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Kite-Surfen auf der Dodekanes-Insel Kos: Die Freiheit über den Wellen Tagesthema

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Der Tubekite wird mithilfe einer Spezialpumpe in Sekundenschnelle aufgepumpt. (Foto: GZ/Robert Stadler) Der Tubekite wird mithilfe einer Spezialpumpe in Sekundenschnelle aufgepumpt. (Foto: GZ/Robert Stadler)

The answer is blowin’ in the wind

Es ist ein Freitag im Juni, fünf Uhr Nachmittag. Der Strand von Marmari ist schon leer. Die Badegäste haben sich, von Aiolos vertrieben, in ihre Hotelzimmer zurückgezogen.

Jetzt ist die Stunde für die Verehrer dieses Elementengottes gekommen. Denn ohne ihn ist alles nichts. Windstärke 6. Surfinstructor Alex freut sich und mit ihm die gesamte Crew des Fun2Fun Wassersportcenters auf der Insel Kos. Noah und Elias, die beiden blondköpfigen Jungs des Schweizer Paares, das die Station betreibt, lässt das Wetter eher kalt.

Von Robert Stadler

Auf der Dodekanes-Insel habe ich ein Zimmer in den Pampas gefunden, direkt neben dem von Alex. Warmwasser gibt es, Jalousien keine. Untertags erhitzt die Sonne gnadenlos jeden Winkel des Raums. In der Nacht herrscht fast Stille. Mal brüllt irgend ein UFO aus der Kos-Fauna, schreit ein Kauz, muht eine Kuh oder meckert herzzerreißend eine Ziege. Ich schlafe dennoch gut – trotz der Tier- und auch der Bouzoukiklänge aus einer Taverne, in der sich offensichtlich eine Busladung von Touristinnen und Touristen bei Sirtakirhythmen in griechische Sphären highsäuft. In der Früh wecken mich Hahnenrufe und Vogelgezwitscher, sekundiert von Oma und Opa im Nachbarhaus, die sich über belangloses Zeug unterhalten.
Das Fun2Fun liegt etwa zwei Kilometer von hier entfernt, direkt neben einer Vier-Sterne-Herberge, mit der die Wassersportstation kooperiert. Wir hieven uns in den völlig verstaubten Mazda von Alex – ein untrügliches Zeichen dafür, dass Regen auf Kos Raritätswert hat. Vorbei geht es am Zentrum von Marmari. Gegenüber grüßt der Felsbrocken Pserimos, das Eiland Kalymnos im Nordwesten. In der Nacht leuchten die Lichter der Stadt herüber, und jene von der kleinasiatischen Küste aus dem türkischen Bodrum.

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Board statt Brettln

Ich stapfe Alex durch den Sand hinterher zur Wassersportstation von Dominique und Nadine – ein Schweizer Ehepaar, das seit 17 Jahren auf Kos lebt, dem Wassersport verfallen ist und versucht, damit sein täglich Brot zu ersurfen. Der fünfjährige Elias scharwentzelt mit Badehose und Schwimmweste um ein Surfbrett herum, seine Mama aus Bern gibt ihm Ad-hoc-Unterricht. Der Kleine erinnert mich an Zwerge auf Skiern in den Alpen. Nur hier gibt es statt „Brettln und an gʼführigen Schnee“ ein Board und Wasser als Untersatz. „Alle gingen früher windsurfen“, belehrt mich dann Sohn Nummer 1, der zehnjährige Noah, „jetzt wollen alle nur mehr mehr kiten.“ Und er versorgt mich gleich mit einigen basics des neuen Freizeitvergnügens.
Die meeraffinen Eidgenossen bauen bei ihrem Fun2Fun auf vier Fundamente: Windsurfing, Kitesurfing, Catsailing und SUP&Canoe. Auf einem Plakat an der Rezeption sind die Regeln der lokalen Hafenbehörde angeschlagen: „Schwimmweste und Helm ist Pflicht!“ – „Kiten immer mit Safetyleash und Leinencutter!“ – „Kiten bei mehr als 7 Bft* ist verboten!“ und: – „Kiten bei ablandigem Wind ist verboten!“ Da lernt man als Landratte schnell das Gegenteil: auflandig! Nur bei Wind also, der vom Meer Richtung Land weht, ist unser In-Sport gestattet. Auf keinen Fall darf man sich auch weiter als zwei Kilometer von der Küste entfernen. Außer Sicherheitsgründen nennt Alex noch einen anderen: „Auf große Distanz kann man ja nicht mit seinen Talenten protzen“, meint er schmunzelnd.

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Tag der Beaufort

Frei nach dem Königsberger Immanuel Kant beginnt für die Gefolgsleute des Aiolos das Vergnügen dort, wo es für die Anderen endet. Kiten geht ab Windstärke 4, Segeln und Surfen ab 2. Winde der Stärke 6 sind im Sommer selten auf Kos und ein Geschenk. Kiten ist gerade noch erlaubt und gerade noch nicht verboten. Und Aiolos bläst heute aus der richtigen Richtung. Also nichts wie rein in die Wellen. Surfinstructor Alex hat als Wetterfrosch diese meteorologische Konstellation schon lange vorher prophezeit. Der 29-jährige Greco-Österreicher ist seit April auf der Insel und hört, seit ich hier bin, nicht auf, fast manisch alle fünfzehn Minuten die Windkarte auf seinem Handy zu studieren. „Morgen ab 13 Uhr werden die Bedingungen perfekt sein“, meinte er einen Tag zuvor in freudiger Erwartung. Und er hatte recht. Bei Windstille und Hitze von 36 Grad Celsius konnte man das bei einem kühlen Frappé in einem dampfenden Café am Hafen von Kos-Stadt gar nicht so recht glauben.

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Abheben mit Flügeln

Kite-Schüler tummeln sich angesichts des göttlichen Präsents in Form eines windigen Tags in fast nervöser Erregung an der Rezeption des Fun2Fun. Um die muss sich Alex als erste kümmern. Der etwa 30-jähriger Holländer Hielke, der Surferfahrung aus seiner Heimat mitbringt, trottet ihm zur Kite-Zone hinterher. Seine Eleven, erzählt Alex später, seien meist Männer, so zwischen 25 und 45 Jahren – aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und hin und wieder aus den Niederlanden. Rund 20 Stunden würde man brauchen, um halbwegs sicher mit Drachen und Brett über die Wellen tanzen zu können.
Hielke hat endlich seine Stunden abgesurft. Jetzt will Alex raus. Einen derart kräftigen Wind bekommt man nicht häufig serviert. Also her mit dem Drachen! Fast in Sekundenschnelle sind die Tubes mit der blauen Kitepumpe aufgepumpt. Ein Freund hilft ihm, die Leinen am Strand fein säuberlich auszulegen, den Schirm in Flugposition zu bringen. Zum Abheben beim Kitesurfing brauchst du die Hilfe einer zweiten Person; man schafft es zwar allein, aber nur Masochisten tun sich so etwas an. Die Kitebar, das trapezartige Steuerinstrument, wird mit einem dicken Stahlhaken (Safety Leash) am Körper befestigt. Alex stapft in die Wellen, der Kite zieht an ihm und steigt gen Himmel. Und zusammen mit dem Brett saust der junge Mann davon. Tatsächlich wie ein Blitz. Schätzungsweise 40 Stundenkilometer. Vielleicht sogar mehr. Immer von links nach rechts, von rechts nach links, schön parallel zur Küste. Zu einer Kür beim Tango mit dem Wellen gehören die spektakulären Flugphasen – Alex katapultiert sich mit Hilfe des Kites regelmäßig weg von der Wasseroberfläche. Sekundenlang. „Je länger man in der Luft ist, desto instensiver empfindet man diese Illusion zu fliegen“, erklärt er mir danach. „Man spürt die ganze Kraft des Windes und fühlt sich eins mit dem Meer, mit der Natur. Es ist fast wie eine Droge. Du hörst nur auf, weil du müde wirst.“

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Gefährliche Petermännchen

Langsam sinkt die Sonne gefährlich Richtung Horizont. Kiter und Windsurfer haben sich ausgetobt. Man kehrt zurück an den Strand. Geübt legt man den Schirm auf den Boden, zieht den Stöpsel, die Luft entweicht, es zischt. Fachgerecht wickelt man die Seile auf, rollt den Kunststoffdrachen zusammen, fachsimpelt nach dem Ritt mit den Kollegen. „Letzter Hit“, klärt Alex mich auf, „ist das sogenannte Hydrofoil oder Foilboard. Da wird eine Stange mit zwei Tragflügelchen unten am Brett montiert. Da hebt es dich aus dem Wasser heraus – du fliegst praktisch über den Wellen.“ Die Vorteile: Es gibt weniger Widerstand, man ist schneller und kann vor allem bei weniger Windstärke raus.
Gibt es Gefahren beim Kiten, frage ich Alex. „Ja“, lacht er, „die Petermännchen. Das sind kleine Fische mit Stacheln, die sich im Sand eingraben. Es ist wie beim Seeigel: Wenn du drauftrittst, brennt es höllisch.“ Abhilfe schafft, wenn man den Fuß nach einem Stich in heißes Wasser taucht.

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Paradiesische bubble

Die Blendung durch das Glitzern auf dem Meer ist einem sanften Flackern an den Wellenkämmen gewichen. Alle Stationsmitglieder werfen sich in Zivilkleidung und stellen sich auf ein gemütliches, abendliches Beisammensein nach getaner Arbeit ein. Alex verstaut alles, fixiert die Surfsegel, verräumt die Paddel und schließt die Vorhängeschlösser an den Türen. Er liebt seinen Beruf. Aber Alex weiß: Man lebt hier sieben Monate in einer bubble. Kommt er im nächsten Jahr wieder oder wird er seinen Kite im Wind von Fuerteventura manövrieren? Die Beaufort-trächtigen Aiolos-Launen in einer anderen Ecke der Welt für sich nutzen und gekonnt auf den Wellen von Tarifa oder gar von Isla Holbox vor Yukatán jonglieren? Wird seinen Platz auf Kos also ein anderer Deutscher, Österreicher oder Schweizer eingenommen haben, der sich für einige Zeit in einer mediterranen Paradies-Blase des Dodekanes zwischen Wellenreiten und Feiertagsbier für eine gewisse Zeit bestens zurechtleben will? „The answer is blowin’ in the wind …”

Kite bedeutet Drachen.
Die heute übliche Form des Kitens entwickelte sich insbesondere in den 1990er Jahren, wobei anfangs noch Wasserski benutzt wurden, die man durch ein Brett (board) ersetzte.
Grundausrüstung: Board, Kite, Bar (Lenkstange) mit Leinen, Trapez und Safety Leash (Sicherheitsleine).
Am beliebtesten sind derzeit Tubekites, die durch ein aufblasbares Schlauchsystem den Wasserstart erleichtern. Sie bestehen aus einem Fronttube und mehreren Quertubes.
Ausrüstung für Surfinstructor: Neoprenanzug, wasserfester Hut, Funkgerät, Sonnencreme mit Schutzfaktor 50, Poncho zum Wärmen nach Dienstschluss
Der für August auf Sylt geplante Kitesurf World Cup (eine Art Kite-Weltmeisterschaften) musste aus Mangel an Sponsoren abgesagt werden.
In Hellas eignen sich neben Kos u. a. die Inseln Karpathos, Lefkada, Limnos, Kreta, Rhodos, Lesbos und Samos sowie Regionen der Westpeloponnes zum Surfen und Kite-Surfen.

Bft = Beaufort. Zwölfstufige Windstärkenskala, benannt nach dem englischen Hydrographen Francis Beaufort (1774-1857)

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