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Griechenland Zeitung - Tourismus / Reportagen

Tagebuch eines Segeltörns: Auf dem Weg zum lachenden Löwen von Kea

  • Kykladen

Griechenland ist der optimal Ort, um seine Batterien aufzuladen. Die einzigartige Landschaft, das in der Regel stabile Wetter und die Gastfreundschaft sind optimale Voraussetzungen dafür. Griechenland mit dem Segelboot zu bereisen, ermöglicht es, das Land außerhalb der großen Routen kennen zu lernen. Auf den Inseln findet man noch verträumte Buchten und eine sehr zu schätzende Ursprünglichkeit. Hier kann man den Puls der Menschen besser fühlen, als in den hektischen Großstädten oder in den Touristenzentren. Hier hat das Leben seinen eigenen Takt, reduziert auf das Wesentliche und geprägt von den Dingen, die wirklich wichtig sind. Weiterlesen ...

REISEN IN DIE STILLE – Landkreis Kalambaka

 
Einem badensischen Paar erging es im letzten Dezember anders. Sie hatten sich mit ihrem Wohnmobil in die Dörfer des Landkreises gewagt. Fuhren hinauf zum Kirchlein des Profitis Ilias oberhalb von Megali Kerasia. Er sah von dort oben den Dorffriedhof tief drunten im Tal und sagte zu seiner Frau: „Da will ich begraben werden!“. Sie fuhren ins Dorf und kauften noch am gleichen Tag ein Haus.
Megali Kerasia war unser erster Stopp im Landkreis Kalambaka, einem der 20 am dünnsten besiedelten Demen (Kommunen) Griechenlands. „Hello, good morning, come here“, rief Xanthippe von der Terrasse ihres Hauses, als wir direkt davor wegen eines Landschaftsfotos hielten. Sie sprach fließend Englisch, hatte lange in Athen gelebt, besaß da zusammen mit ihrer Schwester ein Haus. Erst vor kurzem war sie arbeitslos geworden und zu den Eltern ins Dorf zurückgekehrt. Ihre Eigentumswohnung in Athen hat sie trotzdem nicht weitervermietet: Sie könne ja einen Mann kennenlernen, der sie heiraten und mit ihr in Athen leben wolle. Wir sprechen Xanthippe auf den Zweiten Weltkrieg an. Damals hatten großdeutsche Truppen viele Dörfer in der Region abgebrannt, ihre Bewohner als Geiseln genommen und viele erschossen. „Ja, das stimmt wohl“, bestätigt die 38-jährige, „es war halt Krieg und mein Großvater war auch Partisan!“ Sie bittet mich, mit in die Küche zu kommen. Da sitzt der 85 Jahre alte Mann in Pyjama-Hose und Pulli. Wir geleiten ihn an den Gartentisch. Er scheucht seine Enkelin weg: Wir würden jetzt schließlich ein Männergespräch führen, da habe sie bei uns nichts zu suchen. Tsipouro, gebratene Hühnerleber und Käse kommen auf den Männertisch. Dann erzählt der Greis, dass die Partisanen 1940/41 drunten im Tal eine provisorische Piste für englische Piloten angelegt hatten. Nachts kamen sie von Ägypten her und brachten Nachschub für die Andartes (Widerstandskämpfer), die ihnen die Landebahn mit 30 Feuern markierten. Man habe viel gekämpft, auch er habe wohl Deutsche getötet – aber es sei halt Krieg gewesen. Und außerdem hätten nicht die Deutschen, sondern Hitler die Griechen ermordet. Gegen Deutschland habe er nichts, sei schließlich selbst in den 1960er Jahren als Gastarbeiter in Köln und Wuppertal gewesen.
 
Wie eine Teeplantage in Sri Lanka
 
Wir fahren weiter in Richtung Metsovo, sehen die Odos Egnatia vor uns, die als tunnelreiche Autobahn Alexandroupolis mit Igoumenitsa verbindet. Vor der Grenze zum Epirus biegen wir nach Malakassi ab. In der Ferne ragt ein Meteora-Fels wie ein Zeigefinger auf, als wolle er sagen „Hier bin ich“. In einer Käserei am Dorfrand dürfen wir frischen Feta-Käse probieren, dann geht es auf einem guten Feldweg in ein dicht bewaldetes Bachtal hinunter und auf der anderen Seite auf brüchigem Asphalt hinauf nach Ambelochori. Wir trauen unseren Augen kaum: Die Häuser eines ganzen Ortsteils sind mit uraltem Wellblech gedeckt, als gehörten sie zu einer Teeplantage in Sri Lanka oder Darjeeling. Am Dorfplatz kehren wir im „Kreapantopoleio Papakosta“ ein. Vor dem Lokal stehen sechs Kisten mit Gurken-, Paprika- und Tomatensetzlingen zum Verkauf, der Metzgerblock ist nagelneu. Wirt Ilias muss zu seinen 150 Bienenstöcken, aber vorher dürfen wir jeder noch einen Teelöffel von seinem Honig verkosten. Und dann zeigt er uns auch noch, woher das Dorf seinen Namen hat, der ja  „Rebgartendorf“ bedeutet. In einem alten Weinkeller am Dorfplatz lagern noch hölzerne Fässer – Wein aber wird hier schon seit Jahrzehnten nicht mehr angebaut – es sind ja kaum noch Menschen im Dorf.
 
Kehrtwendung zum lokalen Tresterbrand
 
15 Kilometer weiter machen wir in Kalomoira Halt. Eine alte Frau sitzt am Tisch, auf dem eine Plastikkiste voller Briefumschläge steht. Davor liegt ein blaues Schulheft mit einer langen, handgeschriebenen Namensliste. Alle 500 hier Vermerkten sollen ein Einladungsschreiben für die Hochzeit des Enkelsohns bekommen, die demnächst in Trikala drunten in der Thessalischen Ebene stattfinden wird. Die fertigen Briefe nimmt dann der Postbote mit, der einmal wöchentlich ins Dorf kommt. In den Regalen des Cafés stehen mehr Whiskyflaschen als in den meisten deutschen Kneipen. Wer die denn trinke, will ich wissen. „Niemand mehr“, sagt die Wirtin. „Früher haben wir manchmal zwei Flaschen am Abend ausgeschenkt, heute nur noch zwei Gläser im Monat. Die Krise hat auch die Jungen zum Tsipouro (Tresterbrand) zurückgebracht.
Die Krise schlägt bis in die Dörfer durch. In Kastania bringt uns der Gemeindeförster zum Hotel des einstigen Ziels für griechische Wochenendurlauber. Der Wirt, jetzt fast 80, hat das Geld für seinen Bau 30 Jahre lang in Aachen gespart: 18 Zimmer, kleiner Pool auf 1000 Meter Höhe, grüne Liegewiese vor Waldkulisse, schicke Bar, plüschiger Salon mit Kamin und Jagdtrophäen an der Wand. Nur Gäste kommen kaum noch her, am Hotel nagt der Zahn der Zeit.
 
Vlachen- und Höhlenkirchen
 
Durch ein Tal, in dem der Wald jetzt auch im Mai mit einem Tuschkasten voller Grüntöne spielt, geht es nun im Schatten schneebedeckter, sehr alpin anmutender Gipfel nach Süden. Im Bach wimmelt es von Forellen, die Forstverwaltung hat Picknickplätze angelegt und ein Schild mit Regeln für Angler aufgestellt. Ein Hotel im Stil einer mittelalterlichen Burg wirbt für seine Pilzsammeltage im November und für seine Pindos-Trüffel. Unser nächstes Zwischenziel ist eine der eigenartigsten Kirchen Griechenlands: Das Moni Timiou Stavrou in der Waldeinsamkeit bei Doliana. Mit ihren zwölf Kuppeln wirkt sie wie aus einem anderen Land hierher versetzt. Uns fällt ein, was Xanthippe erzählte: Die Bewohner dieser Region seien Vlachen, die erst vor gut 200 Jahren aus Rumänien nach Griechenland zurückgekehrt seien. Die Kirche wird jetzt mit EU-Mitteln restauriert. Moderne Zuganker sichern das Mauerwerk, Steinmetze erneuern die Reliefs, die Georg im Kampf mit dem Drachen und viele Cherubime zeigen.
An unserem Rundkurs zurück nach Kalambaka, auf dem Kuhfladen mit Steinschlagsbrocken um die Vorherrschaft ringen, liegen dann noch zwei weitere, ganz seltsame Kirchen. Die in eine grandios gemaserte Felswand hinein gebaute Höhlenkirche des hl. Nikolaos und die auf offener Wiese stehende Kirche der hl. Paraskevi, die seit dem Jahr 2000 wieder im alten Glanz erstrahlt. Auch sie verweist vom Typ her nach Rumänien. Dem Dach der Hauptkirche sitzt eine Kapelle auf, zu der man nur über hölzerne Stiegen gelangt.
 
Auf Jeep-Piste zu einem kleinen Wasserfall
 
Nach einer Nacht in Kalambaka, wo wir nur eine halbe Stunde Fußweg vom Asphalt entfernt noch das kleine Meteora-Kloster Ypapantis entdecken, das oft tagelang von keinem einzigen Fremden besucht wird, brechen wir auf zur Weiterfahrt in zwei andere Regionen des Landkreises Kalambaka: Die Chasia und die Antichasia. Auch hier liegen viele Dörfer um die 1000 Meter hoch, doch die Täler und Hügel sind sanft, erinnern eher an den Schwarzwald als an die Alpen. Es bleibt Platz für größere Felder, Rinder weiden frei an den Hängen. Eine seltene Gedenkstätte bei Oxyginia erinnert uns daran, dass auch die Italiener im letzten Weltkrieg Unheil angerichtet haben. Ein Wegweiser schickt uns auf eine Jeep-Piste, die nach 1500 Metern zu einem kleinen Wasserfall führt, hinter dem eine Brücke aus dem Jahre 1403 den Bach überspannt. Auf dem Dorfplatz von Agnantia sammeln sich wieder die Einwohner um uns, um mit uns über Frau Merkel und die EU zu diskutieren. Mit dabei ist auch ein junger Schriftsteller aus Athen, der sich in die Stille zurückgezogen hat, um seinen zweiten Roman zu schreiben. Wir fahren hinauf zum winzigen Stausee von Longa mit seinen Picknickplätzen und Rundweg für Wanderer, sehen ganz in der Ferne die immer noch von Schnee bedeckten Gipfel des Pindos, erfreuen uns am Anblick des Bussards, der mit einer Smaragdeidechse in den Fängen ganz dicht vor unserer Windschutzscheibe auffliegt.
In Koniskos, der ehemaligen Hauptstadt des Altkreises Tymphaion, wollen wir dann Abschied von dieser lieblichen Landschaft nehmen, bevor uns unser Weg ins Hochgebirge von Agrafa weiter führt. Wir nehmen auf der Terrasse des Kafeneio unter Schwalbennestern  Platz. Das Lokal ist gut besucht, denn es steht gleich neben der Kreisapotheke. Eine schlecht sehende Alte fragt mich, ob ich Post für sie habe – sie hat mich für den Briefträger gehalten, der hierher sogar zweimal wöchentlich kommt. Dann steht die Wirtin wortlos ganz dicht vor mir. Ihre angewinkelten Arme sind leicht ausgebreitet, die Handflächen  leicht nach außen gedreht. Ihre Lippen lächeln, die Augen sind weit geöffnet. Ich weiß, was sie mich damit fragen will: Wer bist du, woher kommst du, was hat dich hierher verschlagen? Eine Antwort weiß ich jetzt schon: Mich locken die Menschen, die an diesen Fragen noch Interesse haben …
 
Infos: 
Dimos Kalambakas: Der heutige Landkreis Kalambaka im Regierungsbezirk Trikala ist der zweitgrößte Demos Griechenlands. Er wurde 2011 aus den acht Altkreisen Aspropotamos, Chasia. Kalambaka, Kastania, Klinovos, Malakassi, Tymphaion und Vasiliki gebildet. Die Zufahrt auf Asphaltstraße erfolgt entweder von Metsovo und der Autobahn Odos Egnatia oder von Trikala aus.
Pensionen: Unterkünfte aller Art und Campingplatz in Kalambaka und Kastraki an den Meteora-Klöster. Hotel Manakos in Kastania (Tel. 24320 61070). Hotel Pyrgos Mantania im Tal des Aspropotamos (http://www.mantania.gr/en/, Tel. 24320 87800)
Kartenmaterial: Für den westlichen Teil des Dimos „South Pindos 1:50 000“ (2013), für den gesamten Dimos „Central Greece 1:250 000“ (2012), beide aus dem Anavasi-Verlag (http://www.anavasi.gr/).
 
Klaus Bötig
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Unterwegs im schönen Land der „Unerfassten“

 
Bis Agrafa drangen die Steuereintreiber des Sultans nie vor. Die Bewohner der Gebirgsregion im südlichen Pindos-Gebirge wurden in den Steuerlisten der Osmanen nie erfasst. Sie waren die „Agrafa“, die „Nicht Aufgeschriebenen“.
 
Erst in den letzten Jahren wurde in griechischen Blättern und Reisemagazinen viel über Agrafa geschrieben. Der alte Demos (Landkreis) Agrafa wurde zum Trendziel von Outdoor-Aktivisten und Naturliebhabern. Davon ist im Zeichen der Krise nur noch wenig zu spüren. Griechischen Kurzurlaubern fehlt das Geld hinzufahren, Ausländer waren ohnehin fast nie dort. Außerdem ist der 2011 neu geschaffene Landkreis um einige alte Demen erweitert worden, die auch zuvor kaum jemand besuchte
 
Griechenlands größter Stausee
 
Wir nähern uns Agrafa vom westgriechischen Städtchen Arta her auf wenig befahrenen, guten Asphaltstraßen. Kurz hinter Triklino blicken wir zum ersten Mal auf den Stausee Kremaston hinab, der sich schon seit 1969 wie ein breiter Fluss mit Dutzenden üppig grüner Inseln und unzähligen Halbinseln durch die Berge schlängelt. Er ist der größte ganz Griechenlands. Drunten am See, wo eine Brücke hinüber in den Demos Agrafa führt, stehen vor einem zur „Kantina“ umfunktionierten Lieferwagen Tische, Bänke und Stühle verschiedenster Herkunft. Lazaros aus Triklino entfacht gerade die Holzkohlenglut auf seinem improvisierten Grill. Seit zehn Jahren steht er tagein, tagaus an dieser Brücke und wartet auf Freunde und andere Gäste. Im Sommer lädt er einmal monatlich zu Konzerten am See, bei denen Klarino und Rembetiko mit griechischem Rock wechseln. „Es reicht zum Leben“, konstatiert er munter, „zum schönsten Leben, das ich mir vorstellen kann“.
Der vor allem vom Acheloos gespeiste See ist im Süden von Agrafa allgegenwärtig, obwohl an seinem Ufer kein einziges Dorf liegt. Nur ganz im Osten bei Psilovrachos haben sich ein paar Tavernen nahe dem Wasser angesiedelt. Da stehen Lachsforellen und Karpfen aus dem See auf der Karte, hängen Fotos an den Wänden, die von bis zu elf Kilo schwerem Anglerglück erzählen. Die Wirte unternehmen nach Voranmeldung Bootsfahrten mit ihren Gästen, an Wochenenden ist eine Kajakstation geöffnet. Ansonsten bleibt der gesamte See touristisch völlig ungenutzt, obwohl man sogar in ihm schwimmen könnte.
 
Tanzende Priester
 
Unsere erste Rundtour führt uns durch den alten Demos Aperandi. Ein überdimensionierter, von der EU durch eine Viertelmillion Euro finanzierter Parkplatz macht uns auf die enge, niedrige Schlucht Bouzonikou aufmerksam, in der glatte Felsschollen zum Sonnenbaden und Wildwasserbad einladen. Ein paar Kilometer weiter sitzen zwei Pareas in einer schmucken Taverne. Sie hatten ein Lamm bestellt, von dem für uns noch etwas übrig ist: Serviert wie zerhackt, mit zwei Nierchen als leckerer Dekoration. 
Wir fahren weiter in die alte Kreishauptstadt Granitsa hinauf. Alle drei Minuten wechselt die Landschaftskulisse. Erd- und Felsformationen spielen mit allen erdenklichen Grau- und Brauntönen, immer wieder andere Verwerfungen im Gestein erzählen von einer bewegten Erdgeschichte. Bäche strömen aus allen Himmelsrichtungen durch kleine, steile Schluchten, die mit Macchia überwuchert sind.
In Granitsa hören wir die Klänge von Klarino, Viola, Trommel und Keyboard. Wir steigen auf den Kirchplatz hinauf. Der junge Vorsitzende des örtlichen Kulturvereins lädt uns sogleich ein, an einem der langen Tische Platz zu nehmen, und holt den örtlichen Hotelier Kostas, der etwas Deutsch spricht, zu unserer Unterhaltung herbei. Wir sitzen kaum, da stehen für jeden von uns beiden zwei Flaschen Bier auf den Tisch. Die Musik erklingt und Papa Dimitris, der vorhin noch mit uns in der Taverne saß, führt zusammen mit einem zweiten Priester voller Vergnügen den Reigen der Tanzenden an.
 
Lebensfroher Mönch
 
Am nächsten Morgen sind wir wieder am See. Vergeblich suchen wir bei Fterolaka die gut ausgeschilderte historische Brücke des Manoli, Baujahr 1659. Ein Bauer klärt uns auf: „Die Brücke verschwindet im Winter im Wasser des Sees, kommt erst im späten Frühjahr langsam wieder zum Vorschein. Im September steht sie dann meistens ganz frei, von Schlamm umgeben. Mit den ersten Regenfällen im Herbst beginnt sie wieder, sich zu verstecken.“ 
Weiter geht’s durch ein Gewusel von kleinräumigen Tälern, über denen bizarre Kuppen, Knorpel und Zacken aufragen, untermalt von dschungelhaftem Grün. Bei Anatoliki Frangistra versteckt sich die byzantinische Kirche Moni Sotiros unter uralten Platanen; lange Bänke und Tische zeugen von gut besuchten Kirchweihfesten.
Zum Höhepunkt des Tages gerät ein Besuch im Kloster Tatarnis. „Dies ist ein Kloster und wird ein Kloster bleiben“, steht deutlich hervorgehoben am Eingang: „Halbnackte (imigymni) haben keinen Zutritt!“. Bruder Damaskinos öffnet uns gottgefällig Gekleideten die Klosterpforte, schließt uns die Klosterkirche auf. Dann lässt er uns mit den Heiligen allein. Als wir aus der Kirche treten, hat er ein kleines Büffet für uns aufgebaut: Wasser, gekochte Eier und Marzipan von seinem Lieblingskonditor aus Agrinio, der aus Agrafa stammt. Wir unterhalten uns über Werder Bremen, Beckenbauer und Müller, über Dora Bakojanni, die dem Kloster eine Ikone schenkte, und über ihren im Jahr 1989 einem Attentat zum Opfer gefallenen Mann Pavlos: „Ihm haben sie den Mund geschlossen“, interpretiert Damaskinos den Mord.
 
Der Jeep wird gebraucht
 
Nach einer ruhigen Nacht mit 360-Grad-Gebirgspanorama in Krendi, dem Nachbardorf der verschlafenen Kreishauptstadt Kerasochori, brechen wir am nächsten Morgen um 6 Uhr ins Herz von Agrafa, dem alten Dimos mit gleichnamigem Hauptort, auf. Die raue Piste – hier identisch mit dem Europäischen Fernwanderweg E 4 – verläuft durchs immer enger werdende Tal des rauschenden Gebirgsbaches Agrafiotis. Beim Fotostopp um 7 Uhr hält ein uralter Pick-Up neben uns. Neben dem Fahrer sitzt Bruder Damaskinos, gibt uns die Hand und verweist auf die geladenen Bienenstöcke, die er an den Gebirgshängen beim Dorf Agrafa aufstellen will. 
Wir unternehmen noch einen Abstecher ins 1050 Meter hoch gelegene Bergdorf Epiniana. Im Kafeneio bestellen wir einen heißen Nescafé. „Wir haben Nescafé“, betont der alte Wirt, „aber ich weiß nicht, wie man ihn macht. Ich hole lieber meine Tochter!“ Und dann erzählt der Wirt. Früher habe es in Agrafa 70.000 Schafe und Ziegen, 10 Ärzte, 5 Schulen und sogar Rechtsanwälte gegeben. Heute seien alle Menschen in Athen – in Agrafa würden keine 1.000 Menschen mehr ausharren.
Das Hauptdorf Agrafa sieht dennoch recht schmuck aus. Umrahmt von über 2000 Meter  hohen Gipfeln breitet es sich in einem sanften grünen Tal aus, die Landarztpraxis ist mit zwei Ärztinnen besetzt, Zimmer werden vermietet. Der Wirt im Kafeneio gleich neben der Arztpraxis war 1967 ein Jahr lang in Dortmund: „Es hat ein Jahr lang Tag und Nacht geregnet“, erinnert er sich. Kurz darauf sehen wir vor der Forellenzuchtstation am Dorfrand Bruder Damaskinos noch einmal wieder. Er hat in der angeschlossenen Taverne eine Forelle zum Frühstück verspeist.
Für uns ist die Zeit gekommen, noch weitere 26 Kilometer auf schmalen Pisten durchs Hochgebirge Richtung Plastiras-See und Karditsa zu fahren. Die Landschaft wird jetzt alpenähnlicher. Ausgedehnte Hochflächen jenseits der Baumgrenze erinnern an Almen. Frei weidende Kühe, Kälber und Bullen nutzen die Piste, zwingen immer wieder zum Anhalten und Abwarten. Dann ist die über 1700 Meter hohe Passhöhe erreicht – tief unten liegt die Thessalische Ebene vor uns. In Saikos-Petralona, dem letzten Dorf im Norden von Agrafa, verkosten wir noch eine Art Rumtopf: mit Tsipouro angesetzte Brombeeren. Dann überqueren wir den Aspropotamos und sind zurück auf Asphalt.
 
Infos:
Dimos Kalambakas: Der heutige Landkreis Agrafa im Regierungsbezirk Evrytania wurde 2011 aus den fünf Altkreisen Agrafa, Aperandia, Aspropotamos, Frangista und Viniani gebildet. Die Zufahrt auf Asphaltstraße erfolgt entweder von Arta, Agrinio oder Lamia-Karpenissi aus.
Unterkunft: Panorama in Granitsa, Tel. 22370 61258; Makkas in Krendis, Telk. 22370 31350, http://www.makkashotel.com/; Kyra Niki in Agrafa, Tel. 22370 93209, http://kyra-niki.gr/cms/
Kartenmaterial: Für den gesamten Demos „Evrytania 1:100 000“ (2012) aus dem Anavasi-Verlag (http://www.anavasi.gr/).
 
Klaus Bötig
 
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Wo der Gott der Gastfreundschaft heute noch lebt

 
Der Landkreis Argithea im südlichen Pindos-Gebirge zählt zu den entlegensten und dünnstbesiedelten Demen (Komunen) Griechenlands. Viele Dörfer sind nur über raue Jeep-Pisten zu erreichen und im Winter oft tagelang von der Außenwelt abgeschnitten. Im ganzen Landkreis gibt es nur vier Pensionen und eine Tankstelle. Zeus als Gott der Gastfreundschaft ist hier noch quicklebendig.
 
„Habt ihr euch verfahren?“ begrüßt uns Christos, Deutschlehrer aus Athen, in seinem Heimatdorf Frangiana. Da steht die einzige Tankstelle des Dimos Argitheas, in dem in 72 Dörfern nur noch 3450 Menschen leben. Sein Benzin muss sich der Tankstellenbesitzer einmal wöchentlich selbst mit seinem Klein-Tankwagen drunten in Trikala in der Thessalischen Ebene besorgen – für die schweren Tanklastzüge der Mineralölfirmen sind die Straßen hier oben viel zu schmal, kurvenreich und einsturzgefährdet.
Wir werden nach dem Auftanken erst einmal an die beiden Tische gebeten, die vor dem Kassenraum stehen. Die vier Gäste dort wollen wissen, woher wir kommen. Als sie „aus Deutschland“ hören, greift einer von ihnen sogleich zum Handy und ruft Christos an. Er solle kommen, zwei Deutsche seien da. Fünf Minuten später steht er vor uns und kann kaum glauben, dass wir mit voller Absicht in sein Dorf gekommen sind: „Ihr seid die ersten Deutschen hier, solange ich denken kann!“ 
 
Griechischer Tavernenwirt aus Bielefeld
 
Ähnliches erleben wir überall im Landkreis Argithea. Am Dorfeingang von Leontito halten wir für ein Foto: Schneebedeckte Hänge steigen gleich von der Baumgrenze zu den über 2000 Meter hohen Gipfel auf. Im Garten eines Hauses stehen zwei große Tische. Wir glauben, das Dorf-Kafenio gefunden zu haben und öffnen die Gartenpforte. Eine junge Frau kommt uns entgegen: „Wollt ihr Kaffee?“ Wir bestellen zwei Nes(café). Sie fragt noch, woher wir kommen und verschwindet in der Küche. Dann begrüßt uns die im Garten Hühnerköpfe putzende Mama in ihrem Haus: Wir sind im Familiengarten gelandet! Die junge Frau bringt uns den Kaffee, spricht ein wenig Deutsch mit uns. Und schon ist Christos – dieser hier ein griechischer Tavernenwirt aus Bielefeld – bei uns am Tisch. Die junge Frau hatte ihn aus der Küche heraus angerufen und ihn gebeten, zu kommen: Deutsche seien da. Er fragte sie am Telefon erst einmal, ob sie ihn verarschen wolle …
 
Nun sitzen wir mit Christos, der eigentlich aus Igoumenitsa stammt und dort noch eine Granatapfel-Plantage besitzt, seiner Frau und seinem alten Schwiegervater Kostas Kaffee trinkend am Tisch. Kostas war in jungen Jahren sieben Jahre lang als Religionslehrer für griechische Kinder in Ost-Westfalen gewesen, stammt aber aus Liontito. Zum Studium war er in seiner Jugend noch zu Fuß bis zur nächsten Bushaltestelle gegangen – im 40 Kilometer entfernten Dorf Mouzaki drunten am Rand der Thessalischen Ebene. Damals lebten in seinem Dorf noch 80 Familien – heute sind es im Winter gerade noch drei Alte. Sie bleiben der Schafe und Ziegen wegen. Um Hühner zu halten, ist es hier oben auf fast 1500 Meter Höhe zu kalt – 2012 hat es sogar am 18. Mai noch 20 Zentimeter Neuschnee gegeben. Im Januar liegt der Schnee manchmal bis zu sechs Meter hoch, tagelang ist das Dorf eingeschneit, ohne Strom und Telefon, erzählt man uns.
 
Spaß am Wagemut in der Einsamkeit
 
Heute aber ist Osterdienstag; es sind noch ein paar Weggezogene da, die über die Feiertage heraufgekommen waren. Christos nimmt uns mit auf die Platía, wo dann wirklich das Dorf-Kafenio unter einer 700 Jahre alten Platane steht. Zwei Tische sind besetzt, an einem gehört auch der Dorfpriester zur trinkfreudigen Parea. Er ist nur von Ostern bis Weihnachten hier oben, danach wird es ihm zu kalt. Jeder einzelne schüttelt uns die Hand. Dann erklärt man uns, warum im ganzen Landkreis Argithea nur noch 9,25 Einwohner pro Quadratkilometer leben. Wegen der extremen Armut hier oben hätten die Großeltern schon in der Nachkriegszeit größten Wert darauf gelegt, dass ihre Kinder lange zur Schule gehen und studieren, damit sie es einmal besser haben. Nun sind die meisten Dorfkinder Akademiker geworden – und finden in dieser Bergwelt keine angemessene Arbeit mehr.
Mitten in die Gespräche hinein klingelt Christos Handy. Wo wir denn blieben, das Mittagessen sei auf dem Tisch! Uns erwartet frisch gebratene Hochrippe, köstlicher Salat und die üppigen Reste vom Ostermahl: kaltes Lamm, kaltes Schwein und kaltes Kokoretsi. Im Dorf-Kafenio hatten wir schon einige Tsipouro trinken müssen, zur Mahlzeit gibt es Bier – und gleich unterhalb der Platia eine kleine Pension. Da warten wir vor der Tür, bis die alten Wirtsleute ihren Mittagsschlaf beendet haben und uns zwei Zimmer fertig machen. Sie haben die Pension einst für ihre Kinder gebaut. Doch die haben jetzt gute Jobs in Deutschland gefunden – für die Pension wird ein Käufer gesucht.
Insgesamt gab es im gesamten Landkreis 2012 fünf Pensionen. Die Wirtin der einen ist gestorben, der Wirt der anderen ist zwangsabwesend. Die Pension in Leontito wird vielleicht schon bald verkauft – dann bleiben nur noch die Pension am Wallfahrtskloster Spiliá und die Pension Alkiviadis in Kali Komi im Nordosten von Argithea. Deren Wirt Thomas ist 42 Jahre alt, war 20 Jahre lang Barmann in guten Hotels auf der Insel Skiathos, ist mit einer Britin verheiratet und hat Spaß an seinem Wagemut in der Einsamkeit. Zusammen mit seinem Vater arbeitet er als Bauunternehmer im Umkreis. Seine Mutter hat 50 Schafe und Ziegen (von denen meist zwei im Winter von Wölfen gerissen werden), die Familie baut auf winzigen Feldern Kartoffeln, Mais, grüne Bohnen und Tomaten an. Für größere Felder sind die Hänge von Argithea viel zu steil, da sind bestenfalls ein paar Apfel-, Maronen-, Walnuss- und Granatapfelbäume abzuernten. Mit ausländischen Gästen rechnet auch er nicht. Noch am häufigsten kommen Jäger, die es auf die vielen Wildschweine und das Damwild im Landkreis abgesehen haben. Braunbären und Luchse gibt es zwar ebenfalls, aber die stehen ja unter Schutz.
 
Ikonenreihe aus Naturstein aufgemauert
 
Thomas nimmt uns in seinem Jeep mit ins höher gelegene Nachbardorf Ellinika. Er zeigt uns die Kirche, deren Hof er und sein Vater gerade kürzlich neu gepflastert haben. Der Dorfpriester, der lange in Schweden lebte, ist ein guter Freund von ihnen, hat auch das Kirchendach von ihnen decken lassen. Das Dorf war früher eine wichtige Karawanenstation am Weg vom Epirus nach Süden, hatte einst sogar zwei Schulen. Eine ist heute geschlossen, die andere dient jetzt als Dorf-Kafenio. Heute Abend herrscht viel Betrieb, denn alle Männer namens Jorgos feiern heute ihren Namenstag und schauen im „Zentralcafé“ vorbei. Wir werden jedem vorgestellt und natürlich mit Handschlag begrüßt. Nach 20 Minuten stehen 8 Flaschen Amstel auf unserem Tisch – von jedem Georg eine. 
Bevor wir am nächsten Morgen weiter fahren, zeigt uns Thomas noch stolz die Dorfkirche von Kali Komi, die wie alle Kirchen im Landkreis unverschlossen ist. Die hohe Ikonostase mit zweistöckiger Ikonenreihe ist – einzigartig im ganzen Land – aus Naturstein aufgemauert und unverputzt. Wir sehen an diesem Tag noch andere Sakralbauwerke, allen voran das Kloster Spilia als bedeutendstes Pilgerziel der Region. Es steht weltabgeschieden, aber nicht gottverlassen auf einem Fels. Eine raue Piste führt hinauf. Als wir ankommen, schiebt gerade ein Ehepaar aus Trikala ihren erwachsenen, schwer behinderten Sohn im Rollstuhl in die freskengeschmückte Klosterkirche. Sie ist „Maria als Leben spendendem Quell“ geweiht. Schon in byzantinischer Zeit vollbrachte ihre Ikone in Konstantinopel Wunderheilungen – hoffentlich hilft sie auch diesem jungen Mann!
 
Für Tourismuswerbung fehlt jegliches Geld
 
Dem Landkreis Argithea aber ist wohl nicht mehr zu helfen. In keinem anderen Landkreis Griechenlands sind so wenige Straßen asphaltiert, sind die Winter so hart und die Landwirtschaftsflächen so klein. Linienbusse hinunter in die Städte in den Ebenen gibt es nicht, im ganzen Landkreis verkehrt nur ein einziges Taxi.
Griechische Wochenendurlauber kommen kaum noch, für Tourismuswerbung fehlt jegliches Geld. Auch die letzten Grundschulen werden wohl bald schließen, wenn nicht mehr junge Priester wie der im Dorf Mesovouni herauf ziehen: Seine sechs schulpflichtigen Kinder halten als einzige die Dorfschule am Leben … 
 
Infos: 
Dimos Argitheas: Der heutige Landkreis Argithea im Regierungsbezirk Karditsa wurde 2011 aus den Altkreisen Argithea, Acheloos und Athamanos gebildet Kreishauptstadt ist Anthiro. Die Zufahrt auf Asphaltstraße erfolgt entweder von Karditsa aus über Mouzaki oder von Arta aus über Astrochori.
Website der Gemeinde: http://www.dimosargitheas.gr/el/ (nur Griechisch, schöne Fotos)
Pensionen: Alkiviadis in Kali Komi, http://www.hotell-alkiviadis.no/eng/; Delidimi in Leontito, Tel. 6979482267; Ta Ragazia am Kloster Spilia, Tel. 6979728262.
Kartenmaterial: Für den nördlichen Teil des Dimos „South Pindos 1:50 000“ (2013), für den gesamten Dimos „Central Greece 1:250 000“ (2012), beide aus dem Anavasi-Verlag (www.anavasi.gr).
Buchtipp: Argithea Acheloos von Angelos Sinanis, Verlag Elati Trikala, ISBN 978-960-92872-0-3 (nur auf Griechisch)
 
Klaus Bötig
 
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Jachtcharter in Nordgriechenland

  • Thrakien

 
Die letzten Einkäufe sind erledigt: Frisches Obst und Gemüse, Trinkwasser und ein paar Dinge für das erste Mittagessen. Wir nähern uns dem Hafen von Iraklitsa bei Kavala, wo die „Carpe Diem“, eine knapp 14 Meter lange Bavaria 44, auf uns wartet. Einladend leuchtet sie im Sonnenschein. Ein langes Segelwochenende liegt vor uns. Unser Ziel ist Thassos, die grüne Insel in der nordgriechischen Ägäis.
 
Der Skipper Anthimos Andreadis, seine deutsche Frau Daniela Haug und die beiden Kinder Konstantin und Emilios sind schon an Bord und treffen die letzten Vorbereitungen: Lebensmittel und alles Gepäck werden verstaut. Es darf nichts im Weg liegen, was stören könnte. Dann gibt es eine kleine Einführung in die Sicherheitsregeln, die Handhabung der technischen Geräte und der Wassersysteme. Für die segelbegeisterte deutsch-griechische Familie ist es die erste Saison auf der „Carpe Diem“. Erst vor kurzem gründete sie ihr Unternehmen „Phiona Sailing“. Bis zu zehn Personen finden Platz an Bord der voll  ausgestatteten Yacht, die über das Wochenende und auch länger mit oder ohne Skipper gemietet werden kann. Für Tagestörns hat die „Carpe Diem“ sogar eine Lizenz für 12 Personen, was selten ist bei Schiffen in dieser Größenordnung. „Uns liegt sehr am Herzen, dass die Region Nordgriechenland bekannter wird. Auch als Segelrevier hat sie viel zu bieten“, meint Daniela. Gemeinsam mit ihrem Mann kennt sie die Inseln Thassos und Samothraki wie ihre Westentasche. Anthimos arbeitet als Schiffsmechaniker- und elektriker und reist bis nach Lefkada, um dort Boote zu reparieren. Jemanden mit seinem Sachverstand in Griechenland zu finden, ist nicht einfach. Wir sind also in guten Händen.
 
Ein Dutzend Delfine als Begleitung
 
Unser erstes Ziel ist Limenas, die Inselhauptstadt. Wir haben Windstärke 3 bis 4 aus südwestlicher Richtung und natürlich jede Menge Sonne. Es geht mit 7 Knoten voran, wir haben das Großsegel und die Genua gehisst. Auf halber Strecke bekommen wir Besuch! Ein Dutzend Delfine nimmt den Wettkampf mit unserem Boot auf. Wir sind begeistert! 
Kurz vor Limenas fahren wir an herrlichen Stränden vorbei. Da wir nun unbedingt baden wollen, werfen wir in einer Bucht den Anker aus und springen ins kühle Wasser.
In Limenas kommen wir vollends in Urlaubsstimmung. Nach unserem ersten Anlegemanöver schlendern wir durch die quirlige Fußgängerzone bis zum Alten Hafen. Hier befindet sich auch das vor nicht langer Zeit neu eröffnete archäologische Museum der Insel. Aber die Kinder interessieren sich mehr für den bunten Autoscooter! Anschließend essen wir in der hübschen Taverne „Simi“. Müde fallen wir am ersten Tag unseres Törns in die Kojen.
 
Grillen des selbst gefangenen Fisches 
 
Am nächsten Tag versorgen wir uns mit allerlei Leckereien beim Bäcker direkt am Hafen. In der Pantry kochen wir Kaffee und frühstücken an Deck in der Morgensonne. Nachdem wir alles wieder verstaut haben, verlassen wir den Hafen von Limenas und setzen Segel. Unser Ziel zum Baden ist Vathi, eine kleine Traumbucht an der Ostseite der Insel, wo das Wasser kristallklar und der Strand weiß ist. Baden und Schnorcheln ist hier ein Genuss. 
Das Boot hat alles, was man dazu braucht: Flossen, Tauchermasken,  Schnorchel und große Kissen, um sich im Schatten auszuruhen. 
Als Ankerplatz für die nächste Nacht  haben wir uns die kleine Bucht von Alikes ausgesucht. In Alikes befinden sich die berühmten antiken Steinbrüche, die wir vom Boot aus bewundern. Als wir in die gut geschützte Bucht einlaufen, ist der Strand noch rappelvoll, aber nach und nach leert er sich. Irgendwann sind nur noch wir und ein paar andere Boote in der Bucht und wir genießen die Ruhe und den Sonnenuntergang. Am Strand gibt es eine Auswahl an Tavernen und Richtung Straße ist ein kleiner Supermarkt zum Aufstocken unseres Proviants. Wir grillen abends den unterwegs geangelten Fisch. 
Dann liegen wir an Deck und schauen noch lange in den Sternenhimmel. 
Nach dem Aufwachen springen wir sofort in das  türkisfarbene Wasser und fühlen uns wie im Paradies. 
 
Schwimmen durch den natürlichen Felstunnel
 
Am dritten Tag haben wir eine ganze Strecke zurückzulegen bis zu unserem nächsten geplanten Ankerplatz, der kleinen Bucht Salonikios. Leider ist Flaute angesagt und wir müssen den Motor anwerfen. Vorbei geht es am eindrucksvoll gelegenen Frauenkloster Archangelos an der südlichen Steilküste der Insel, bis die Landschaft wieder flacher und auch karger wird. In Richtung Westen sieht man den majestätischen Berg Athos.
Wir kommen zur Salonikios-Bucht, haben jedoch plötzlich so schönen Wind von Achtern, dass wir beschließen, bis nach Tripiti weiterzusegeln. Vorbei geht es an Potos und Limenaria, den beiden größeren Städten der Insel. Am Tripiti-Strand legen wir vor der Heimfahrt noch einmal eine ausgiebige Bade- und Essenspause ein. Wir ankern im glasklaren Wasser, holen Flossen, Masken und Schnorchel heraus und wollen durch den natürlichen Felsentunnel schwimmen, von dem der Strand seinen Namen hat. Den Kindern ist dies jedoch zu unheimlich, sie rudern lieber auf dem Schlauchboot durch den Tunnel. Also wird es noch zu Wasser gelassen. Nach ausgiebigem Baden und Schnorcheln machen wir es uns im Schatten im Cockpit  gemütlich und essen  Salate, Brote, verschiedene „Mezedes“ und trinken dazu Ouzo. Danach ruhen wir uns aus. Am frühen Nachmittag verlassen wir unter Motor die Ankerstelle. Bei Südwind um 3 bis 4 Windstärken können wir schnell Segel setzen. Mit 6,5 Knoten rauschen wir bis Kap Maries, um von dort mit achterlichem Wind nach Iraklitsa zurück zu segeln. Die leicht kabbelige See ist für die „Carpe Diem“ ein Kinderspiel, und auch wir haben inzwischen feste Seemannsbeine bekommen. Das wird sicherlich nicht unser letzter Törn mit der familienfreundlichen Crew und dem seetüchtigen Schiff gewesen sein. Das nächste Mal geht es nach Samothraki!
 
 
Andrea Dimitriadis
 
 
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Ein Dorf auf Kreta: Quicklebendiges Fodele

  • Kreta

Fodele ist ein Nest, eingeklemmt zwischen den Hügeln, die das Tal des Pantomantris begleiten, eines wilden Gebirgsbachs, der aus den kretischen Bergen kommt und drei Kilometer weiter ins Meer sich ergießt und so den Aalen Gelegenheit gibt, flussaufwärts zu laichen. Das Dorf – aus der Ferne sieht es idyllisch aus – ist ein Konglomerat aus Behausungen, die keiner architektonischen Vernunft folgen. Aus den meisten Dächern stehen die Armiereisen des Betongusses heraus. Nur in einigen Gassen erahnt man das authentische kretische Dorf, wie es sich Griechenlandromantiker vorstellen.


In den vergangenen Jahrzehnten ist aus dem Dorf Fodele eine gestreute Siedlung geworden, die von der nahen Großstadt, aber auch vom durchgehenden Tourismus ihr heutiges Gesicht erhalten hat. Was sich an dem Ort über Hunderte von Jahren nicht verändert hat, ist der Fluss Pantomandris, an dessen Ufern sich schon im 13. Jahrhundert Menschen niedergelassen haben. Dieser ist auch die Ursache für die Attraktivität des Ortes, indem er links und rechts eine üppige Natur gedeihen lässt. Ein Naturpfad den sprudelnden Fluss entlang hat es den Wochenendtouristen besonders angetan.

Mit einem Orangenfest gegen die Krise

Wir sind am Faschingswochenende auf Einladung von Freunden dort eingetroffen. Es war nur eine kurze Autofahrt die 27 Kilometer auf der Nationalstraße mit den verschneiten Bergen im Hintergrund von Iraklio zur Fodele-Bucht und von dort hinauf in das Dorf. Im Fluss, der parallel zur Hauptstraße verläuft, machten sich mehrere Menschen in Gummigaloschen zu schaffen. Schwarze Müllsäcke füllten sie mit Plastiktüten, Limonadendosen, Spielsachen, Blechstücken und sonstigem Zivilisationsmüll. Das Dorf sollte einen sauberen Eindruck hinterlassen auf die Gäste, die man erwartete. Der Kulturverein hatte beschlossen, am Faschingsmontag (Kathara Deftera) ein Orangenfest zu feiern und die ganze Umgebung dazu einzuladen. Die mit einem hervorragenden Mikroklima versehenen Gärten und Plantagen rund um das Dorf lassen den Anbau von wunderbar schmackhaften und saftigen Orangen zu. Wegen der aufwändigen Pflege der Bäume aber erbringen die Plantagen seit einigen Jahren immer weniger Gewinn. Einige der Bauern lassen die Früchte an den Bäumen hängen, bis sie auf den Boden fallen und verfaulen. Stattdessen nahmen sie lieber in die Stadt oder in einem der nahe gelegenen Touristenhotels eine Lohnarbeit auf. Doch das ist in der Krise nicht mehr so leicht. Das hat einige Bewohner auf die Idee gebracht, es vielleicht mit etwas besserem Marketing zu versuchen. Also ein Orangenfest ins Leben rufen, das vor allem von den Dorffrauen organisiert wird. Vorneweg Charoula, eine etwas stämmige Mittfünfzigerin, die Zigarillos raucht und überall zu finden ist, wo Hilfe gebraucht wird als Pflegerin, als Mitglied des Gemeinderats oder als Initiatorin solcher Aktionen.
Auf der Platia zwischen uralten und riesigen Platanen herrschte schon am Morgen rege Betriebsamkeit. Männer stellten Tische und Bänke auf und kochten in riesigen Kesseln die zum Fastenmontag gehörende Bohnensuppe. Dann kamen die Frauen mit Gerührtem, Gebackenem und Gebranntem, um zu zeigen, was man aus Orangen alles machen kann. Allmählich füllte sich der Platz mit den Gästen. Schließlich packten junge Männer Lyra, Laute und Gitarre aus und begannen zum kretischen Tanz aufzuspielen.

Geburtsort des großen El Greco

680 Einwohner hat Fodele, eine Kirche, zwei Metzger, zwei Minimärkte, eine Bäckerei und ein Kiosk versorgen Seele und Leib mit dem nötigen Bedarf. Es gibt keine Behörde, keine Telefonzelle, kein Postamt und keinen Briefkasten, auch keinen Laden mit Zeitungen. Wer aber aus Iraklio am Wochenende in Fodele etwas frische Luft bei einem Spaziergang den Fluss entlang sucht, findet eine Reihe von Geschäften mit Andenken und lokalen Produkten wie Honig, Marmeladen, Raki sowie gestickten Tischdecken, Täschchen und Andenken. Dazu gibt es sechs Restaurants und zwei Cafés. Die heißen Jasemi, Platanos, Domenico und El Greco. Domenikos Theotokopoulos, der nach seiner Ausbildung im 16. Jahrhundert als Maler nach Italien und später nach Spanien übersiedelte und dort den Namen El Greco erhielt, ist offensichtlich in Fodele geboren. Außerhalb des Dorfes gibt es ein Haus, das der Familie Theotokopoulos gehörte und in ein kleines Museum umgewandelt wurde. Zwar hängen dort nur Reproduktionen von einigen der berühmten Malereien des Künstlers, aber es zieht nicht wenige Besucher an, zumal das daneben stehende byzantinische Kirchlein Panagia ein Juwel byzantinischer Kirchenarchitektur darstellt und für das fehlende Kunsterlebnis im Museum entschädigt.

Man isst zusammen, man trinkt zusammen
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Die Touristenattraktion Fodele unterscheidet sich von vielen anderen kretischen Touristenorten wie vom nahe gelegene Agia Pelagia dadurch, dass es auch im Winter belebt ist und dass seine Einwohner einem produzierenden Beruf nachgehen als Viehzüchter, Gemüsebauern, Handwerker, Plantagenbesitzer. Auf dem Weg zum Meer hat Manos Fthinakis ein großes Gewächshaus errichtet für Hydroanbau. Wir treffen dort Jorgos, seinen etwas pummeligen 14-jährigen Sohn an, der den Stimmbruch noch vor sich hat. Mit seinen Gummigaloschen stapft er vor uns her und erklärt uns äußerst höflich und fachkundig, wie der Anbau verschiedener Salate ohne Belastung der Böden funktioniert. „Der wird nie in seinem Leben arbeitslos werden“, sagt Vana, eine Einheimische, die uns begleitet hat.
Etwas außerhalb von Fodele betreibt in den Herbstmonaten Michalis eine Schnapsbrennerei, aus der der Raki stammt, der nicht nur in den Kneipen angeboten wird. In allen Häusern steht die Schnapsflasche auf dem Tisch und zirkuliert schnell, wenn jemand das Haus betritt. So auch bei Evripidis und Soula, die direkt an der Hauptstraße neben der Platia wohnen. Ein Holzgatter trennt eine Art Terrasse von der Straße. Dann steht man aber auch schon im Wohnraum mit Küche. Dort geht es zu wie in einem Bienenkorb. Nebenan befindet sich das Haus von Soulas Kusinen. Man isst zusammen, man trinkt zusammen, man streitet lautstark und man spielt zusammen Karten. Jeden Abend, vor dem Essen und nach dem Essen. Mit viel Lärm und Gelächter. Ständig kommen andere Leute aller Altersgruppen vorbei, setzen sich kurz, trinken ein Glas Raki und verschwinden wieder.

Erinnerung an einen Admiral mit Esel

Hunderte von diesen Sekundenkontakten pflegen sie alle in dem Dorf. Es geht nicht um Informationen, nur um die Nähe zu den anderen. An schönen Tagen isst man auf der Terrasse. Die vorbei ziehenden Wochenendtouristen können der Familie auf die Teller blicken. Als am Sonntagmittag sich dort wieder eine große Gesellschaft niedergelassen hat, donnert ein schweres Motorrad in unerlaubtem Tempo vorbei, dreht auf der Platia eine Wende und kehrt zurück mit knallenden Vergaser-Explosionen. Flüche und die dazu passende Mountza (verächtliche Geste mit der Hand) verfolgen den jungen Burschen. „Die tyrannisieren das ganze Dorf. Sie leben vom Drogenhandel und haben auch eine Kalaschnikow zu Hause“, sagt mir Evripidis, „die Polizei deckt sie und warnt sie vor einer Razzia. Vergiss nicht, dass Zonianá nicht weit von hier ist.“
Admiral nannten sie den Mann mit den zu kurzen Beinen, der noch vor wenigen Monaten täglich mehrmals auf seinem Esel durch das Dorf geritten ist. Der Esel ist vor kurzem eingegangen. Dann starb auch der Admiral. Nun wird sein vierzigster Todestag (Mnimosino) begangen mit Gottesdienst und Kolyva (gequollene Weizenkeime mit Gewürzen und Zucker). Die Kirchenglocken melden das Ereignis an, die Kirche ist voll und noch voller sind die Cafés, wo von den Überlebenden der Trostkaffee eingenommen wird. Am Abend baut Jannis in seinem Restaurant Lautsprecher auf, ein DJ übernimmt die Unterhaltung, diesmal für die jungen Leute des Dorfes. Das Nest Fodele ist quicklebendig und trotzt der Krise.

Hubert Eichheim

Unsere Fotos (© Griechenland Zeitung / Hubert Eichheim) zeigen Platanen, die den Dorfplatz überschatten und ein Familienfest am Straßenrand.

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