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Das „Haus der Träume“ steht auch heute noch

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Foto (© kb/Petra Huber): Der Hafen von Othoni heute Foto (© kb/Petra Huber): Der Hafen von Othoni heute

Othoni erstreckt sich über ganze zehn Quadratkilometer und zählte früher gerade mal 100 Einwohner. Unser Autor besuchte diesen Inselwinzling Anfang der 1990er Jahre. Heute ist das Kleinparadies der Ionischen Inseln etwas besser an das Schiffsnetz angeschlossen.

Die Diapontischen Inseln sind Griechenlands letzte Außenposten auf dem Weg von Korfu nach Italien. Drei von ihnen sind ganzjährig bewohnt: Erikoussa, Mathraki und Othoni, die nordwestliche Insel von Hellas. Von Korfu trennen sie gut 20, vom italienischen Otranto 78 Kilometer. Noch vor 28 Jahren fehlte das nur zehn Quadratkilometer große Othoni auf den meisten Griechenlandkarten völlig. Das Eiland passte nicht ins Rechteckformat. Ich war im März 1994 dort, um für ein Schweizer Reisemagazin zu recherchieren. Eins war klar: Von Korfu aus musste man hinkommen. Also fuhr ich nach Sidari, dem Othoni am nächsten gelegenen Hafenort auf Kerkyra. Ich fragte dort in einem Dutzend Reisebüros und Hotels, wie und wann ich zur Insel Othoni komme. Das Umfrageergebnis fiel typisch griechisch aus. Ein Drittel der Befragten war der Meinung, die Insel existiere gar nicht. Ein zweites Drittel nannte unterschiedliche Häfen, von denen aus man hinübergelangen könne. Immerhin vier der Befragten aber machten mir Hoffnung: „Morgen fährt ein Kaiki von Sidari aus hin!“ Allerdings: Vier Griechen, vier Ansichten – die Zeitangaben schwankten zwischen 9 und 14 Uhr.

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Die Wasserqualität lässt nichts zu wünschen übrig (Foto ek Archiv)

Stundenlang auf hölzernem Frachtkahn

Ich nahm mir ein Zimmer im ältesten Hotel des Ortes direkt am Hafen. Vom Balkon aus hatte ich den Kai im Blick. Als ich um 8 Uhr morgens aufs Wasser schaute, lag am Kai tatsächlich ein Boot, das am Vorabend noch nicht dagewesen war. Ich ging hin – es war tatsächlich die sehnlichst erwartete Fähre aus Othoni. „Geh’ Kaffee trinken“, empfahl mir der Kapitän, „wir müssen noch viel Fracht verladen!“ Fünf Stunden später fuhr der hölzerne Frachtkahn endlich ab. Aus der Kajüte drang der Duft frisch gebackenen Brotes nach draußen, der Dreitagesvorrat für ganz Othoni, das damals noch nicht wieder einen Bäcker hatte. An Deck suchten sich die wenigen Passagiere einen Stehplatz zwischen Bier- und Limonadenkisten, Ziegelsteinen und Zementsäcken. Die weißen Sandsteinfelsen der Nordküste Korfus blieben immer weiter zurück, die Augen der jungen Schweizer Hörspielautorin neben mir bekamen immer mehr Glanz. Sie reiste in diesem Jahr schon zum dritten Mal nach Othoni, der Insel ihrer Träume. Sie verriet mir auch, wo ich auf der Insel wohnen könnte.

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Das Kampanario auf dem Hügel

Im Gasthaus der Träume

Nach drei bewegten Stunden und einer kurzen Zwischenlandung auf Mathraki stand ich in der „Locanda dei Sogni“, dem „Gasthaus der Träume“. Niemand war anwesend. Aber die Schweizerin hatte mich darauf vorbereitet: „Schau einfach, in welcher Zimmertür ein Schlüssel von außen steckt. Diese Zimmer sind frei, du kannst dir eins aussuchen.“ Schnell lernte ich noch mehr: Wer in dieser Pension Hunger verspürte, ging in die Küche und half sich selbst, die Bar war stets frei zugänglich. Der Koch trat nur abends in Aktion und wartete mit dem Servieren, bis alle Hotelgäste an der langen Tafel versammelt waren. Dann servierte er, was er sich für diesen Abend ausgesucht hatte. Vor 22 Uhr begann das Essen nie. Beim ersten Abendessen lernte ich den Wirt kennen. Der aus Ioannina stammende Giorgos hatte in Italien Architektur studiert, dann aber beschlossen, in seinem Leben nur ein einziges Haus zu bauen: Die „Locanda dei Sogni“. Seine meisten Gäste waren junge Italiener und Italienerinnen, die er aus Studienzeiten kannte. Über den Übernachtungspreis wollte er nicht gleich am ersten Abend sprechen: „Ich schau mir meine Gäste an und mache ihnen bei Abreise einen Pauschalpreis, der ihren Trink- und Essgewohnheiten und ihrer Finanzlage entspricht. Darüber hat sich noch nie jemand beschwert!“

PS: 1994 zählte Othoni etwa 100 Bewohner, inzwischen sind es wieder 400. Viele auf Korfu, in Athen oder in den USA zu Geld gekommene Thoniotes haben neu gebaut. Die „Locanda dei Sogni“ (www.othoni.com) gibt es noch immer, sie wird jetzt von Italienern betrieben. Fähren fahren regelmäßig von Korfu-Stadt (www.joycruises.gr) und Agios Stefanos (www.aspiotislines.gr); inzwischen gibt es sogar eine Mopedvermietung auf der Insel.

Text und Fotos von Klaus Bötig

Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 819 am 6. April 2022.

 

 

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