Vor einigen Jahren noch erschien mir die Kleinstadt Vonitsa im Westen des Festlandes auf den ersten Blick nicht sonderlich schön. Damals goss es auch in Strömen, der Himmel über den niedrig gehaltenen Bauten war von einem tristen Bleigrau. In der Zwischenzeit habe ich den 5.000-Seelen-Ort am Ambrakischen Golf immer wieder besucht und kennen und lieben gelernt.
Vonitsa liegt in der Region Ätoloakarnania an der Südküste des Ambrakischen Golfs – nur zehn Kilometer vom internationalen Flughafen von Aktion bei Preveza und 20 Minuten Autofahrt von der ionischen Insel Lefkada entfernt. Mitten durch das Städtchen hindurch verläuft die besonders in den Morgenstunden stark befahrene Hauptstraße, auf der sich zu beiden Seiten Supermärkte, altmodische, kleine Läden mit Kleidern und Elektrowaren, Bäckereien, Kioske, Friseursalons, Läden mit frischem Fisch, Blumen, kurz: mit Gewerbe und Produkten aller Art aneinanderreihen. Auf dieser „Chaussee“ mit ihren zig Imbissen, Cafés und Kafenions findet das geschäftige Alltagsleben statt. Es kommt öfters vor, dass ich bei einem Besuch stehen bleiben und warten muss, bis sich zwischen den auf beiden Straßenseiten parkenden oder kurz abgestellten Fahrzeugen eine Gelegenheit zur Weiterfahrt findet.
Die venezianische Burg ist ein Wahrzeichen der Stadt
Fische tummeln sich im Wasser
Macht man sich zu Fuß in die Seitenstraßen und in die engen Gassen Vonitsas auf, dann zeigt sich das Städtchen von seiner gemütlichen Seite. Zwischen den Häuserreihen führen Steintreppen zu den höher gelegenen Gebäuden hinauf. Dazwischen gibt es viel Grün, Zitronen- und Orangenbäume, Palmen und Platanen. Bougainvilleas schmiegen sich an Gemäuer und bedecken Hausfassaden. Mittlerweile liebe ich Vonitsa, die Kleinstadt mit ihren zahlreichen Facetten. Will man den quirligen Kern hinter sich lassen, weil man es eher ruhig mag, gelangt man über die Hauptstraße zum Meer und zu Vonitsas schön angelegter Strandpromenade. Eine Mole führt zum kleinen Leuchtturm hinaus, unter der klaren Meeresoberfläche sind die Fische deutlich erkennbar. Es gibt Sitzbänke und Plätze zum Entspannen und Genießen, mehrere Tavernen und Cafés locken Einheimische und Gäste.
Zu Fuß zur „Enteninsel“
Setzt man sich am kiesigen Strand an einen Tisch, hat man einen freien Blick auf die Bucht, die dahinterliegende Pindos-Gebirgskette und auf kleine, verstreute Inseln. Zur Rechten sieht man die elegante, steinerne Brücke, die zur Kleininsel Koukoumitsa führt. Des Nachts ist sie beeindruckend beleuchtet. Auf dem Eiland findet man sich zu Hochzeiten und Taufen ein, und sommers ist es ein beliebter Ort für Konzerte und Theateraufführungen unter freiem Himmel. Auf diesem natürlich Wahrzeichen von Vonitsa befindet sich unter Pinienbäumen eine dem Heiligen Nektarios geweihte Kapelle. Der Name des Inselchens soll sich vom Schnattern der Enten herleiten, die sich Koukoumitsa als Heimstätte gewählt hatten und das früher bis hinüber in die Stadt zu hören gewesen sein soll. Traditionell marschierte man durch das knöcheltiefe Wasser bis zur Kapelle, seit 1992 gelangt man aber trockenen Fußes über die damals errichtete Brücke dorthin. Vor wenigen Wochen erst wurde Koukoumitsa übrigens endgültig der Gemeinde für eine Dauernutzung übergeben. Zuvor stand es auf der Liste jener Immobilien, die Investoren angeboten werden sollten. Über der Strandpromenade thront zur Linken die auf einem grünen Hügel angesiedelte Festung von Vonitsa – schon im 11. Jahrhundert von den Venezianern auf älteren Ruinen einer byzantinischen Burg erbaut. Ihr heutiges Aussehen erhielt sie überwiegend im 17. und 18. Jahrhundert. Der Weg hinauf zum „kastro“, etwa 60 Meter über dem Meeresspiegel, führt längs der Promenade an Vonitsas kleinem Hafen mit seinen Fischkuttern und Segelbooten vorbei. Danach findet man sich an einem erstaunlich atmosphärischen Ort wieder: in einem herrlich duftenden kleinen Eukalyptuswäldchen, in dem es sommers schattig und erholsam kühl ist.
Zu beiden Seiten der Hauptstraße reihen sich Supermärkte und kleine Läden aneinander
Im Besitz vieler Herrscher
Vonitsa hieß ursprünglich Anaktorio und ist heutzutage die größte Stadt der 2011 gebildeten Gemeinde Aktio-Vonitsa. Die Besiedlung des hiesigen Gebiets begann 630 v. Chr., als die Polis Korinth hier die Kolonie Polis Anaktorio gründete. Sie verlor jedoch an Bedeutung und Glanz, als der spätere römische Kaiser Augustus im 1. vorchristlichen Jahrhundert nördlich vom heutigen Preveza die Stadt Nikopolis erbauen ließ – die „Siegesstadt“. Sie erhielt ihren Namen, nachdem der damals als Octavian bekannte Langzeitimperator seine Gegner Marcus Antonius und Kleopatra in einer Seeschlacht besiegt hatte. Vonitsa hatte viele Herren: Außer den Korinthern, Römern und Venezianern gehörte das Gebiet in seiner langen Geschichte zeitweise zum Despotat Epirus, dann dem Fürstentum von Tarant oder dem Adelsgeschlecht der Tocco aus Kefalonia. Stark umkämpft war es immer wieder zwischen den Venezianern und den Türken. Obwohl Nikopolis dem Städtchen schon früh den Rang ablief, wird Vonitsa noch heute von vielen als das Tor zur Bucht des Ambrakischen Golfs angesehen. Und das zu Recht.
Text und Fotos: Linda Graf
Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 887 am 30. August 2023.