Im Osten Makedoniens befindet sich eine der geschichtsträchtigsten Ausgrabungsstätten Nordgriechenlands. Sie vereint hellenistische, römische und byzantinische Geschichte.
Die Tische sind festlich geschmückt. Die Stühle mit weißem Stoff überzogen. Luftballons wiegen im warmen Wind hin und her. Tauffeiern im schattigen Museumsgarten der Ausgrabungsstätte von Philippi sind nicht ungewöhnlich. Immerhin begründete der Apostel Paulus in dieser einst bedeutsamen Stadt die erste christliche Gemeinde Europas. Der Überlieferung folgend hieß die erste europäische Christin Lydia. Sie war Purpurhändlerin und ließ sich nur wenige Kilometer außerhalb der Ausgrabungsstätte in einem Flüsschen taufen. Noch heute erzählen die Überreste mehrerer Kirchen von der Bedeutung der Stadt als ein christliches Zentrum. Besonders hervorzuheben sind die wuchtigen Ruinen der sogenannten Basilika B aus dem 6. Jahrhundert bzw. die bunten Fußbodenmosaike einer als Oktogon ausgewiesenen Kirche. Was muss das für eine Zeit gewesen sein, als Apostel Paulus hier um 50 nach Christus von eben jenem Jesus Christus erzählte? Gerne möchte man in eine Zeitmaschine steigen und eine Zeitreise unternehmen: Besuchte Paulus auch das Theater unterhalb der Akropolis? Noch in jüngster Vergangenheit und fern steigender Corona-Zahlen bereicherten Theaterstücke die Sommer kulturell. Und wie mag die Agora, das ökonomische Herz der Stadt, ausgesehen haben? Die Dimensionen des zentralen Platzes sind auf jeden Fall noch heute imponierend.
Die Basilika B
Von einer thrakischen Siedlung zu Klein-Rom
Als der Apostel Paulus durch die Straßen der Stadt spazierte und sich aufgrund seiner Predigten Ärger mit der Staatsmacht einhandelte, war Philippi eine römisch geprägte Stadt – ein Klein-Rom. Im Museum der Ausgrabungsstätte sind entsprechend zahlreiche lateinische Inschriften und römische Artefakte zu entdecken. Dabei siedelten zunächst die Thraker in der von Bergketten umgebenen fruchtbaren Ebene. Nach und nach kamen griechische Kolonisten hinzu. Schließlich waren es Siedler der nahegelegenen Insel Thassos, die auf dem Gebiet des heutigen Philippis eine Ortschaft namens Krenides gründeten. Dass aus Krenides schließlich Philippi wurde, hatte etwas mit dem Machtstreben König Philipps von Makedonien zu tun. Der Vater Alexanders des Großen hatte ein Auge auf die im angrenzenden Pangaion-Gebirge befindlichen Gold- und Silbervorkommen geworfen und vereinnahmte 356 v. Chr. machtpolitisch die gesamte Region. Aus dem überschaubaren Krenides wurde das selbstbewusste Philippi, eine Festungsstadt, die nach und nach ein hellenistisches Gepräge inklusive Amphitheater und Tempelanlage bekam. Eine Abteilung im kleinen Museum der Ausgrabungsstätte widmet sich auch dieser Epoche. Doch zurück zu den Römerinnen und Römern. Für sie war Philippi ein wichtiges Etappenziel, um vom Westteil des riesigen Reiches in den Ostteil zu gelangen. Noch heute kann man in Philippi Reste der originalen Via Egnatia sehen. Die Straße führte von der Adriaküste kommend bis an den Bosporus. Insofern verband sie – zusammen mit der Via Appia in Italien und der Schiffspassage über die Adria – Rom mit Konstantinopel.
In Philippi ist die Via Egnatia keine Autobahn.
Die Doppelschlacht von Philippi
Im nasskalten Oktober des Jahres 42 v. Chr. sammelten sich rechts und links der Straße, die damals noch als makedonische Handelsstraße diente und nicht an das überregionale römische Straßennetz angebunden war, über 200.000 Legionäre inklusive 30.000 Kavalleristen. Hintergrund dieser furchteinflößenden Militäransammlung war die zwei Jahre zuvor begangene Ermordung des römischen Staatsmanns Julius Caesar. An der Ermordung hatten sich die beiden Senatoren Brutus und Cassius beteiligt, die nach ihrer Flucht aus Rom in Philippi eine neue Machtbasis aufbauen konnten. Gegen sie zogen Marcus Antonius und Octavian, die Anhänger des ermordeten Caesars. Letztere behielten während des gegenseitigen Tötens die Oberhand und trieben die unterlegenen Brutus und Cassius in den Selbstmord. Zwar gibt es kaum noch Spuren der beiden Schlachten um Philippi, doch überdauerte ein Satz die Jahrtausende: Bei Philippi sehen wir uns wieder. Nach dem griechischen Schriftsteller Plutarch soll lange vor der militärischen Auseinandersetzung Brutus eine schauerlich aussehende Gestalt erschienen sein und diesen Satz gesagt haben. Er wurde vielfach zitiert und bedeutet sprichwörtlich, Rache nehmen zu wollen.
Das Ende Philippis im Mittelalter
So wie Menschen sterben, können mit ihnen auch Städte sterben. Das Ende Philippis hatte mehrere Ursachen und erfolgte etappenweise. Im 6. Jahrhundert erreichte eine todbringende Pandemie, wahrscheinlich die Pest, die Stadt und raffte einen großen Anteil der Einwohnerschaft dahin. Und obwohl das allein schon verheerend genug war, verwandelte ein gewaltiges Erdbeben zu Beginn des 7. Jahrhunderts die geschwächte Stadt in eine traurige Trümmerlandschaft. Zwar versuchten byzantinische Herrscher immer wieder, den für das Christentum bedeutsamen Ort neu zu bevölkern, doch Attacken von zum Beispiel bulgarischen Angreifern oder Kreuzrittern verhinderten diese Pläne. So verschwand Philippi allmählich aus dem Gedächtnis der Menschen. Zurück blieb in osmanischer Zeit ein Steinbruch, aus dem sich die Menschen der umliegenden Ortschaften bedienten konnten.
Das Philippi von heute
An diesem heißen Sommertag des Jahres 2021 erscheinen immer mehr Gäste zur Tauffeier im schattigen Museumsgarten der Ausgrabungsstätte. Es wird gelacht und ein kleines Mädchen gefeiert, welches seinen weiteren Lebensweg wahrscheinlich als Christin gehen wird. Das Sakrament der Taufe hat es zumindest schon einmal erhalten. Insofern wird noch heute eine Tradition gepflegt, die in Philippi vor zirka 1970 Jahren mit der Taufe einer Purpurhändlerin ihren europäischen Anfang nahm.
Fotos und Texte: Alexander Jossifidis