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Hinter den sieben Bergen

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Die Autorin Helge Knüppel beim Fotografieren (Fotos: hk/hw). Die Autorin Helge Knüppel beim Fotografieren (Fotos: hk/hw).

In der Welt daheim, auf dem Erdball unterwegs sein, das hatten sich die Wandervögel Helge Knüppel und Hartmut Wegener als Lebensziel gesetzt. Zur gewünschten Beweglichkeit schienen eigene vier Wände so gar nicht zu passen, bis dann ein eigenes Haus auf Lefkada sie etwas anderes lehrte.

Ein Reisebuch über Epirus als Liebeserklärung an die neue Heimat

Von Waltraud Sperlich

Die Fenster sind’s, die ihnen Beine machen. Anders als die Lichtscharten in den traditionellen Inselhäusern sind die Fenster des Neubaus groß, nehmen da ganze Wände ein. Licht flutet die Räume, vereint das Draußen und Drinnen – ganz im Sinne der Bauherrin und des Bauherrn. Sie, die nie bauen, nie ein Eigenheim besitzen wollten, brachte ein Freund dazu, diesen Vorsatz aufzugeben. Schwärmte der doch im nebligen Norddeutschland von einem Grundstück auf einer griechischen Insel: Das Meer zu Füßen, ein Paradiesgarten mit Oliven, die Aussicht unendlich in blaue Weiten. Es brauchte nicht allzu viel, sie zu überreden. Auch weil sie am Ende ihrer Berufsleben – Hartmut Wegener als Staatssekretär und Projektmanager, die promovierte Soziologin Helge Knüppel als Personalratsvorsitzende in einer großen Hamburger Behörde – auf neue Herausforderungen aus waren.

2008 beziehen sie ihr erstes eigenes Zuhause. Sitzen und stehen aber nicht lange vor der Fensterfront, denn die Ahnung von etwas Neuem lässt die beiden nicht ruhen. Sie, die sich auf der Insel zur Ruhe setzen wollten, laufen sich warm, erhöhen die Drehzahl ihrer Mobilität noch einmal. Jetzt ziehen sie aus, die große kleine Welt des Epirus zu erfahren, jene unbekannte Schönheit am Rande Griechenlands.

Das Land erkunden, seine Menschen erleben

Schon auf ihren ersten Streifzügen auf das vor ihnen liegende Festland können sie kaum die vielen Eindrücke fassen; und weil sie all die wunderbaren Begegnungen nicht aus dem Gedächtnis verlieren wollen, beschließen sie, ihre Touren samt Erlebnissen festzuhalten. Es entsteht ein Logbuch ihrer Entdeckungsreise ins Innere Griechenlands – und das ist nicht nur geographisch gemeint. Weil es die Gegend der Gegensätze ist, geraten sie auf ihren Fahrten und Wanderungen durch Epirus von einem Extrem ins andere.

So durchqueren sie die tiefste Schlucht Europas in der Zagoria und quartieren sich in Rekordhöhen ein: im höchstgelegenen Dorf des Balkans. Sie nähern sich ihren Ausflugszielen zum einen auf der Egnatia Odos, der supermodernen Autobahn, die vom Westen Griechenlands bis in den Osten an die türkische Grenze führt. Dann wieder sind sie auf einem uralten Treidelpfad unterwegs, ausgetreten von früheren Salzkarawanen, der sich an Wassern entlang mäandert, die selbst im Sommer noch stattliche Flüsse sind. Sie durchstreifen die Städte des Epirus, lassen sich da mitreißen vom Tempo moderner Urbanität; und betten sich zur ruhigeren Nacht in Bergdörfern weit hinter dem Mond. Sie nehmen an rauschenden Dorffesten teil und finden sich in Bergeinsamkeiten wieder, da, wohin sich vielleicht Schafe verirren, aber kaum Touristen. Sie genießen Fischgerichte auf Sterneniveau in den Dörfern am Meer und lassen sich das einfache Picknick schmecken, das Hirten in den Bergen mit ihnen teilen.

Sie begeben sich von der reichen Vergangenheit in Nikopolis, einer Stadt wie aus dem römischen Bilderbuch, die kongenial zeigt, wie wertvoll Kaiser Augustus seinen Sieg über Marc Anton empfand, zu einer Stätte der armen Gegenwart: Die „Arche der Welt“, in der Kinder und Jugendliche, die in ihren Familien Gewalt erfahren mussten, aufgefangen werden, eine Schul- und Berufsausbildung bekommen. Dem Gründer dieser Einrichtung, der Geistliche Pater Antonios, wurde gerade von der EU ein Preis verliehen. Von Dodona, eine der ältesten Orakelstätten Griechenlands, wo Zeus & Co walteten, geht es zu den Häusern des später einzigen Gottes – Schätze aus byzantinischer Zeit. Reich ist auch die Fauna des Epirus: Von den Vogelreservaten im Ambrakischen Golf, wo sich Flamingos und Pelikane heimisch fühlen, ist es nicht weit zu den wilden Tieren der Berge.

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Brücke in der Zagoria

Wo Wolf und Bär sich gute Nacht sagen

Die Menschen der Region und ihre Schicksale haben es den Autoren besonders angetan, wie beispielweise der Hotelbesitzer am Ende der Welt, der mit der Zeit geht, obwohl er ganz antik Thukydides heißt. Die Tavernenwirtin Litsa, der nichts ihre gute Laune verderben kann. Überhaupt sind es die starken Frauen der Berge, denen ihre Beschreibung und Bewunderung gilt. Ihnen, die das harte Leben in den Bergen meistern und die bereitwillig über ihr Leben, das ihrer Familien und die Geschichte ihres Dorfes, insbesondere im Krieg und Bürgerkrieg, berichten.

Die passionierten Wanderer treffen immer wieder auf Vlachen, ein zurückgezogen lebender Volksstamm, dessen Hirten im Sommer halbnomadisch mit ihren Herden von Hochalm zu Hochalm ziehen. Die Vlachen sprechen nicht Griechisch, sondern eine melodische Sprache, Aromun genannt, die zu den romanischen gerechnet wird. Überhaupt haben es die Menschen in Epirus mit dem Melodischen, ganze Musikerdynastien stammen von da und haben epirotische Klänge auch in Übersee bekannt gemacht.

Ein tagfüllendes Sinfoniekonzert – „und das mit Abstand wunderbarste“ – erlebten Knüppel-Wegener fernab der Elbphilharmonie hoch in die Bergen des Epirus. Das Orchester: Tausende von Schafen. Die Instrumente: ihre Glocken in unterschiedlichen Tonhöhen. Herausragende Solisten: die Leithammel. Die Ouvertüre ein mitreißendes Allegro, als die Hunde die Herden auf die Weiden jagten; die Sinfonie endete am Abend dann mit einem Andante, als die Schafe zurück in ihre Schutzgehege trotteten. Hinter Epirus geht es weiter. Warten weitere kaum erkundete Landschaften. Und neue Abenteuer auf die schreibenden Wanderer.

Das daraus entstandene Reisebuch „Reisen im Epirus. Griechenlands unbekannte Schönheit“ beschreibt auf 219 Seiten insgesamt 15 Reisen und Ausflüge, ist reich bebildert mit schönen Fotos und enthält viel Wissenswertes über die Geschichte und die Landschaft. Es bietet mit seinen ausführlichen Karten, den Touren-und Wanderbeschreibungen eine sehr hilfreiche Handreichung für alle, die auf den Spuren der Autoren reisen wollen. Vorschläge für gute Hotels und Tavernen runden die Empfehlungen ab.

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Das Dorf Sirako in der Tsoumerka

Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 656 am 12. Dezember 2018.

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