Es ist heiß. In dieser Hitze sucht man Schatten auf, die wohltuende Kühle unter den Bäumen, man bewegt sich möglichst wenig und trinkt etwas Erfrischendes. Körperliche Arbeit verrichtet man bestenfalls frühmorgens und spät am Nachmittag, wenn die Hunde wieder zu bellen anfangen, die Leute wieder auf die Straße hinausgehen und alle Dornröschen aus dem komaähnlichen Schlummer erwachen, den diese Hitze auslöst.
Kennen Sie den Schlager: Bier her, Bier her, oder ich fall um, juchhe? Ja. Am besten hält man ein kühl beschlagenes Glas mit goldgelbem Bier in der Hand. Im gleißenden Licht, wenn die Sonne im Zenit steht, gönnen sich hiesige Bau- und Straßenarbeiter ebenfalls ein kühles Bier in schattigen Kafenions, das eh sofort ausgeschwitzt wird. Es gibt zig Biersorten hierzulande – internationale und einheimische. Alpha. Heineken. Fix. Vergina. Und es gibt das historische, erstmals im Jahr 1876 in Patras entwickelte Mamos-Bier. Und neuerdings führt Spyros das mit makedonischer Gerste in Thessaloniki hergestellte Nymfi (ΝΥΜΦΗ)-Bier in seiner Strandtaverne, dessen Flaschen-Design mich an meine Kindheit erinnert. Spyros hat den gleichen Gedanken. Bevor er das Bier abstellt, begutachtet er die Flasche, dreht sie in den Händen: „Κλασικό σχέδιο!“ – „Klassisches Design!“ Auf dem schwarzweißen Etikett der braunen Bierflasche ist die simple Zeichnung einer Nymphe abgebildet. „Im Altgriechischen“, erklärt Spyros, „ist νύμφη eine junge Frau, ein heiratsfähiges Mädchen, in der Mythologie ist die Nymphe ein weiblicher Naturgeist.“ – „Und auf der Bierflasche“, entgegne ich, die Hand nach der beschlagenen Flasche ausstreckend, „ist sie eine Meerjungfrau mit wallendem Haar und Nixenschwanz.“ „Sie trägt einen Bikini aus Muscheln“, ergänzt Spyros. Nicht jeder trinkt Bier in der Sommerhitze, auch eiskaltes Quellwasser ist höchst belebend. Auf dem kleinen Platz im Dorf, an dem eine Quelle aus dem Stein fließt, stoße ich auf einen alten Priester, den ich noch nie zuvor hier gesehen habe. Er hat einen leichten Buckel, und er ist knochendürr. Sein langes, gelbgraues Haar hat er zu einem Zopf gebunden. Auf dem Kopf trägt er ein rundes, persisches Käppi, das mit Stickereien verziert ist und einstmals von grüner Farbe gewesen sein muss. Jetzt ist es genauso verblichen wie seine graubeige, abgetragene Kutte. Ganz in seine Tätigkeit versunken füllt er eine schwarze Plastikschale mit Quellwasser auf. Und trinkt gemächlich, Schluck für Schluck. Er steht lange dort, während ich mehrere Behälter mit Wasser auffülle. Er riecht nach Moder und erscheint mir wie aus einer anderen Zeit entsprungen. Wie ein Eremit, der soeben aus einem Erdloch hervorgekrochen ist. Als ich ihn mit einem γειά σας κύριε* begrüße, macht er eine entgegenkommende Geste mit dem Kinn und konzentriert sich wieder darauf, das Wasser genussvoll zu trinken. Dann verlässt er den kleinen Dorfplatz. Nach wenigen Minuten kehrt er zurück – mit einem funkelnagelneuen Plastikeimer und einer brandneuen Kehrschaufel, die bei einem Blick auf seine fadenscheinige Kleidung anachronistisch wirken. Der Pope macht sich nun daran, den mit Steinen ausgelegten Platz, auf dem er vorher mit den Füßen gestanden hat, zu kehren. Abgeklärt, in aller Gemütsruhe, hingebungsvoll, genauso, wie er vorhin das Wasser in kleinen Schlucken getrunken hat.
(Griechenland Zeitung / Linda Graf)
*Jássas kýrie – Guten Tag mein Herr