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Ritt auf dem Esel

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Ritt auf dem Esel

Es war ein heißer Tag im August. Ich war mit einer Malkursgruppe bei den knorrigen Olivenbäumen auf der Halbinsel Akrotiri im Kloster Gourvernéto. Dort übten wir anhand der Kloster-Architektur das perspektivische Zeichnen. Als wir gerade mitten in einer Bilderbesprechung waren, gesellte sich ein korpulenter Mönch mit üppig wucherndem Vollbart in einer schon recht verschlissenen Arbeitskutte zu uns.

Er streifte die einzelnen Bilder mit einem missmutigen Blick, schnalzte nachdenklich mit der Zunge und machte mich dann darauf aufmerksam, dass das Malen und Zeichnen hier im Kloster nicht erlaubt sei. Ich konterte, dass es durchaus im Sinne Gottes sei, schöne Bilder zu malen. Nun änderte der Mönch namens Michalis seine Strategie und meinte, dass zumindest eines der Bilder dem Kloster vermacht werden müsse. Ich versprach ihm, dass ich bei meinem nächsten Besuch eines meiner eigenen Werke mitbringen würde. Damit gab sich der Mönch zufrieden und zog brummelnd von dannen. Das Bild vom reitenden Mönch im Olivenhain hatte ich wenige Wochen zuvor zwischen den Klöstern Gouvernéto und Agia Triáda aquarelliert und für einen Kalender als Druckgrafik aufgelegt. Einen solchen Druck versah ich nun mit einem schönen Rahmen und überreichte es im Kloster Gouvernéto dem Bruder Michalis. Dieser betrachtete ganz gerührt das Bild, und plötzlich liefen ihm die Tränen über seine Wangen. Der abgebildete Mönch Gabriel war erst vor wenigen Tagen im betagten Alter von fast 94 Jahren gestorben. (Wassilis Dornakis)

Text und Aquarell stammen aus dem Buch „Olivenbäume – Beobachter der Stille

cover olivenbaeume 300

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