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Von Zauberhand berührte Landschaft

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Dorf der Zagori-Region (Foto: ek) Dorf der Zagori-Region (Foto: ek)

Dörfer im Dornröschenschlaf und touristisch gut erschlossene „Wanderhochburgen“. Das alles kann man in der Zagori-Region im Nordwesten des Epirus entdecken. Diese kleine Ecke der Welt ist mit ihren natürlichen Schönheiten äußerst freigiebig und macht Besucherinnen oder Besucher immer wieder schlicht und einfach sprachlos.

Von Ioannina aus fahren wir am dortigen Flughafen vorbei in die Zagori-Region, eine grüne, großflächige und einwohnerarme Gemeinde im nordwestgriechischen Epirus. Zagori ist nach dem gleichnamigen historischen Gebiet und nach seinen als Zagorochoria oder als Zagoria bezeichneten Dörfern benannt. Mit den immergrünen Bergen, den kristallklaren Flüssen, mit den alten Bergdörfern und Steinbrücken ist diese Region von unsagbarer Schönheit. Hier, im Nationalpark von Nord-Pindos und dem Geopark „Vikos Aoos“, verläuft der sich bis zum Nationalpark von Tzoumerka und bis zur Arachthos-Schlucht, südöstlich von Ioannina, erstreckende Epirus Trail – ein wahrer Leckerbissen für Wanderer und Trekker.

Schnurstracks in üppiges Grün

Die Wanderwege sind über Nord-Tzoumerka, Konitsa, Metsovo und Zagori zu erreichen und teilweise untereinander verknüpft. Nach Ioannina halten wir uns Richtung Konitsa und biegen bei dem mit „Aristi“ beschrifteten Straßenschild zur Rechten von der Hauptstraße ab. Von hier aus verändert sich die Landschaft, wie von Zauberhand berührt. Die Fahrt geht schnurstracks hinein in üppiges Grün. Um uns herum sind jetzt Wiesen, Bäume, blühende Büsche und Blumen – Naturschönheiten aus dem Füllhorn! Zudem tauchen vor uns bereits die Berge in der Ferne auf, zu denen uns die beidseitig begrünte Straße unaufhaltsam näher bringt. Im ersten Bergdorf, in Mesovouni – was inmitten der Berge bedeutet –, steigen wir aus. Die Häuser sind aus dunkleren Steinen als jene in der kaum 100 Kilometer entfernten Bergwelt der Tzoumerka-Region, und auch die Bauweise der Steindächer unterscheidet sich. Mesovouni ist touristisch nicht erschlossen, und obwohl die meisten Häuser bewohnt sind, treffen wir jetzt, um 17 Uhr, keine Menschenseele an. Zwei große Schäferhunde schleichen um uns herum und rennen uns bei der Abfahrt kläffend und erstaunlich schnell hinterher. Vor Aristi bleiben wir erneut auf unserer Wegstrecke stehen, um die majestätische Herrlichkeit des Pindos-Gebirges in uns aufzunehmen. Pudeldame Marcella nimmt eine Fährte auf und verschwindet kurzfristig im bewaldeten Berghang.

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Steinhäuser

Erschlossen für den Wandertourismus

Die Vikos-Schlucht liegt tief unter uns, verborgen in einer weißen Decke aus Wolken oder Nebel. Aus der Tiefe hören wir das Wasser rauschen. Das Bergdorf Aristi ist für den Wandertourismus erschlossen, Schilder informieren über die Wege, vom Dorfzentrum aus führt ein beliebter Pfad hinab zur Vikos-Schlucht. Die Speisen auf den Menütafeln sind deftig. Es gibt Fleischsuppen und Gerichte, die sich nach stundenlangen Märschen, wie wir in Erfahrung bringen werden, als Ambrosia erweisen. Jetzt, im Juni, noch ist es nicht zu heiß, finden sich in hiesiger Gegend viele Wanderbegeisterte ein. Einige Kilometer außerhalb von Aristi halten wir hinter einer alten Steinbrücke am Fluss im Nationalpark „Vikos-Aoos“ an. Ein deutsches Paar lehnt die Wanderstöcke an den massiven Stamm einer riesigen Platane, packt Brote aus und erzählt uns, dass es sie bereits zum dritten Mal in die Zagori-Region verschlagen habe, und dass sie die meisten Wege bereits ausgekundschaftet hätten. Die Route des Epirus Trails, erzählt uns Klaus aus Bremen, ist insgesamt 370 Kilometer lang, wobei der Hauptwanderweg 260 Kilometer beträgt und die Verzweigungen um die 80 Kilometer ausmachen. Entlang des Epirus Trails treffen mehrere Gewässer aufeinander. In der Vikos-Schlucht etwa befindet sich das Wassereinzugsgebiet des Voidomatis sowie des Aoos, anschließend die Gewässer des Arachthos. Auf der Anschlagtafel lese ich, dass die Flora im Geopark „Vikos-Aoos“ mehr als 1.700 Arten aufweist! Nicht zuletzt gibt es beispiellos viele endemische Bestände im Geopark (UNESCO), die sonst nirgends in Griechenland oder anderswo auf der Welt vorzufinden sind. Der Fluss glänzt in smaragdgrünen und türkisfarbenen Schattierungen, das Wasser ist reißend, es schäumt und bildet wirbelnde Kreisel, dann kommt es unter überhängenden Felsen zur Ruhe, spiegelt Bäume, Felsen und Himmel und verdoppelt die Welt. Die Luft um uns herum ist von sprühend kühler Feuchtigkeit, das Licht ist grün. Hinter der Brücke schlängelt der Fluss sich wie in einem Dschungeltunnel aus Grün und verschwindet plötzlich in Nebelschwaden, die wie von Geisterhand geschaffen über dem Fluss schweben.

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Kristallklare Flüsse, immergrüne Berge

Es grünt und blüht um uns herum

Von Aristi und der Vikos-Aoos-Schlucht aus fahren wir ins Timfi-Zagori-Gebirge hinauf. Unser Ziel ist Mikro Papigo, das wenige Kilometer höher als das Nachbardorf Megalo Papigo im Pindos-Gebirge liegt, und das nach jeder Haarnadelkurve gewaltiger und zum Anfassen nah erscheint. Vor unserem heutigen Endziel, dem wunderschönen Bergdörfchen mit seinen Steinhäusern, Steintreppen und der durch die Mitte des Dorfes führende gepflasterte Gasse, verweilen wir kurz in den zwischen Mikro und Megalo Papigo liegenden Papigo Rock Pools. Hier bahnt sich das Gebirgswasser einen Weg zwischen terrassenförmig angelegten und plattenweise übereinandergeschichteten Gesteinsplatten und sammelt sich in runden natürlichen Becken wie in kleinen Swimmingpools. Man kann über eine Strecke von 300 Metern an den Pools entlang spazieren gehen und herumklettern. Vor Einbruch der Dunkelheit finden wir uns in Mikro Papigo ein. Das Dorf, das Hotel und die Aussicht sind unsagbar schön! Es grünt und blüht um uns herum, es gibt Wiesen und alte, imposante Bäume mit weit ausladenden Kronen zu Füßen des sich um uns herum erhebenden gewaltigen Gebirgsmassivs. Unser Zimmer sieht wie eine Schlosskammer aus. Als ich im gepflasterten Innenhof stehe und zu den Gipfeln hochblicke, redet mich eine Frau mit abgestreiften Bergschuhen an, die vor der dunklen Holztür ihres Gemachs sitzt. „Overwhelming, isn’t it!“ Ich erwidere ihr Lächeln schweigend, weil ich angesichts dieser Naturschönheit ergriffen und schlicht und einfach sprachlos bin.

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Von überall her hat man im Mikro oder Megalo Papingo „oberwhelming“ Blicke

Text und Fotos von Linda Graf

Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 881 am 12. Juli 2023.

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