, dass er Angehörige in Paleros hat. Zehn Minuten später textet Costas der Taxifahrer in unserem griechischen Dorf auf Messenger, dass Takis sein Onkel, der Bruder seiner Mutter ist. Und Nikos mit dem Krämerladen textet, dass Takis sein Cousin zweiten Grades ist und dass ich ihm einen Gruß ausrichten soll. Die gleiche Zusammengehörigkeit, die einen von Nachbardorf zu Nachbardorf verbindet, verbindet die Griechen über Kontinente hinweg. Und diese Verbundenheit ist Teil der griechischen Seele, die wohl erklärt, wie das Volk trotz vierhundertjähriger Fremdherrschaft seine Individualität bewahren konnte. (Griechenland Zeitung / Linda Graf)