Rhodos stand nach einigen Jahren wieder einmal auf dem Reiseplan, exakt 33
Jahre nach dem ersten Besuch.
Natürlich hat die Insel, haben sich vor
allem einige Buchten der Ostküste völlig verändert. Aber die alten Ziele,
die vor Jahrzehnten jeder Reisejournalist als Muss empfahl, die gibt es
auch noch. Zum Beispiel das Tal der Schmetterlinge und die Sieben Quellen.
Zu beiden Destinationen fahren in der Saison jetzt sogar reguläre Busse
aus der Hauptstadt. Also auf, mit den Zitaten aus dem Reiseführer der
siebziger Jahre im Kopf.
Von Konrad Dittrich
Zum Beispiel nach Petaloudes, zum Tal der Schmetterlinge. „Myriaden von
ihnen werden von den dichten Styrax-Sträuchern mit ihrem beißenden Geruch
angezogen“, heißt es da. Sie kommen im Juli/August, um die Sommerhitze zu
überstehen, sagt der deutschsprachige Fremdenführer Nikos. Unsinn, sagt
Stergos Fokialis, Sekretär der Hotelbesitzervereinigung. Sie seien schon
längst da, als Larven und entwickelten sich ab Mitte Juni zu Faltern. Man
kann an drei Stellen das eingezäunte Tal betreten, unten, in der Mitte
oder oben beim nur noch für Touristen offen gehaltenen Kloster Kalopetra.
Der Linienbus fährt bis zur Mitte.
Ausschau nach den Flattertieren
„Von hier sind es tausend Meter aufwärts“, erklärt ein Angestellter und
empfiehlt, mit der Bimmelbahn hochzufahren, um dann in der Schlucht
gemächlich abwärts zu wandern. Die meisten lassen sich überreden, zahlen
4,50 Euro und werden beim Kloster abgesetzt. Herrliche Aussicht auf die
Westküste. Die Kirche steht zum Gebet offen, der Shop hält Souvenirs
bereit. An jedem Einstieg ins Tal wird kassiert, drei Euro pro Person.
Leise hatte der Betreiber des Bähnchens Mitte Juni hinzugefügt: „Für die
Schmetterlinge ist es noch zu früh.“
Auf uneben mit Steinen ausgelegten vorgezeichneten Wegen geht es abwärts.
Die im Reiseführer beschriebenen Wasserläufe sind zumindest in der Höhe
ausgetrocknet. Langsam tasten sich ältere Besucher nach unten. Wenn sie
stehen bleiben, um nach den Flattertieren Ausschau zu halten, bildet sich
schnell eine Schlange. Der Weg ist eng. „Da ist einer!“, ruft ein
Engländer freudig erregt aus. Und tatsächlich: Auf dem Blattgewirr –
eigentlich sollen sie ja an den Stämmen der Wirtsbäume sitzen – kann man
das erste Exemplar der Gattung Callimorpha quadripunctaria betrachten,
dunkelgrün mit einer helleren Zeichnung auf den geschlossenen Flügeln.
Denn erst die Innenflügel haben die farbigen Zeichen. Kurz vor dem
mittleren Ausgang, an dem der Bus warten wird, entdecke ich noch einen.
Im Bus hatten auch drei Japanerinnen unterschiedlichen Alters die Reise
angetreten. Sie hatten die Erklärungen des Führers nicht verstanden, saßen
ratlos auf der Bank. Wieso Tal der Schmetterlinge? mochten sie denken.
Plötzlich ein Schrei: Die Oma aus Fernost war aufgesprungen und zeigte mit
ihrem zugeklappten Sonnenschirm Richtung Parkplatz. Ein Schmetterling in
kräftig gelber Färbung schwebte über dem Blech. Was Oma rief, konnte ich
natürlich nicht verstehen. Ich vermute so etwas Ähnliches wie ‚Mein Gott
Walter, ein Falter! ‘ Womit sie Recht hatte. Es war eindeutig ein
Zitronenfalter.
Im Schatten uralter Bäume
Tags drauf hieß das Ziel „Sieben Quellen – Epta Piges“. Auch mit dem
öffentlichen Bus erreichbar. Wie lange es dauern würde, fragte jemand und
bekam die Auskunft: Ungefähr 45 Minuten. Der Bus klapperte allerdings
ungezählte Hotels der Ostküste ab. Der Fahrer stand per Funk mit der
Zentrale in Verbindung, wurde zu immer neuen Stopps beordert. Natürlich
nahm er auch Gäste mit, die etwa nach Kolimbia Beach wollten. Gefühlte 50
Mal hielt er an, meistens, um Wartenden mitzuteilen, dass er nicht nach
Lindos und auch nicht nach Rhodos-Stadt unterwegs sei. Nach exakt 75
Minuten wurden die Gäste in der Nähe der Quellen ausgeladen.
„Wo sind die Quellen?“, fragte eine Holländerin, die mit zwei gehbehinderten
älteren Herren unterwegs war. „Wie weit ist es?“, fragte sie. Nur ein kurzes
Stück zu Fuß, sagte man ihr. Für einen der Herren war es dennoch zu viel.
Er zog zwei Stunden Warten im Schatten an der Haltestelle der Busse vor.
Andere, die sich auskannten, hörten an den Schreien der Pfaue, dass sie
auf dem richtigen Weg waren. Wie heißt es im Reiseführer der 1970er Jahre?
„Nach etwa zehn Gehminuten öffnet sich ein weites Plateau. Im Schatten
uralter Bäume sieht man Tische und Stühle, ein Waldhäuschen. Wo soll man
sich setzen? Überall zwischen den Tischen und Stühlen rieselt es und
plätschert, kleine Wasserläufe trennen sich, schließen sich wieder
zusammen, lassen Platz frei für ein Tischchen, an dem man ganz dicht
zusammenrücken muss, um keine nassen Füße zu bekommen …“
Die Tische und Stühle gibt es noch, ein paar Wasserläufe auch. Das
Waldhäuschen ist einer modernen Taverne mit Imbiss- und Getränkeausgabe
gewichen. Auf mehreren Ebenen sind Betonplateaus gegossen worden, auf
denen jede Menge Tische Platz haben. Nasse Füße bekommt man nur, wenn man
in den Kanal steigt, der überbrückt das Wasser ableitet. Die Speisekarte
ist sogar recht umfangreich. Wenn ein Gast zwischen all den Blitzbesuchern
danach fragt, ist sofort ein dienstbarer Geist zur Stelle, mit dem
üblichen Papiertischtuch. Auch die Speisen werden schnell serviert.
Zwei Millionen Urlaubsgäste
Wie gesagt: Vieles hat sich verändert. Aber die Erinnerungen an alte
Zeiten kommen bei jedem Besuch wieder hoch. Im vergangenen Jahr hatte die
Insel zwei Millionen Urlaubsgäste, sagt Reiseleiter Nikos und betont, dass
hierbei die vielen tausend Tagesgäste der Kreuzfahrtschiffe nicht
mitgezählt seien. Mittwochs, donnerstags und samstags geht es auf dem
Flughafen oft chaotisch zu. Nicht nur das Flugfeld ist verstopft. Vor den
Abfertigungsgebäuden stehen – gefühlt – Hunderte von Bussen, die
Pauschalurlauber bringen und holen. Der öffentliche Bus kommt manchmal
nicht bis zu seiner Haltestelle, kehrt vorher schon wieder um. Für die
Saison 2017 erwartete man noch mehr Gäste, an manchen Tagen mehr als hundert
Flugzeuge. Auch Jumbos waren darunter. Viel mehr dürfen es wohl nicht
werden. Denn das Wasser auf Griechenlands viertgrößter Insel muss auch für
einige trockene Nachbarinseln reichen.