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Unterwegs auf einem alten Pilgerweg

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Hochebene im Parnass: eine nahezu unberührte Weidelandschaft, die stark dem Schweizer Jura ähnelt. (Fotos: GZgl/fm) Hochebene im Parnass: eine nahezu unberührte Weidelandschaft, die stark dem Schweizer Jura ähnelt. (Fotos: GZgl/fm)

Die Alten Griechinnen und Griechen begaben sich zum damaligen Nabel der Welt zu Fuß. Wir wollten es ihnen nachmachen und erkundeten im Frühsommer die Region des antiken Orakels in einem viertägigen „Delphi Ancient Footpath Trail“ von insgesamt 30 Kilometern Länge.

Wer kennt nicht das berühmte Orakel von Delphi? Tausende Besucher wälzen sich täglich durch die eindrückliche Ruinenlandschaft. Nicht wenige versuchen wohl, etwas von den geheimnisvollen Dämpfen zu erspüren, welche einst die Priesterin Pythia zu ihren rätselhaften Prophezeiungen inspiriert haben sollen.
Das Heiligtum in spektakulärer Lage am Fuß des Parnass war in der Antike ein berühmter Kultort und galt als Nabel der Welt. Man pilgerte von weit her, um Apollon wertvolle Geschenke zu bringen; dieser hatte hier die Schlange getötet, welche seine schwangere Mutter hätte umbringen sollen. Wir haben Delphi und seine Umgebung vor vielen Jahren schon einmal besucht und waren von der mystischen Landschaft begeistert, hatten aber zu wenig Zeit, um wirklich einzutauchen. Das wollten wir nun dieses Jahr nachholen.

Platanen auf dem Dorfplatz

Delphi erreichte man in der Antike zu Fuß. Der heilige Weg führte entweder vom Meer, vom alten Hafen Kirra her, nordwärts hinauf oder umgekehrt durch das Parnass-Gebirge, wo angeblich die Musen wohnten, südwärts hinunter. Unser Wunsch war es, einen Teil dieses alten Pilgerweges ebenfalls zu Fuß zu bewältigen. Da wir beide ü70 sind, zwar gerne wandern, aber durchaus unsere Grenzen kennen, suchten wir uns einen Veranstalter, der den Gepäcktransport übernimmt, die Hotelübernachtungen organisiert und uns gegebenenfalls mit dem Auto transportiert. Fündig wurden wir bei „Trekking Hellas Parnassos“, der einen viertägigen „Delphi Ancient Footpath Trail“ von insgesamt 30 Kilometern offeriert. Genau, was wir suchten. Wir starteten im Norden. Im kleinen Bergdorf Eptalofos – mit seinen riesigen Platanen auf dem traditionellen Dorfplatz und einem bescheidenen Wasserfall als Hauptattraktion – empfing uns die freundliche Eleni und versorgte uns mit Kartenmaterial, Notfalltelefonnummern und vielen guten Tipps. Unter anderem sollten wir unbedingt zum Abendessen die lokale Spezialität „patato tourta“ versuchen, gebratene Kartoffelscheiben mit Spiegelei, die wirklich hervorragend schmeckte.

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Kapelle auf der Spitze der Felsnase, bevor der Pilgerpfad hinunter in die Ebene mit dem Olivenwald führt.

Blick in die Ebene Böotiens

Ausgerüstet mit einem Tagesrucksack und Wanderstöcken, starteten wir am nächsten Tag recht früh, da uns ein schöner, sonniger, also warmer Tag versprochen wurde, und wir eine Höhendifferenz von gut 600 Metern zu bewältigen hatten. Der Trail stieg tatsächlich steil an, folgte die meiste Zeit dem gut markierten E4, dem europäischen Weitwanderweg. Nachdem wir die Ferienhauszone, die sich wie ein Gürtel um das Bergdorf legt, überwunden hatten, ging es auf Schotterwegen durch eine uns eigentlich vertraute Waldlandschaft, wie wir Schweizer sie vom Berner Oberland oder Jura kennen. Hin und wieder blieben wir stehen, um Atem zu schöpfen und zurückzublicken; wenn wir Glück hatten, konnten wir jenseits der dunkelgrünen Wälder bis weit nach Norden in die fruchtbare Ebene Böotiens hinuntersehen. Wir ließen das felsige Massiv des Parnass hinter uns und erreichten bald die Hochebene und den mit gut 1.300 Metern über dem Meeresspiegel höchsten Punkt des Trails, wo uns die Landschaft tatsächlich voralpin vorkam: Wir wanderten über grüne Weiden, durch Hochmoore und trafen keine Menschenseele; so weit das Auge reichte, nur stille Tannenwälder, lauwarme Sonne, ein leichter kühler Wind, Vogelgezwitscher und flinke Eichhörnchen – ein Idyll.

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Eine frei umherwandernde Kuhherde mit Muttertieren, Kälbern und einem Stier.

Das „Mykonos des Winters“

Die erste Tagesetappe, mit neun Kilometern bis auf den steilen Direktaufstieg keine große Sache, endet mitten im dunklen Wald an einer Straßenkreuzung, wo uns das Fahrzeug des Veranstalters bereits erwartet. Weit und breit gibt es hier keine Siedlung, d. h. auch keine Übernachtungsmöglichkeit. Wir steigen deshalb ein und werden zum nächsten Übernachtungsort gefahren: Arachova. Über Arachova gibt es nicht viele Worte zu verlieren – der Übername „Mykonos des Winters“ sagt alles. Der Ort hat sich vom einst bescheidenen Bergstädtchen zu einem kosmopolitischen Wintersportort gemausert. Jetzt im Frühsommer ist allerdings nicht viel los, wir sind darüber nicht traurig. Die Anschlussstelle der Wanderung am nächsten Tag erreichen wir wieder mit dem Auto, wozu wir durch die Hochebene über Arachova fahren müssen – für uns ein kleines Schockerlebnis! Wir waren hier ja schon mal, vor rund 30 Jahren, da war diese Hochebene eine wunderschöne, abgeschiedene, verträumte Landschaft, heute ist sie komplett mit Ferienhäusern, sehr oft allerdings nur als Bauruinen, zugemüllt ... ein trauriger Anblick. Die heutige Strecke ist mit acht Kilomtern zwar kurz, fällt aber im letzten Drittel steil ab, für Knie und Knöchel eine Herausforderung. Zu Beginn wandern wir aber wieder durch einen lockeren Tannenurwald und dann über Weiden, wo wir einer großen, frei herumziehenden Herde mit Mutterkühen, Kälbern und einem Stier begegnen, die uns so ängstlich-neugierig mustern wie wir sie. Der berühmte Formaela-Käse von Arachova, den wir gestern natürlich auch gekostet haben, wird allerdings aus Schafsmilch hergestellt.

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Der mondäne Wintersportort Arachova mit dem bekannten Uhrturm im Frühsommer

Größter Olivenhain Griechenlands

Durch duftenden Thymian, zwischen gelbem Ginster, wildem Salbei und Wachholdersträuchern schlängelt sich der Weg durch eine märchenhafte Karstlandschaft. Bald ist die Geländekante erreicht, wo der Parnass endet und sich vor uns ein wahrhaft spektakuläres Panorama auftut. Der Blick hinunter ist im wahrsten Sinn des Wortes atemberaubend, Schwindelfreiheit vorausgesetzt! Direkt unter uns befindet sich die Orakelstätte von Delphi, und der gepflasterte Weg, den wir nun gehen, ist der alte Pilgerpfad, auf dem wohl schon in der Antike die Menschen aus dem Landesinnern nach Delphi gelangt sind. In langen S-Kurven steigen wir langsam ab, vor uns immer die überwältigende Ebene mit dem angeblich größten Olivenhain Griechenlands im Blick. Hier werden die berühmten Amfissa-Oliven kultiviert, die es unserer Meinung nach spielend mit den Kalamata aufnehmen können. Noch weiter unten glitzert das Meer, und schemenhaft erhebt sich im Dunst auf der anderen Seite des Golfs von Korinth der Peloponnes. Nach rund 600 Metern steilen Abstiegs passieren wir die Orakelstätte, in die wir von oben hineinsehen können. Wir freuen uns, einen anderen Blickwinkel zu haben, als die Heerscharen von Touristen, die dort unten herumwuseln. Wer das Ruinenfeld und das Museum dennoch erkunden will, dem sei ein Besuch früh am Morgen sehr empfohlen.

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Schwindelerregender Blick hinunter auf den riesigen Olivenwald im Tal, auf Itea, den Golf von Korinth und die Peloponnes.

Küste mit antikem Hafen

Wir übernachten in Delphi und nehmen am nächsten Tag unsere letzte und mit zwölf Kilometern längste Etappe in Angriff: von Delphi hinunter an die Küste nach Itea, noch einmal 650 Meter Abstieg. Der Tag beginnt schwülwarm, und wir freuen uns schon jetzt auf einen Sprung ins Meer. Zuvor gilt es aber noch, das silbergrüne Olivenmeer zu durchqueren. Über eine mächtige, mit einer Kapelle verzierten Felsnase, die in die Ebene hineinragt, steigen wir ab. Wir wandern wieder auf dem alten Pilgerweg, der diesmal Delphi mit Kirra an der Küste verbindet, dem antiken Hafen, der die Wallfahrer empfing, die mit dem Schiff angereist kamen. Wir verirren uns fast in dem riesigen, gleichförmigen Olivenhain, wo uns bis auf eine Schlange niemand begegnet. Es wird immer drückender, und wir sind froh, endlich unsere Unterkunft in Itea zu erreichen, sie liegt direkt am Meer. Aber bis wir unser Zimmer bezogen und uns ein wenig erfrischt haben, geschieht, was wir schon lange befürchtet hatten, es hat angefangen zu regnen! So wird leider nichts aus dem Meerbad. Das ist der Nachteil einer Wanderung im Frühsommer, dafür hatten wir die letzten drei Tage immer bestes Wanderwetter, und so wollen wir uns nicht beklagen. Es war eine wunderbare Erfahrung!

Text und Fotos von Geneviève Lüscher, Felix Müller

Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 934 am 7. August 2024.

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