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Ein Sonntag an der Nasenspitze des Meeres

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Auf weißen Kieseln gehen wir am Strand entlang. (Fotos: GZlg) Auf weißen Kieseln gehen wir am Strand entlang. (Fotos: GZlg)

Bei einem Ausflug im Winter muss man sich in Hellas in Acht nehmen. Die Temperaturen gehen buchstäblich in Windeseile von einem Extrem ins andere über. Der kleine Ort Mytikas im Westen des Landes ist da keine Ausnahme.

Unser heutiger Sonntagsausflug führt uns in das zwischen Astakos und Vonitsa in Ätoloarkanania gelegene Dörfchen an der Westküste Akarnaniens. Wie sein Name schon verrät, ragt Mytikas, ein spitzes Stückchen Land, wie eine kleine Nase ins Ionische Meer hinaus. Vom emsigen kleinen Hafen aus kann man die Fähre zur in Sichtweite gelegenen Insel Meganissi und sommers zu den Ionischen Inseln Ithaka, Kastos, Kalamos oder Skorpios nehmen. Doch wir bleiben in Mytikas, mit seinem in der Wintersonne unfassbar klaren, emeraldfarbenem Meerwasser. Auf weißen Kieseln gehen wir am Strand entlang, während sich uns der Blick auf die grünbewachsenen Inseln und auf die hier im Talbecken besonders nahgelegenen, gigantisch vor uns aufragenden Arkananischen Bergketten bietet. Die höchsten Gipfel sind mit Schnee bedeckt.

Der Tagesfang kommt auf den Tisch

Ich gehe wie im Traum in meiner Winterjacke, in der mir in der Sonne zu heiß wird, umgeben von Schönheit, während die schneeweißen Kiesel unter den Sohlen das Laufen zu einer Herausforderung machen. Nie ging ich – bei meiner Zahnarztphobie – lieber zum Zahnarzt als hier in Mytikas, wo ich vom Behandlungsstuhl aus zur geöffneten Tür hinaus das Meer und die Inseln sehen kann, und mir vorkomme wie in einem Wellness Center. Das Dörfchen mit seiner Handvoll kleinen Fischtavernen ist an der Küste gebaut, Häuser und Läden liegen buchstäblich am Meeressaum. Eine knapp zwei Kilometer lange, beidseitig von kleinen Steinhäuschen gesäumte Straße führt durchs Dorf hindurch zum Hafen. Sie ist so schmal, dass die vor den Kafenions sitzenden Männer – bärtige Gestalten in wetterfester Arbeitskleidung – zum Greifen nahe ans Auto heranreichen. Die meisten gehen zum Fischfang, wie der Besitzer der an der Nasenspitze des Dorfes gelegenen winzigen Taverne, der von Kindesbeinen an tagtäglich aufs Meer hinaustuckert. Hier kommt sein Tagesfang auf den Tisch. Heute sind es Garnelen und Kabeljau, den er uns vorführt, bevor er die Fische am Ufer ausnimmt und den sich um ihn herumscharwenzelnden Katzen und über seinem Kopf im Segelflug kreischenden Möwen Innereien zuwirft. Während wir geraspelten Weißkohlsalat zum Ouzo essen, flickt Spyros sein gelbes Fischernetz aus und erzählt uns, dass er diese Mühe beileibe nicht scheut, da der Kilopreis von Fischernetzen von 17 auf 28 Euro gestiegen sei. Derweil bettet der durchaus hässliche, aber freundliche Hund der Familie den Kopf auf Jannis’ Sneaker.

Gischt von den Wellen der Fischerboote

Hier in Mytikas, auf dem ins Meer hineinragenden Landnäschen, gehen die Temperaturen in buchstäblicher Windeseile von einem Extrem ins andere über. Soeben hatte ich meine Winterjacke mitsamt Pulli abgelegt und im T-Shirt gesessen, mein Gesicht dabei der Sonne und den wie von Diamanten bestickten, glitzernden Wellen des Meeres zugewandt … Jetzt wehen eisige Windböen die Papierservietten vom Tisch. Die Sonne ist weg, wir sitzen von einer Sekunde zur anderen im Schatten – und ich in Rekordzeit wieder in meinen Winterkleidern! Hier bleibt keine Fischgräte, bleibt kein Brocken Brot übrig bei all den Katzen, Möwen und dem dicken Hund. Zwei Fischerkähne kämmen knapp zwanzig Meter vor uns durchs tiefblaue Meer, die Fischer rufen Grüße ans Ufer, während die Gischt der von den Booten geschlagenen Wellen, vom Wind begünstigt, uns bis an die Hosenbeine spritzt. Vor den bedrohlich dunklen Wolken schweben die Möwen wie gleißend weiße Schriftzeichen im Himmel. Mein Ouzoglas fühlt sich eisig an in meiner Hand. Die Schneekoppen sind in den Wolken untergetaucht, als wir uns mit den Händen in den Jacken an kleinen Häusern mit verschlossenen Fensterläden vorbei zum Hafen aufmachen. Dort haben wir das Auto abgestellt, an einem wahrhaft schönen Wintersonntag, einem Καλή Κυριακή!

Text und Fotos von Linda Graf

Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 865 am 15. März 2023.

 

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