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Wo das ganze Jahr Fasolada gegessen wird

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Foto (© GZkh): Hochsommer bevölkern am Wochenende viele „Temperaturflüchtlinge“ das 1.150 Meter hoch gelegene Kosmas. Foto (© GZkh): Hochsommer bevölkern am Wochenende viele „Temperaturflüchtlinge“ das 1.150 Meter hoch gelegene Kosmas.

In Kosmas: Sommerfrische in den Bergen Arkadiens – eine wundervolle Platia, eine zu laute Kirche, Bohnensuppe, zwei Denkmäler und die Zeitzeugin Stavroula Riga, die über ihr entbehrungsreiches Leben berichtet.

Kosmas. Der Name dieses Bergdorfs in Arkadien hat einen Anklang ans Außerirdische. Und gewiss ist die Nähe zu den Sternen in der Sommerfrische auf 1.150 Höhenmetern ein wenig größer als unten an der Küste im 30 Kilometer entfernten Leonidion oder auf der anderen Seite des Parnon-Gebirges in der heißen Ebene von Sparti (Sparta), das 50 Kilometer entfernt ist.

Die „Kosmites“ von Kosmas

Kosmas. Die Geschichte wird noch „kosmischer“ durch die Tatsache, dass sich die 362 Einwohner des Dorfs „Kosmites“ nennen. Dabei ist Kosmas schlicht der Name der Hälfte eines Zwillingspaars, das in Kleinasien gelebt haben soll. Frühe Christen, denen nachgesagt wird, dass sie Kranke unentgeltlich behandelten und viele von ihnen zum Christentum bekehrten. Wegen des Verzichts auf Bezahlung werden sie im orthodoxen Glaubenskosmos auch als „Agii Anargiri“ bezeichnet. Wer darin „Giro“ erkennt, liegt nicht ganz falsch, denn es handelt sich um die „geldlosen“ Heiligen, wörtlich allerdings um die „ohne Silber“. Sie sollen übrigens unter dem römischen Kaiser Diokletian den Märtyrertod gestorben sein. Ihnen, aber eben vor allem Kosmas, ist die etwas überdimensioniert wirkende Dorfkirche geweiht, die direkt an einer großen, von mächtigen Platanen beschatteten Platia steht. Auf ihrer Talseite spendet eine Brunnenanlage frisches, wohlschmeckendes Quellwasser, dessen Qualität dem Besucher nachdrücklich angepriesen wird.

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Die fast überdimensioniert wirkende Dorfkirche

Nach Zerstörung wieder aufgebaut

Zahlreiche Cafés und Restaurants laden zum Verweilen ein. Das Ambiente gibt einen beliebten Rahmen für Taufen und Hochzeiten ab. Und wenn es weiter unten im Hochsommer so richtig heiß und drückend wird, kommen an Wochenenden zahlreiche Temperaturflüchtlinge, um eine erholsame Nacht auch ohne Klimaanlage zu verbringen. Neben der Kirche steht ein eher unspektakuläres Denkmal. Seine Inschrift berichtet davon, dass Angehörige der Deutschen Wehrmacht während der Besatzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg das Dorf als „Maßnahme der Vergeltung“ vom 29. auf den 30. Januar 1944 niederbrannten. Und ebenso lapidar wie trotzig wird erläutert, dass die „Kosmites“ es wieder aufbauten, „wie es heute dasteht“. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sitzt Stavroula Riga, in ihrem Geschäft, das auf den ersten Blick wie ein Souvenirladen wirkt, aber auf den zweiten Blick ein weitaus größeres Sortiment des Alltagsbedarfs umfasst. Sie ist 85 Jahre alt, war mithin als Kind Zeugin der Vergeltungsaktion.

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Gedenktafel

„Wahnsinnige Wut auf Partisanen“

Sie erinnert sich: „Im Monat Januar war es, ein halber Meter Schnee lag, viele der Einwohner hatten das Dorf verlassen. Wegen der Kälte und um Essen zuzubereiten, haben die Leute hier Feuer angemacht. Die Deutschen hatten Ferngläser, sie waren gegenüber in den Bergen. Die Partisanen hatten sich versteckt.
Die Deutschen kamen an den Ortsrand. Sie hatten Brandbeschleuniger und den verteilten sie überall, dann haben sie Feuer gelegt und das ganze Dorf abgebrannt, auch die Kirche. Ich bin hier geblieben, wie viele andere auch. Wir haben uns nicht versteckt, bei dem Schnee konnten wir nirgendwo hin. Wir waren hier, aber es ging den Deutschen nicht darum, uns zu töten oder zu fangen. Sie hatten wahnsinnige Wut auf die Partisanen.“ Dann kommen ihr die Tränen „So haben wunderbare junge Männer und Frauen ihr Leben verloren, schöne, stolze Burschen … Sie sind verloren.“

Ein Denkmal und seine Geschichte

Die Geschichte wird durch ein zweites Denkmal besser verständlich, das ein wenig außerhalb von Kosmas auf der Passhöhe der Straße hinunter nach Lakonia steht. Mit ihm wird ein Sieg der EAM-Partisanen sowie „der gesamten Bevölkerung von Kosmas und der Nachbardörfer“ am 27. Juli 1943 über Besatzungstruppen des faschistischen Italiens gefeiert, und zwar mit statistischer Evidenz: Italiener gefallen: 28; verwundet: 37; gefangen: 45; geflüchtet: 1. Griechen gefallen: 1. Da war es schon nicht mehr weit bis zur Kapitulation Italiens am 8. September 1943. Das macht die Logik noch perfider, mit der „Vergeltungsmaßnahmen“ der deutschen Wehrmacht gerechtfertigt worden sind. Aber Philipas Sardelianos beispielsweise, Ortshistoriker von Kalavryta, wo die deutsche Wehrmacht ein Massaker zu verantworten hat, hat in einem umfänglichen Aufsatz dargelegt, dass es bis weit nach 1944 hinein immer wieder solche „Vergeltungsmaßnahmen“ gegeben hat. Stavroula blickt auf diese Jahr zurück: „Die Italiener …, ich erinnere mich nicht an die Jahreszahl. Viele Menschen sind weggegangen, manche in Höhlen. Hinterher sind die Partisanen von unterhalb des Dorfes heraufgekommen, da wo der Gedenkstein steht, und dort haben sie die Italiener angegriffen. Diese Schlacht haben sie gewonnen. Das feiern wir jedes Jahr mit einem großen Fest.“ Über die Zeit nach der Zerstörung von Kosmas berichtet die Zeitzeugin: „Hinterher gab es viele Familien. Große Familien kamen, junge Leute, sie haben die Häuser aufgebaut, Holz, Eisen und Steine geholt. Die Häuser hatten damals keine Ziegeldächer. Hier gab es einen Hügel mit guten Steinplatten. Es gab auch keine Straßen, um etwa nach Geraki oder in die anderen Dörfer zu kommen.“

Gemeinsam die Straße gebaut

Dann sei noch ein Landsmann (patriotis) aus Amerika gekommen. „Er hat den Brunnen unter der Kirche aufbauen lassen. Und die Kirche wurde gebaut. Hinterher haben sich die jungen Leute zusammengetan. Einer aus Amerika, Cheronis hieß er, der hatte nicht viel Geld, aber er hat alle zusammengetrommelt, dass sie die Straße aufmachen. Sie hatten kein Werkzeug, mit einfachen Mitteln haben sie gearbeitet. Sie haben die Straße nach Lakonia aufgemacht. Da gibt es eine kleine Kirche der Agii Anargiri, an einer Kurve, dorthin haben sie eine Ikone gebracht. Als sie dort hinkamen, haben sie davor geschlafen. Dort wohnte ein alter Mann, der hat für sie Bohnensuppe gekocht. Mein Sohn zündet da jeden Tag eine Kerze an. Er hatte ein Aneurysma und ist in Sparta zum Arzt gegangen. Der hat ihn nach Athen zur Operation geschickt. Vor der OP hat er vom Felsen und der Kirche geträumt, die Heiligen haben ihm geholfen, und er ist wieder gesund geworden. Als sie die Straße fertig hatten, kam nach 100 Tagen der erste Bus ins Dorf. Deshalb nennen wir sie die ‚Straße der 100 Tage‘, das feiern wir auch immer.“ Diese Bohnen (Fasolada, mit den großen weißen Bohnen, Karotten, Sellerie in Tomatenbrühe), die damals in Massen verzehrt wurden, sind eigentlich in Griechenland ein Winteressen. Im kühlen Kosmas jedoch steht Fasolada das ganze Jahr auf der Speisekarte. Für Besucher ist sie nur zu empfehlen: eigentlich ein Muss.

Stavroula Riga über sich und ihre Familie

„Seit 60 Jahren arbeite ich hier in Geschäften. Mein Mann ist vor langer Zeit an der ‚schlimmen Krankheit‘ gestorben. Ich bin in Kosmas geboren, die Familie hatte viele Kinder. Mein Vater war Schäfer, ich bin nie zur Schule gegangen, das war damals nicht üblich. Mein Vater konnte aber lesen und schreiben. Als ich geheiratet habe, haben wir ein Geschäft aufgemacht. Wir hatten allerdings nie ein eigenes Geschäft, immer nur zur Miete. Ich habe mir die Zahlen immer gemerkt, ich mache das bis heute alles im Kopf. Jetzt bekomme ich eine kleine Rente. Meine Mutter hat mit 14 geheiratet, mein Vater hatte sie entführt. Sie hat viele Kinder bekommen, darunter zwei Bäuche mit zweien (Zwillinge). 1940 ist sie gestorben. Da war ich sieben. Sie hat acht Mädchen und drei Jungen hinterlassen. Meine größeren Geschwister haben uns aufgezogen, meine große Schwester ist jetzt 97. Einige meiner Geschwister sind ins Ausland gegangen, nach Australien, Amerika, Argentinien. Zwei der Schwestern hat ein Cousin meines Vaters, der keine Kinder hatte, nach Amerika geholt. Die Zwillinge waren damals gerade mal vier Jahre alt. Die Kleinen waren vor Hunger krank, ihre winzigen Körper hatten sich regelrecht verdreht. Einmal sind vor Jahren fast alle Geschwister hierhergekommen, das war schön. Wir telefonieren oft.“

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Stavroula

Text und Fotos: Klaus Holdefehr

Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 841 am 21. September 2022.

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