Unweit der westgriechischen Stadt Preveza liegt versteckt im Süden des Ambrakischen Golfes der 900-Seelenort Paliámpela – in etwa: „Alter Weinberg“. Dort lockt nicht nur eine großzügige Natur in silbernen und blauvioletten Farben, auch für den kleinen kulinarischen Luxus ist gesorgt.
Von Linda Graf
Allein der Name des Orts, Paliampela, ist ein Zungenbrecher und die Straße hinunter zur Bucht erst der Beginn des Abenteuers. Zu unserer Rechten ragen die arkananischen Berge in den Himmel, an den Ausläufern der Gebirgskette dehnen sich Felder über die hügelige Landschaft aus, verstreute Olivenhaine und Pinienwäldchen. Zur unserer Linken, unten im Tal, sehen wir bereits das tiefblaue Meer, den Ambrakischen Golf, der in der Meeresenge der etwa 50 Kilometer nördlich gelegenen Hafenstadt Preveza mit dem Ionischen Meer verbunden ist.
Kleinod am Ambrakischen Golf
Unser Ausflugsziel ist Jannisʼ Fischtaverne Rouga unten in der Meeresbucht. Doch wie gelangt man eigentlich zur Straße, die zwischen Wiesen und Büschen hindurch in die Bucht führt, vorbei an einem Feld, an dem Wildschweinhäute wie Perlen an der Schnur an der Umzäunung aufgereiht hängen? Kommen Sie von Lefkada oder Preveza, so fahren Sie nach Vonitsa am Ort Paliampela vorbei und nehmen die nach links abzweigende Straße nach der Tankstelle. Von Athen oder Amfilochia aus ist es selbstverständlich die Straße nach rechts vor der Tankstelle und dem Ort Paliampela.
Paliampela gehört zur Gemeinde Aktio-Vonitsa, das hiesige Gebiet heißt Anaktorios, es liegt an der Südküste des Ambrakischen Golfs und umfasst die nordwestliche Region des Bezirks Ӓtolien-Arkananien. Den Westen des Gemeindebezirks bildet die Küste des Ionischen Meeres, den nordwestlichen Ausläufer die Halbinsel Aktio und die Meeresenge von Preveza mit seinem internationalen Flughafen.
Wagen Sie sich die vom Mainstream abgelegene Straße hinab, so erleben Sie, wie Sie selbst in Erfahrung bringen werden, ein Wunder an Landschaftseindrücken und ... an Gaumenfreuden: Meer, See und Berge, drei auf einen Streich. Sie sind am Ziel, wenn Sie die altgedienten Wohnwagen am Strand erblicken. Hier ist ein verborgenes Paradies für Fischer und Fischerinnen. Heute sind es zwei Frauen, die einen Fisch nach dem andern aus dem Meer angeln und in Kühltaschen lagern – für Jannisʼ Hunde, für Schlemmermäuler und für Leute unseresgleichen, die dem Luxus der Einfachheit frönen. Denn Jannisʼ Fischtaverne ist schlicht, klein und sauber.
Meer voller Leben
Bis jetzt, Anfang Herbst, wenn in wenigen Tagen langsam der Regen einsetzen wird, stehen Tisch und Stühle noch am Kiesstrand; die Stühle eine zusammengewürfelte Sammlung, die Tischdecken fadenscheinig, die Sonnenschirme alt. Der Boden in der Küche ist zementiert, im Spülbecken tummeln sich kiloweise frisch gefangene Garnelen. Und im großen Eisschrank, den Jannis öffnet, um uns seine Delikatessen vorzuführen? Frische Muscheln und frische Fische, auch die faustgroßen Muschelbrocken der im Meeresboden steckenden Fächermuscheln, die man hier im Ambrakischen Golf, nicht aber im angrenzenden Ionischen Meer finden kann.
Überhaupt, erklärt Jannis fachkundig, unterscheiden sich die Meeresfauna und die -flora grundlegend von denen des Ionischen Meers. Hier gibt es zum Beispiel einen Reichtum an Garnelen und Muscheln, Oktopusse findet man hier jedoch keine. Auch tummelt sich hier, im Ambrakischen Golf, das ganze Jahr über eine Kolonie von 150 bis zu 200 Delfinen, von denen übrigens eine ganze Menge kaum 300 Meter vor uns vorbei am Strand entlang schwimmen, als wir uns an den Tisch setzen. „Die kommen täglich zur Sardinenjagd in die Bucht“, sagt Jannis, als rede er über Fliegen.
Unter dem Sternenhimmel
Seit 15 Jahren betreibt der Grieche die Strandtaverne mit seiner Schwester Vassiliki, auch Viky genannt – seither gab es keinen Urlaub mehr für die beiden. Sie stammen aus dem Nachbarort Vonitsa, Jannis lebt jedoch bereits seit 33 Jahren in Paliampela, wo er ein zweistöckiges Haus besitzt. Dort hat er insgesamt aber nur zwei Nächte verbracht: eine Nacht am Tag der Beerdigung seines Vater und eine Nacht am Tag der Beerdigung seiner Mutter. Ich erkundige mich neugierig, wo er sonst schläft. „Dort“, antwortet er und deutet mit dem Finger auf den Wohnwagen, der neben der Taverne unter den Eukalyptusbäumen steht. Hier legt er sich nach dem Abschließen der Taverne schlafen, hier am Strand wacht er morgens wieder auf. Und ist sogleich an seinem Arbeitsplatz. Wenn er nicht zeitig aufwacht, wie ich es heute Morgen erlebt habe, klopft Viky an den Wohnwagen: „Willst du Kaffee? Nun komm schon!“
Schlamm für die Gesundheit
Vier Hunde schlafen um Jannisʼ Wohnwagen herum, die übrigen Hunde sind auf seiner Farm. „Meine Hunde“, erzählt Jannis, „sind meine Freunde. Ich rede mit ihnen, sie verstehen alles. Mein schwarzer Schäferhund Aris verstand zwei Sprachen, er konnte Türen öffnen und stellte sich unter die Dusche.“ Gegenüber von Jannisʼ Taverne liegt ein See sowie Marschland, auf dem das Heidekraut jetzt zu Herbstbeginn seine violetten Teppiche ausbreitet. Kormorane staksen im sumpfigen Ufergewässer herum und sommers, sagt Jannis, würden ausländische Damen Schlammbäder im See nehmen. Der Schlamm ist nämlich für seine hautpflegende Wirkung bekannt. Es sind auch Schwäne auf dem See; Schwäne sind längst unter Naturschutz. Früher, ja, da wurden die prächtigen Vögel den Königen zum Verspeisen gereicht, jetzt ist das Verputzen der königlichen Tiere verboten.
Esel ohne Bremse
In Paliampela, erzählt Jannis, haben einige Deutsche und Holländer Häuser aufgekauft, und dort, er zeigt er auf das Segelboot in der Bucht, lebe ein Mann mit vier Hunden an Bord. Auch ein Ӧsterreicher sei seit geraqumer Zeit in Paliampela zu Hause und reite im Dorf auf seinem Esel herum. „Einmal“, so Jannis, „kam er total zerschrammt und blutend in der Taverne an. Sein Esel war in einem Olivenhain durchgegangen und mit ihm obendrauf durch die tiefhängenden Zweige und Äste geprescht. Seine Verletzungen, sagte der Ӧsterreicher daraufhin, seien darauf zurückzuführen, dass der Esel keine Bremse habe.“ Jannis stößt den Ton aus, den jedermann hier im Dorf kennt und der die Esel dazu bewegt haltzumachen: ein nasales, langgezogenes „O“.
Wein, Fisch und Taverne
Als Naturmensch, der unter Eukalyptusbäumen am Strand schläft, weiß er genauestens über Wind, Wetter, über Gartenbau und Ackerland, übers Meer, das Fischen und die Meeresbewohner Bescheid. Die Landschaft ringsum ist unbebaut, das Gebiet geschichtsträchtig; an allen Ecken und Enden finden sich Überreste einstiger Burgen und Siedlungen. „Unter jedem Stein, den man umdreht“, sagt Jannis, „stößt man auf archäologische Fundstätten.“
Die hiesige Besiedlung begann in der Antike, als Korinth 630 v. Chr. in der arkananischen Landschaft eine Siedlung gründete: die Polis Anaktorio. Die antike Hafenstadt Actium lag im Gebiet des heutigen Gemeindebezirks, wo der römische Octavian 31 v. Chr. Marcus Antonius und Kleopatra in der berühmten Seeschlacht besiegte. Jannis, mit der ewigen Zigarette im Mundwinkel, erzählt uns, dass im Winter um die 900 Einwohner in Paliampela leben und dass ein jeder zwei, drei verschiedenen Arbeiten nachgehe: „Der eine stellt Wein her und hat ein Fischerboot, der andere hat Schafe, eine Olivenölfabrik und stellt Tsipouro her. Mit zwei, drei verschiedenen Erwerbsquellen lässt es sich leben“, meint Jannis. Er selbst bestelle seinen Bauernhof, habe zwei große Gemüsegärten, sein rotes Fischerboot und die Taverne.
Nahe am Paradies
Begleitet von Pilavas-Ouzo, dem sogenannten Nektar, serviert Jannis uns jetzt Muscheln in Olivenöl und Zitronensaft. Die lebendigen Garnelen stellt er in einem Wasserkrug vor uns auf den Tisch, um uns auf die Regenbogenfarben an ihren Schwanzenden hinzuweisen. Die Garnelen werden hier auf verschiedene Arten zubereitet – in Weißwein, mit Knoblauch, in Tomatensauce, frittiert. Da isst man die süße knusprige Garnele mitsamt Kopf und Schwanz. Wir probieren einfach alles aus. Alles schmeckt wunderbar! Auch der von Viky zubereitete Grünsalat mit Kohl, Kopfsalat, Zwiebeln und Rüben aus dem eigenen Garten, alles hauchdünn kleingeschnitten, ist so köstlich, dass wir eine Portion nachbestellen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Golfs erstrecken sich die vier Ketten des Pindos-Gebirges vor unseren Augen, eine höher als die andere. Wie Baumwollkugeln stecken die Wolken an den höchsten Bergspitzen fest, die Wolken an den unteren Bergketten formen flauschige Nebel. Um sich von der Herbstsonne wärmen zu lassen, liegt die weiße, freundliche Schäferhündin eines Bauern mit gespreizten Hinterbeinen zu unseren Füßen. Wir trinken mittlerweile süffigen Weißwein, während die atemberaubend schöne Landschaft in silbernen und blauvioletten Farbtönen zerfließt. Hier und da ein Segelschiff, das an dem grenzenlos mit dem Meer verwischten Himmel in der Schwebe hängt. Die hausgemachten Kartoffelfinger? Sie sind süß, wir lassen uns die Delikatessen auf der Zunge zergehen und wähnen uns im Paradies!