Mit ungewöhnlicher Vehemenz reagierte Athen auf einen internen Meinungsaustausch von Vertretern des Internationalen Währungsfonds (IWF), der an die Presse durchsickerte. Bei den meisten Griechen wurde der Eindruck erweckt, dass der IWF die laufenden Verhandlungen mit Athen bis zum Sommer hinauszögern will. Aber warum? – Offenbar erwartet man, dass der Regierung in der Zwischenzeit das Geld ausgeht und ihre Verhandlungsposition schwächer wird.
„Bei der Vergangenheit sind Entscheidungen nur dann getroffen worden, als ihnen (den Griechen) das Geld ausging und sie Gefahr liefen, Bankrott zu gehen.“ Das soll Poul Thomsen, IWF-Direktor für Europa, in einem Strategie-Gespräch am 19. März gegenüber Delia Velculescu, der Chefin der IWF-Mission für Griechenland, gesagt haben. Außer einer im Juli fälligen Schuldenrückzahlung Athens gibt es Thomsen zufolge „nichts, was einen Kompromiss herbeiführen könnte“, heißt es in einem Protokoll des Gesprächs, dass auf der WebSiteWikileaksveröffentlicht wurde. „Ich stimme zu, wir brauchen ein Ergebnis, aber ich weiß nicht, was es sein wird“, entgegnet Velculescu einige Momente danach.
Krisentreffen von Tsipras mit dem Staatspräsidenten
Lediglich wenige Stunden nach der Veröffentlichung des Gesprächs, griff es die griechische Regierung auf und instrumentalisierte es für einen öffentlichen Frontalangriff gegen den IWF und seine Beteiligung am Rettungsprogramm. Premierminister Alexis Tsipras schickte einen Protestbrief an die IWF-Chefin Christine Lagarde. Regierungssprecherin Olga Gerovassili rief den IWF auf, öffentlich bekanntzumachen, ob seine Strategie darin bestehe, einen griechischen Bankrott zu inszenieren, um Athen in den fortwährenden Verhandlungen zur Umsetzung des Rettungsprogramms in die Ecke zu drängen und noch härtere Reform- und Steuermaßnahmen zu erzwingen. Tsipras begab sich noch am Samstag zu einem Krisentreffen mit dem Staatspräsidenten ProkopisPavlopoulos. Im Anschluss daran ließ Pavlopoulos wissen, dass er seit langem die Einmischung des IWF in das griechische Programm für falsch halte – spätestens seitdem die EU einen eigenen Rettungsmechanismus, den ESM, auf die Beine gestellt hat.
Erfolgreiche Verhandlungen nur auf Grundlage „gegenseitigen Vertrauens“
Tsipras griff auch eine mutmaßliche Bemerkung Thomsens auf, dass die Gespräche im Frühsommer sowieso wegen des im Juni anstehenden Referendums über den Verbleib Großbritanniens in der EUeingestellt würden. Die griechische Seite interpretierte diese Äußerung dahingehend, dass der IWF die griechische Problematik bewusst mit dem Streit über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens vermenge. „Wir werden es nicht zulassen, dass Europa wegen Herrn Thomsen auseinanderbricht“, sagte Tsipras.
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Unsere Archivaufnahme (© Eurokinissi) entstand am 7. März in Brüssel und zeigt Delia Velculescu im Gespräch mit Poul Thomsen.