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Erinnerungskultur: Deutschlands Angriff auf Griechenland vor 80 Jahren

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Foto (© GZ-Archiv): „Führers Geburtstag“ (20.4.1944) in der mittelgriechischen Stadt Lamia. Foto (© GZ-Archiv): „Führers Geburtstag“ (20.4.1944) in der mittelgriechischen Stadt Lamia.

Am 6. April 2021 jährte sich zum 80. Mal der Angriff der deutschen Wehrmacht auf Griechenland, der im Zuge des zweiten Weltkrieges erfolgte. Unter dem Thema: „Wie steht es um die gemeinsame Erinnerungskultur?“, veranstaltete die Friedrich Ebert Stiftung am Mittwoch (16.6.) eine Live-Diskussion.


Der Moderator Giorgos Pappas sprach mit den Gästen Dr. Anna Maria Droumpouki, Historikerin des Selma Stern Zentrums Berlin, Charalampos Karpouchtsis, Doktorand der Politikwissenschaft an der Universität Jena, und Maria Bitakou, Geschichtslehrerin für Gymnasium und Lyzeum in Athen, über die deutsch-griechische Erinnerungskultur und ihre Auswirkungen auf die bilaterale Beziehung. Teil der Diskussion war unter anderem die historische Verantwortung Deutschlands für die gemeinsame Zukunft der Beziehung beider Länder und das Finden von neuen Ansätzen und Impulsen, um die gemeinsame Erinnerungskultur aufzuarbeiten. Ein wichtiger Schwerpunkt ist dabei der Blickwinkel der jüngeren Generation.

Enges Korsett für den Unterricht

Während der Diskussion kamen interessante Betrachtungsweisen zum Ausdruck. So sieht die Geschichtslehrerin Maria Bitakou die Schulbildung als Teil des Problems, wenn es um die gemeinsame Erinnerungskultur der jüngeren Generation geht. Die Schule in Griechenland zwinge die Lehrer bei der Vermittlung von Wissen dazu, in einem sehr eng gesteckten Rahmen zu arbeiten. Dabei betonte die Geschichtslehrerin, dass die Förderung des kritischen Denkens bei den Schülern sehr wichtig sei. Auch sehr viele Stereotype an griechischen Schulen erschwere ihrer Ansicht nach eine Pflege der Erinnerungskultur. Diese „haben ihre Wurzeln in der griechischen Familie, die sich wiederum auf Erfahrungen“ stütze, häufig leider aber auch „auf mangelndes Wissen“, so Bitakou. Häufig erlaube auch der eng gesteckte Zeitplan den Schülern nicht, sich entsprechendes Wissen anzueignen und Gemeinsamkeiten mit den damaligen Geschehnissen herauszufinden.

Vom Widerstand gegen die Besatzer

Ein wichtiger Teil der Diskussion galt der Frage, wie Geschichte geschrieben wird. Dazu sagte die Historikerin Dr. Anna Maria Droumpouki, dass „die herrschende Ideologie überall zu finden ist, vor allem in den Geschichtsbüchern“. Diese Ideologie entspreche einer konservativen Meinung, sodass diese Meinung auch in der heutigen Gesellschaft weiter ausgeprägt werde. In diesem Sinne würden die Schulkinder etwas über Geschichte aus „älteren Geschichtsbüchern“ lernen, die nicht mehr aktuell seien. Des Weiteren sagte sie: „Wir sind als Volk nicht bereit, Wahrheiten zu akzeptieren, die mit unserem nationalen Stolz nicht unbedingt vereinbar sind.“ So spreche man in Griechenland in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg mehr vom Anfang des Krieges und von dem Sieg der Griechen gegen Italien. Viel weniger spreche man dabei über den Widerstand der Griechen gegen die Besatzer. Auch kritisierte Droumpouki, dass es in Griechenland keinen Lehrstuhl für den Zweiten Weltkrieg gebe. Dadurch könne beispielsweise ein Professor an einer Universität diese Geschichtsperiode in seinen Unterricht mit einfließen lassen, am Ende sei es jedoch die Entscheidung des Professors, ob er dies tue oder nicht.

Projekt der Deutschen Schule Athen

Nicht zuletzt lobte sie ein Projekt der Deutschen Schule in Athen, bei dem es darum geht, die jüngere Generation näher an die eigene Vergangenheit heranzubringen. Dabei würden die Schüler eine Recherche zu der Vergangenheit der Schule in der Zeit des Nationalsozialismus betreiben und dieses Thema „neu aufrollen“.
Charalampos Karpouchtsis, Doktorand der Politikwissenschaft, stellte sich in der Diskussion unter anderem die Frage, wie die Erinnerungskultur auch Eingang in die deutsche Gesellschaft finden könne. Als Idee nannte er einen Jugendaustausch zwischen Deutschland und Griechenland. So könne eine deutsche Gruppe beispielsweise nach Thessaloniki kommen und dort gemeinsam mit einer griechischen Gruppe eine Veranstaltung planen.

Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten

Am Ende der Diskussion äußerten sich alle Gäste noch einmal zu der Frage, ob es optimistische Aspekte für einen Beitrag der jüngeren Generation im Umgang mit der damaligen Zeit – Griechenland war offiziell von 1941 bis Herbst 1944 von deutschen Truppen besetzt, teilweise darüber hinaus – gebe. Hierbei zeigt sich Charalampos Karpouchtsis optimistisch. Junge Leute, so stellte er fest, hätten stets den Willen zu diskutieren, Gemeinsamkeiten herauszufinden, und sie seien offen für den Austausch. Zudem würden das Deutsch-Griechische Jugendwerk, aber auch die Lehrkräfte an den Schulen ihren Beitrag zur Erinnerungskultur leisten. Auch Maria Bitakou begegnete der jüngeren Generation mit Optimismus: „Sobald man ihnen einen Ansporn gibt, dann können sie wirklich tolles leisten. Sie können Dinge erreichen, die man sich überhaupt nicht hätten vorstellen können.“ Die junge Generation sei kreativ und fühle sich als Weltbürger. Deswegen sei sie auch offen für den Kontakt mit anderen. Lediglich Dr. Anna Maria Droumpouki war nicht so optimistisch. Vor allem Übertreibungen und Verschwörungstheorien im Hinblick auf die damalige Zeit würden ihr Sorgen bereiten: „Ich hoffe, dass diese Stimmen sich nicht verstärken, sodass man wirklich eine Desorientierung erfährt und daraus Missverständnisse entstehen.“

(Griechenland Zeitung / Melina Goldhorn)

 

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