Wenn sich am östlichen Horizont der Winterhimmel rosarot färbt, wenn in dieser frühesten Dämmerung die Venus noch zu sehen ist, dann habe ich das Bild einer Rose vor Augen. Ihre zarten Blütenblätter, geboren aus der Morgenröte, entfalten sich wie das allererste Licht des beginnenden Tages, und sie verströmen den göttlichen Duft, sobald die Sonnenstrahlen sie berühren.
Die Rose hat mit ihrer weiblichen Anmut und Sinnlichkeit eine ganz besondere Zauberkraft, die seit ewigen Zeiten gerühmt wird. Sie ist ein wahres Geschenk des Himmels. Ob als Königin der Blumen, als Symbol der Liebe und der Göttin Aphrodite, als Freundin der Musen oder als Zierde der Erde – sie öffnet Herzen und verschlossene Seelen. Früher, so erzählen die Alten, war das ganze Tal bei uns in Mourtereó, gelegen auf der Insel Alonissos, voller duftender Rosen, übervoll, so dass sie ihr eigenes Rosenwasser und Rosenöl herstellen konnten. Für das Öl wurden unzählige, schon geöffnete Rosenblüten in ein helles Schraubglas gepresst. Dieses wurde gut verschlossen und 3 bis 4 Tage in die Sonne gestellt. Durch die Wärme „schwitzten“ die Rosenblüten eine Flüssigkeit aus, das echte Rosenöl. Heute werden die ehemaligen Gärten im Tal nicht mehr gepflegt, denn die Alten sind zu alt, und die Arbeit wäre zu mühsam für sie. Die Rosen von damals, überwuchert von Waldreben, Stechwinden und wilden Brombeergesträuch, sind verschwunden. Doch überall in den Gärten sieht man Rosensträucher mit unterschiedlichsten Farben und Duftnoten, meist selbst gezogen. In Griechenland liebt man Rosen, hat ein Gespür und ein Gefühl für sie. Auch in unserem Garten haben wir Rosen gepflanzt, und drei Rosenbüsche sind Ableger dieser einstigen „wilden“ Damaszener Rose, die nur einmal im Jahr blüht, im Frühling.
Ein unglaublicher Berg an Blüten
Natürlich wollte ich auch dieses traditionelle Rosenöl-Rezept ausprobieren. Ich hatte dazu ein kleines Glas genommen und mit Rosenblüten gefüllt. Aber es wurde und wurde nicht voll. Rosenblüten sind ja so zart und leicht und haben kaum Volumen. So musste ich bis zum nächsten Tag warten, bis sich wieder Knospen geöffnet hatten. Dann füllte ich das Glas nach. Und tatsächlich, schon am zweiten Tag bildeten sich ölige Tropfen. So ging es über einige Tage, bis das Glas endlich voll war. Am Anfang zählte ich noch die Blüten, doch als die Zahl 50 überschritten war, hörte ich auf. Durch das wiederholte Öffnen allerdings kam immer wieder Sauerstoff hinzu. Die Rosenblüten wurden folglich braun und unansehnlich, und von ihrem wunderbaren Duft blieb nichts mehr übrig.
Da wurde mir klar, warum echtes ätherisches Rosenöl, das durch Wasserdampf-Destillation gewonnen wird, immens teuer ist. Denn für 1 Gramm dieses Öls werden etwa vier Kilogramm Rosenblüten gebraucht. Das ist ein unglaublicher Berg an Blüten. Eine Verschwendung, könnte man sagen, würde nicht die Rose sowieso verblühen, bzw. wäre sie nicht vergänglich.
Stimmungsaufhellend und harmonisierend bei Stress
Duft-Rosen haben Tradition für Schönheitspflege und zur Parfümherstellung, als Heilmittel und als Aromatikum in der feinen Küche, denkt man nur an das unentbehrliche Rosenwasser für die süßen Mandel-Marzipan Köstlichkeiten, den sogenannten Amygdalotá/Αμυγδαλοτά. Spricht man von der Rose als Heilpflanze, so müssen selbstverständlich auch die Hagebutten erwähnt werden. Diese stark Vitamin C enthaltenden Scheinfrüchte bilden sich aus den abgeblühten Blüten der Hunds-Rose, Rosa canina, die wild als Heckenrose wächst. Doch hier geht es mir um die duftenden Rosenblüten, z. B. der Damaszener Rose, Rosa damascena, die aus der Essigrose, der sogenannten Apotheker-Rose, Rosa gallica, gezüchtet wurde. Auch die „Hundertblättrige“, die Rosa centifolia will ich nicht vergessen und andere Duft-Rosen. Ihre Inhaltsstoffe sind vor allem ätherische Öle. Diese beruhigen Nerven und Herz. Sie wirken stärkend und stimmungsaufhellend und harmonisierend bei Stress. Ein zarter Rosenblütentee aus frisch gepflückten Blütenblättern ist ein Gedicht! Die milden Gerbstoffe helfen bei Entzündungen und bei leichtem Durchfall, gemischt mit Brombeerblättern.
Ihre Schönheit erkennt man nur von Nahem
Die Rosenblüten – ganz nach ihrem zarten Wesen – wirken mild und nehmen auch auf indirekte Weise Einfluss auf unser Inneres. Daher sollen auch die Kosmetikprodukte zur Körperpflege, z. B. Rosencremes und Rosenöle, genannt werden, die unser seelisch-geistig-körperliches Gleichgewicht beeinflussen können. Rosen – in Liedern besungen, in Gedichten, Märchen und Mythen beschrieben, wobei ihre dornige Wehrhaftigkeit nicht vergessen wird. Voller Symbolkraft prägten sie ganze Kulturen …
Noch ist es Winter. Doch die Tage werden merklich wieder länger, das Sonnenlicht scheint heller. An den Rosensträuchern bilden sich die ersten jungen Triebe und Andeutungen von Knospen. Bis sie sich im Frühling öffnen und der Abendstern dann am rot gefärbten Himmel den Sommer ankündigt, wird noch Zeit vergehen. Warten auf die ersten Rosenblüten, auf ihren Duft. Ihre Schönheit erkennt man nur von Nahem. Das heißt, den Blick auf das Wesentliche richten, auf das Hier und Jetzt und auf das, was direkt vor uns liegt. Und wenn uns dann das Herz aufgeht, dann sind wir zuhause, doch wohlwissend, dass alles vergänglich ist.
(Griechenland Zeitung / Waltraud Alberti)