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Griechenland Zeitung - Tourismus / Reportagen

Gavdos – Insel zwischen Europa und Afrika

  • Kreta

Die kleine Fähre aus Paleochora nähert sich dem kargen felsigen Eiland. Tiefes Tintenblau unter uns, eine feste Hafenmauer vor uns, wenige Häuser säumen den Hafen von Gavdos. Wir fahren auf die südlichste Insel Europas – ungefähr 40 Kilometer vom kretischen „Festland“, etwa 120 Kilometer entfernt vom der libyschen Küste. Selbst wenn man meint zu wissen, wie griechische Inseln so etwa sind, diese hier ist eine ganz besondere Erfahrung mit einer einzigartigen Natur. Weiterlesen ...

Dion – ein glanzvolles Zentrum des Makedonischen Reiches

Die Flussbrücke von Litochoro bietet einen grandiosen Einblick in die enge Schlucht des Enipeas, die das Gebirgsmassiv des Olymps regelrecht spaltet. In der antiken Welt glaubte man, dass an den steilen Gestaden dieses Flusses die Götter herabstiegen, um sich ihren Arbeiten unter den Menschen zuzuwenden. Regelmäßig beschritt von hier aus Apollon den Weg nach Delphi, und Hera bewegte sich „eilend herab“, um am Kampf von Troja teilzunehmen, wie Homer im 14. Gesang der „Ilias“ erzählt. Der Enipeas und der Elikonas, der durch Dion fließt, werden beide mit dem tragischen Ende des Orpheus in Zusammenhang gebracht, der an einem der Flüsse von wutentbrannten Frauen zerrissen wurde, weil er mit seinen Liedern ihre Männer verführt hatte, mit ihm zu ziehen. Wie dem auch sei, er wurde in Dion bestattet, und zwar von den Musen, Töchtern des Zeus. Sie bargen Orpheus’ Glieder aus dem Fluss und legten sie in einen Steinkrug, den sie auf eine Säule stellten.   

Theater, Odeon und Bäder

Wir lauschten den Erläuterungen einer Reiseführerin namens Aphroditi. Sie hatte uns auf einen kleinen Hügel links der antiken Hauptstraße von Dion dirigiert, wo wir jenseits des Ziegelmauerwerks eines römischen Hypokaustums, der Bodenheizung einer großen Thermenanlage, anmutige Statuen erblickten, die aus Schilf und Wasser emporragten. Sie erzählte uns Geschichten von Nymphen und Musen, die in den zauberischen Quellen von Dion einst ein geheimnisvolles Wirken entfaltet hätten, und vermischte die alten Mythen mit esoterischen Ideen von heute. Über ihren romantischen Ausführungen vergaß Frau Aphroditi zu berichten, dass es sich bei der Stadt Dion und ihrem Heiligtum des Olympischen Zeus tatsächlich um ein von politischen Interessen bestimmtes, perfekt organisiertes Gemeinwesen des Makedonischen Reiches gehandelt hat. Überall, wo Zeus verehrt wurde, gab es für seine Töchter, die Nymphen und Musen, Weihestätten und erst recht hier im Land Pieria, wo die neun Musen geboren waren. Die alten Mythen aber dienten den makedonischen Königen vor allem dazu, das direkt unter dem Götterberg gelegene Zeusheiligtum zu einem geistig-politischen Zentrum für ganz Griechenland zu machen und athletische und kulturelle Wettspiele zu etablieren, die denen der alten panhellenischen Heiligtümer Olympia und Delphi ebenbürtig wären. Tatsächlich haben die Archäologen der Universität Thessaloniki in ihren drei Grabungskampagnen des 20. Jahrhunderts im antiken Dion aufwändige Bauwerke aufgedeckt: zwei Theater, ein hellenistisches und ein römisches, ein Odeon, zehn Bäder und selbstverständlich ein Stadion und ein Gymnasium sowie mehrere andere öffentliche Gebäude. Und die Ausgrabungen von Dion sind noch nicht beendet ... Die sichtbaren Reste der meisten Bauten stammen aus den römischen Epochen der ersten drei nachchristlichen Jahrhunderte, meist jedoch errichtet über hellenistischen Vorgängerbauten.

Antike Hauptstraße mit Geschäften

Wir besuchten Dion bereits zum zweiten Mal, unser erster Besuch hatte im Sommer stattgefunden, und wir mussten ihn der mörderischen Hitze wegen abbrechen und suchten das entzückende kühle Bergdorf Palios Panteleimonas auf, wo wir dem Bouzouki eines modernen Orpheus’ lauschten und uns auf dem alten Kirchplatz in einer der traditionellen Tavernen erholten. Von einem „Wasserheiligtum“ Dion fanden wir damals kaum eine Spur: In den Schilfgürteln neigten sich die hohen Stängel müde, leblos und vor Trockenheit raschelnd über seichte Lachen. Die hohen Bäume der Eingangsallee entließen uns übergangslos in die schattenlosen Ruinenfelder, wo die lange antike Hauptstraße, umrahmt von Rudimenten der einstigen Geschäfte, Werkstätten und Häuser und der anschließenden, mit Mosaiken und Peristylen ausgestatteten Villen in gleißender Sonne lagen. Kühlung verheißende Baumgruppen hat das archäologische Gelände reichlich, aber überwiegend jenseits der Ausgrabungsflächen. Bei der Wahl des Kultplatzes für den Blitze schleudernden Zeus sollen die heftigen Sommergewitter, die sich einst wie auch heute über den Abhängen des Olymp entladen, eine ebenso entscheidende Rolle gespielt haben wie die Wasserströme des Winters, die die Unternehmungen der Archäologen zur nicht endenden Sisyphos-Arbeit machen.    

Gottesdienste parallel zu den Mysterienfeiern

Kommt man anstatt im Sommer im Winter nach Dion, glaubt man sich fast an einem anderen Ort, einem Paradies mit Flussläufen, Teichen, Kanälen und Wasserpflanzen, aus denen sich Säulen und anmutige Standbilder hoben. Das romantische Erscheinungsbild erhielt einen komischen, aber durchaus passenden Akzent, als sich eine Schar schnatternder Gänse mit vorgestreckten Hälsen in den Fluss Vaphyras stürzte. Eine Brücke führt zu den Resten eines Isis-Heiligtums mit drei Tempelfundamenten – die Verehrung „fremder“ Gottheiten, in diesem Fall der ägyptischen Muttergöttin, war typisch für die internationale Aufgeschlossenheit der hellenistischen und römischen, ja auch der frühchristlichen Welt. Jenseits des Flusses fanden in einer stattlichen Basilika, einer Bischofskirche des 4. und 5. Jahrhunderts, die ersten Gottesdienste noch parallel zu den Mysterienfeiern des Isiskultes statt, der wiederum auf dem ältesten Tempelterrain Dions, einem Demeterheiligtum des 5. Jahrhunderts v. Chr., gründete.
Die Wasser, die im Winter in Sturzbächen von den Steilhängen des Olymp herab schießen und sich zu Wildwasserflüssen sammeln, versickern am Fuß des Gebirgsmassivs mitunter völlig, um dann an entfernten Stellen, wie Dion, als Quellen wieder zutage zu treten. Wegen dieses „Wunders“ galt der Fluss Elikonas („Helikon“) als heilig und wurde besonders gepflegt und gelenkt. Eine technische Meisterleistung war seine Schiffbarmachung im Stadtbereich, indem über ein raffiniertes Ableitungssystem die Gebirgsbäche der Gegend hineingeleitet wurden. In seinem Unterlauf bis zum Hafen im Mündungsgebiet am Thermaischen Golf hieß der Fluss dann Vaphyras und wird heute Chelopotamos genannt, weil er von „Chelia“, wohlschmeckenden Aalen, wimmelt. Den Oberlauf, den alten Elikonas, nennen die Leute wegen des Brausens seiner Wasser lautmalerisch „Ourlias“.

Schritte zum kulturellen Anschluss

Phänomenal auch die schon seit dem Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. durchgeführte Befestigung der Stadt durch einen 2.700 Meter langen Mauerkranz mit 33 Türmen und mindestens sechs Toren, denen der exakte hellenistische Stadtplan zugeordnet war. Die früheste Anlage geht auf den wohl ersten bedeutenden König der Makedonier, Archelaos (413-399 v. Chr.), zurück, der Dion zur heiligen Stadt erklärte. Durch planvollen Ausbau von Handel und Verkehr erlöste er das gesamte Gebiet von Zentral-Pieria aus seiner naturalwirtschaftlichen Isolierung und vollzog die ersten Schritte zum kulturellen Anschluss an Griechenland. An seinen Königshof in Pella berief Archelaos den Dichter Euripides, der ein Drama über ihn („Archelaos“) schrieb, das in Dion uraufgeführt wurde. Erst Philipp II. aber führte nach seinem Sieg über die verbündeten Thebaner und Athener bei Chaironeia 338 v. Chr. die Wettspiele zu Ehren des Zeus ein, und von Alexander dem Großen wird berichtet, er habe vor seinem Aufbruch zum Perserfeldzug in Dion geopfert und dort auch seine Siege gefeiert.

Die älteste Orgel der Welt

Die Vergangenheit und die Gegenwart der Stätte werden verbunden durch die intensiv genutzte Fruchtbarkeit der Natur. Heute wie immer schon liegt Dion in einer Domäne der Landwirtschaft, wo selbst im Winter in sorgfältig aufgeräumten Feldern und gepflegten Anpflanzungen das Wirken der Bauern ins Auge fällt. Bis vor wenigen Jahrzehnten war hier Tabak ein Hauptprodukt, für den größtenteils verlorenen Anbau fand sich Ersatz in der Kiwifrucht: Die sich zu tiefgrünen Blattdächern über Stangen ineinander rankenden Kletterpflanzen, in deren Dunkel sich die aromatischen Früchte verstecken, ziehen sich kilometerweit durchs Land. Auf den Vorbergen reihen sich große Kastanienplantagen aneinander. In der Antike wurden Korn, Hülsenfrüchte und Nüsse geerntet. Auch spielte und spielt die Holzwirtschaft eine große Rolle, und die Flüsse Enipeas und Vaphyras waren wichtige Transportwege. Der archäologische Park liegt am Rand des immer noch den Namen „Dion“ tragenden Bauerndorfes. An herausragender Stelle befindet sich genau im Zentrum das Museum, denn die Landbevölkerung ist stolz auf die historische Bedeutung ihrer Ortschaft. Funde aus den Heiligtümern, dem antiken Stadtgebiet und der Umgebung sind in diesem Museum versammelt – neben den Originalen der Standbilder so einzigartige Relikte wie die bislang älteste Hydraulis, eine „Orgelvorläuferin“ mit 27 sich bis zu 1,20 Meter hoch staffelnden Bronzepfeifen aus dem 1. Jahrhundert n. Chr., oder die seltene Sitzstatuengruppe von vier Philosophen aus dem 3. Jahrhundert n. Chr.

Text und Foto: Ursula Spindler-Niros

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Das Kloster Ossios Loukás – auf dem Wege nach Delphi

Der Einsiedler und der Kaiser

Es war einmal ein heiliger Mann, der am Hang eines großen Berges sein Leben verbrachte, neben einem kleinen Kirchlein. Dort legte er einen Gemüsegarten an. Er betete zu Gott, zog sein Gemüse und verteilte es an die Menschen, die zu ihm kamen. Ab und zu sagte er ihnen auch etwas über die Zukunft voraus, denn Gott hatte ihm die Gabe der Prophetie gegeben. Als aber der Kaiser in der großen Stadt am Bosporus davon erfuhr, beschloss er, den heiligen Mann über das Schicksal seines Reiches zu befragen. Und so standen eines Tages die  kaiserlichen Abgesandten vor dem Einsiedler Loukás, denn das war sein Name, und fragten ihn, ob die kaiserliche Flotte, die gen Kreta auslief, die große Insel von den  Sarazenen befreien  würde.
Loukás antwortete mit ja. Und so geschah es auch. Das war Ende des 10. Jahrhunderts. Und diesmal schickte der Kaiser, sein Name war  Romanos II., aus großer Dankbarkeit seine besten Architekten und Baumeister aus Konstantinopel nach Griechenland und Handwerker aller Art, Steinmetze, Marmorleger, Schmiede ... Seine Nachfolger taten es ihm nach, und es kamen auch die Wandmaler und Hagiographen und auch jene Künstler, welche für ihre Kunst vor allem eins brauchten, unendlich viel, d. h. die Hersteller der Mosaiken. Eine uralte Kunst, antikes Erbe von Hellas und von Rom, das zum Hauptcharakteristikum byzantinischen Glanzes wurde. Stück für Stück bearbeiteten sie das Glas, überzogen es mit farbigem Email oder mit feinem Blattgold, bedeckten damit das neue Gotteshaus ganz, nicht ein Zentimeter Wand blieb unbedeckt, keine Nische keine Kuppel ... Und aus dem Kirchlein wurde eine große Kirche und an sie angelehnt noch eine größere gebaut, deren Prunk und Glanz noch heute weltweitem Ruf genießen. Durch die Arkaden des sie umgebenden Klosters hindurch blickt man auf die griechische Landschaft, Weiden, Olivenhaine, am Horizont die Berge. Den Parnass.

Innerlichkeit östlicher, byzantinischer Musik

Heute gehört das Monastir von Ossios Loukás - zusammen mit zwei anderen Klöstern, Nea Moní auf Chios und Daphní bei Athen – zum Weltkulturerbe der UNESCO. Das trägt sicherlich auch zu seinem Ruhm als begehrtes Reiseziel bei, wie nach wie vor Tatsache, dass es sich auf dem Wege nach Delphi befindet, das neben Athen und Olympia zu den drei „obligatorischen“ Angeboten der internationalen  Reiseunternehmer gehört. Ist das Kloster Ossios Loukás gewissermaßen ein „Nebenschauplatz“? Freilich nicht. Zwar bleibt die Antike neben Sonne, Luft und Meer der Hauptanziehungspunkt für die Reisenden. Aber Byzanz ist schon längst ins Zentrum des Interesses gerückt, durch eine neue fundierte Betrachtungsweise europäischer Geschichte, mit der eine Reihe großer internationaler Ausstellungen einherging, so wie die Thematisierung Konstantinopels in der Literatur und nicht zuletzt die Verbreitung der byzantinischen Musik. Wie auch immer: In letzter Zeit scheinen sakrale Orte in Griechenland, wie Kirchen und Klöster besonders von jüngeren Touristen aus aller Welt bevorzugt besucht zu werden. Vielleicht hängt das mit all den Tendenzen nach Besinnung, Ruhe und alternativen Lebensformen zusammen, als Gegengewicht zu unseren zunehmend rascheren Lebensrhythmen. Glaubt man dem Magazin „Der Spiegel“ (Ausgabe „Geschichte“ 1, 2014, Byzanz), folgt ein immer größeres jugendliches Publikum zurzeit einem neuen Trend: zur gregorianischen Kirchenmusik. Dabei werden die frühmittelalterlichen Chorgesänge, wie es heißt „diskret“, mit Lounge-Beats unterlegt, sprich mit allerlei instrumentalen Popmusik-Elementen. Die ganze Tendenz spräche für die Bereitschaft, sich auch der Innerlichkeit östlicher, byzantinischer Musik anzunähern. Ich kann es nicht ausschließen, auch wenn die gregorianischen … Lounge-Beats im Internet  sich für mich nicht ganz so „diskret“ anhören.

Mosaiken, die Reliquie und eine Nachtigall

Ich besuchte Ossios Loukás mit einer Gruppe von Schriftstellern, Akademikern und Übersetzern aus Anlass eines internationalen Treffens im „Europäischen Kulturzentrum von Delphi“. Es war ein sonniger Vorfrühlingstag, und wir verbrachten erst einige Zeit draußen vor dem Kloster, um uns herum die Wiesen voller wilder Blumen, umgeben, trotz der vielen Touristen – manchmal sind es zwei tausend am Tag –, von einer „gefühlten“ Stille. Hugo von Hofmannsthal hatte es hier, an derselben Stelle in seinen „Augenblicke in Griechenland“  auf den Punkt gebracht:
„Stunde, Luft und Ort machen alles“.
Er hatte allerdings das Kloster zu Pferde besucht und erlebte es in nächtlicher „paradiesischer“ Einsamkeit als sein Gast. Jemand aus unserer Gruppe las uns einige Sätze: „Wo der Abendstern stand, dort glänzte unsichtbar hinter dunklen Bergen der Parnass. Dort, in der Flanke des Berges, lag Delphi“. Für den österreichischen Schriftsteller ist die Erde, auf der Delphi und das christliche Kloster stehen, eine Art Gewähr für Ewigkeit. Er hört die Mönche sprechen in einer Sprache, die älter ist als die tausendjährigen Ölbäume der Gegend:
„Homer ist noch ungeboren, und solche Worte, in diesem Ton (werden schon) gesprochen ...“. Hier wären, fügt er im gefühlvollem Stil der Zeit hinzu, „der gleiche Boden, die gleichen Lüfte, das gleiche Tun, das gleiche Ruhn“. Und die gleiche Kraft der Prophetie, könnte man hinzufügen. Hier und drüben. Wobei die Priester der Orakels Pythias Sprüche den Herrschenden der Welt in rätselhafter Form weiter gaben und absichtlich mehrere, politische Interpretationen zuließen. Und die Prognosen des Seligen, klar formuliert, doch vermutlich nicht weniger brisant gewesen sein dürften. Der Kirche hat es ja an wundersamen Zukunftsvoraussagen nie gefehlt, manchmal waren es sogar nationale Visionen, die man in die Hand Gottes legen wollte. Deren Verwirklichung oblag allerdings den wirklichen  Akteuren der Geschichte, den Mächtigen, ihren Feldherren, den Befehlshabern ihrer Flotten.
Wir saßen noch für eine Weile auf dem Mäuerchen vor dem Kirchentor und hörten die Vögel zwitschern. Dann traten wir in die Dunkelheit der Kirche. Noch geblendet vom Sonnenschein, sahen wir es nicht gleich, das schimmernde Gold. Nur langsam umfing uns sein Glanz, das matte goldene Licht der Mosaiken, das die lang gezogenen, schmalen Gestalten der Heiligen und Engel – wie eine Vorahnung von El Greco – umgibt. Die Mosaiken zeigen dieselben Sequenzen  biblischer Szenen, die gleichen Heiligen und Propheten wie die Ikonen. Und sind doch in einer Hinsicht ihr Gegenteil: Ikonen sind einem körperlich nahe, man kann sich vor ihnen verbeugen, sie anfassen, sie küssen. Die Mosaiken hingegen sind von einem fern, geheiligter Schmuck und Stimmung eines „anderen Raums“. Man muss den Kopf in den Nacken  legen, den Blick in alle  Richtungen herum schweifen lassen – es sei, man begnügt sich damit, ihren Glanz nur still zu erahnen. Östliche Mystik befähigt offenbar gläubige Menschen durchaus zu dieser Umkehrung.  Auch ohne die Untermalung von beats.

Auf kirschrotem Samt gebettet

Doch  wir wurden gleich zu einem anderen Gegenstand religiöser Verehrung hin geführt, die mir überhaupt nicht behagte. Als hinreichend prominent eingeschätzt, wurde unsere kleine Gruppe für würdig gehalten, die ganzkörperliche Reliquie des heiligen Mannes betrachten zu dürfen, dem das Kloster geweiht ist. Nachdem der Selige Loukás 526 Jahre im Besitz der Venezianer gewesen ist, wurde er 1986 in sein Kloster zurückgebracht und liegt, auf kirschrotem, goldbestickten Samt gebettet, in einem Glaskasten. Aus einer schwarzen Mönchskutte ragt der mumifiziert Schädel hervor, erschreckend vollzählig die auffallend weißen Zähne. Ich wandte mich ab, als eine junge Frau an der Kopfseite des Kastens das Knie beugte und ihre Lippen an das Glas drückte. Meine Abwehr lag nicht in einem körperlichen Unbehagen, sondern hing mit dem Gedanken zusammen, was für unheilige Geschäfte im Laufe der christlichen Jahrhunderte in Ost und West mit dem Reliquienhandel getrieben worden sind – ein Hohn auf den Glauben der Menschen.
Draußen war es inzwischen etwas frischer, die Vögel zwitscherten, einer hörte sich etwas lauter an, klang wie eine Nachtigall. Singt die Nachtigall auch im Hellen? fragte ich mich.
Wir verließen das Kloster Ossios Loukás und fuhren die 35 Kilometer zurück nach Delphi. Der gelehrte Freund erzählte uns noch einiges über die neun Musen, den Gesellinnen des Apolls, Töchter des Zeus’ und der Mnemosyne, Göttin der Erinnerung. Sie waren an diesem Tag in unserer Nachbarschaft gewesen, an diesem gleichen Hang des Helikon, die Musen des Parnass. Da ging mir eine Darstellung der Mnemosyne durch den Kopf, auf einer Likythos, dem Trauergefäß der alten Griechen. Sie ist mit feinen, schwarzen und roten  Linien gezeichnet, sitzend zupft sie an den Saiten ihrer Kitharis, oder Phorminx. Sie allein weiß zu besingen, wie der alte Dichter Hesiod uns sagt: „das Gewesene, das Jetzige und das Zukünftige“. Vor ihren Füßen, unten links, fast unsichtbar klein, steht eine Nachtigall.
Ob man es glaubt oder nicht!

Text und Foto: Danae Coulmas

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