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Von Arta nach Pramanta – von Tsipouro und Zimtkuchen

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Foto (© Griechenland Zeitung / lg): Das tiefgrüne Flussbett des Arachthos im Pindos-Gebirge. Foto (© Griechenland Zeitung / lg): Das tiefgrüne Flussbett des Arachthos im Pindos-Gebirge.

Eine unbekannte Perle Griechenlands ist die Tzoumerka-Region, die die Bezirke Ioannina, Trikala und Arta unter sich aufteilen. Sie besticht durch beeindruckende Natur, hohe Berge und tiefe Schluchten, ebenso wie durch ein breit gefächertes Freizeitangebot: vom Wandern über Reiten bis zum Rafting. Die Anzahl der dortigen Vorzeigedörfer, zum Teil in einem Nationalpark gelegen, beläuft sich auf fast 100. Unsere Autorin besuchte das alpin anmutende Paradies im Winter.

An einem frostigen, sonnigen Freitagmorgen machen wir uns von Preveza aus auf nach Arta, eine Kleinstadt mit etwas mehr als 40.000 Einwohnern. Kurz vor dem Ortskern biegen wir von der Hauptstraße Richtung Norden nach Gramenitsa ab. Dort verweist bereits ein Straßenschild auf Pramanta, eines der zentralen Bergdörfer im Herzen der Tzoumerka. Wir kämpfen uns neben dem Arachthos, dem einst vergötterten Fluss, nach oben, dessen emeraldgrüner, Wasserlauf immer wieder tief unten im Sonnenlicht aufblitzt. Der Arachthos entspringt im Pindos-Gebirge südlich von Metsovo, fließt dem Ionischen Meer zu und mündet dort in den Ambrakischen Golf. Unsere winterliche Autoreise führt uns durch die vom Massentourismus verschonte, atemberaubend schöne, wilde und wasserreiche Gebirgswelt der Tzoumerka, auch Athamanika genannt. Ein typisches Merkmal der Gegend sind auch die Steinbrücken. Sie waren und sind überlebenswichtig, ermöglichen das Überqueren der tief in den Canyons rauschenden Bäche. Generell ist diese Region bekannt für ihre Steinbauten, für die wunderschön gearbeiteten Häuser und Klöster. Viele Dächer sind noch heute kunstfertig mit Steinen bedeckt.

Teil2 Wo Fluesse in der Tiefe rauschen3
Rauschende Wasser unter steinernen Brücken

Es ist still hier oben. Während einer halbstündigen Picknickpause fährt einzig ein mit Baumaterial beladener Lieferwagen an uns vorbei. Nach einer kurzen Stärkung auf unserem Weg in höhere Sphären ziehen wir uns die Mützen tief ins Gesicht und nehmen die Bergfahrt wieder auf. Die Straße gleicht einem ins Gestein gesprengten offenen Tunnel, die aus der Ferne wie eine gewundene Schnur aussieht. Es gibt immer wieder Überraschungsmomente, wenn hinter einer Kurve unerwartet das eine um das andere Dorf auftaucht. Die meisten Häuser der Ortschaften sind winterfest verschlossen, die wenigen bewohnten erkennt man am Rauch, der aus den Schornsteinen steigt. Wir fahren an den Dörfern Rodavgi, Skoupa, Platanoussa, wir fahren an Monolithi vorbei, passieren Agnanta, einen Ferienort, in dem Rafting, Bergwanderungen, Fahrradfahrten und Reiten angeboten wird, überqueren die imposante Stahlbrücke über den Gorgousa, einen Nebenfluss des mächtigen Arachthos. Unser Ziel ist das Bergdorf Ktistades am Fuße des beeindruckenden Strogoula-Gipfels. Dort haben wir uns in einem originellen „Iglu“ aus Stein einquartiert. Bei der Ankunft in unserer Herberge laufen uns sogleich die drei Hunde von Nikos, dem Besitzer der Ferienhäuser, entgegen. Schwanzwedelnd begleiten sie uns bis zur Eingangstür. Der kühnere Welpe stiehlt einen Holzscheit aus dem Vorrat, den Nikos zum Beheizen des Ofens auf der Veranda für uns bereitgestellt hat. Mitten im runden Innenraum der schmiedeeiserne Ofen. Das Ofenrohr ragt sechs Meter hinauf bis zur Spitze des Iglus, zum runden Fenster, durch das wir jetzt den sonnenblauen Himmel sehen, und durch das in der Nacht die Sterne blinken.

Gipfel des Strogoula2
Weg-weisender Gipfel des Strogoula

Wir aber haben vor Einbruch der Dunkelheit noch einiges vor und machen uns warm gekleidet zu einem Spaziergang auf. Einem gefrorenen Bach entlang geht es in den Wald hinein. Der zweistündige Rundgang führt vorbei an hohen Tannen und Eichen, immer wieder grüßt der verschneite Gipfel des Strogoula, der majestätisch in den Himmel ragt. Bei der Rückkehr in das winterstille Dorf glüht der Berg aprikosenfarben im allmählich schwindenden Sonnenlicht. Ob umwölkt, nebelverhangen, ob von der Morgen- oder von der Abendsonne beschienen – der 2.107 Meter hohe Gipfel zieht immer wieder magnetisch die Blicke auf sich. Unser Wirt Nikos empfiehlt uns, im drei Kilometer entfernten Pramanta zu Abend zu essen. Pramanta ist der Hauptort der westlichen Tzoumerka-Region und liegt auf 840 Meter Seehöhe. Gegen sechs erreichen wir das schöne Bergdorf. Es ist bereits dunkel, es ist kalt, wir frieren. Als wir uns dem Dorfplatz nähern, sehen wir durch die Fensterscheibe eines Kafenions ein Ofenfeuer schimmern. Nichts wie hin! Winters ist hier oben in den Bergen nicht in jedem Dorf ein Kleinladen, stets aber ein Kafenion geöffnet*. Wenig später sitzen wir bei zwei Gläschen des lokal hergestellten Tsipouros am Ofen, dazu gibt es einen Meze mit Wurst und Käse. Beim Ausschenken des zweiten Schnapses stellt der Kafenionbesitzer sich als Christos vor und erklärt, dass die Wurst und der Käse aus der Region stammen. Am Nebentisch legt ein Mann Karten. Niemand redet. Im Hintergrund läuft der Fernseher. Kurz nach sieben füllt sich das Kafenion innerhalb weniger Minuten bis auf den letzten Platz mit Männern. Gehüllt in ihre Winterjacken widmen sich die meisten dem Kartenspiel. Einige Zaungäste lassen ihr Komboloi durch die Finger gleiten. Christos sieht den Männern beim Kartenspiel zu, schenkt Tsipouro ein. Das kleine Schnapsglas wird mit einem großen Glas eisigen Leitungswassers und mit deftigen Mezedes serviert. Als wir aufstehen wollen, gibt uns einer der älteren Gäste einen aus. Wir setzen uns wieder hin, in die Nähe des Ofens. Als es uns wenig später gelingt zu zahlen und wir uns verabschieden, antworten alle Männer im Chor: kalispera kirίa. Diese „Einlage“ ist ebenso unerwartet wie komisch, da mich bis dahin, als einziger Frau im Kafenion, niemand beachtet hatte. Draußen, mitten auf dem Platz, steht erleuchtet eine riesige Platane. „Ist mehr als hundert Jahre alt“, sagt ein Alter, der trotz der nächtlichen Winterkälte vor dem Kafenion im Dunkeln sitzt und raucht. Die Bewohner Pramantas stammen ursprünglich aus den am Ufer des Arachthos gelegenen Dörfern Tsopela und Christoi, die Dörfler lebten seit jeher von der Viehzucht und von der Steinhauerei. Pramanta liegt 65 Kilometer südöstlich von Ioannina, 70 Kilometer nordöstlich von Arta. All das erfahre ich aus einer kurzen Dorfchronik, die der Speisekarte einer Taverne, gleich neben dem Kafeneion, beigefügt ist. Das Lokal ist ein Familienbetrieb. Am Tisch neben uns sitzen die Eltern, die Großeltern und drei Kinder am Kamin. Niemand redet. Nach dem schmackhaften Abendessen mit seinen regionalen Produkten empfängt uns draußen wieder die Stille, ein blinkender Sternenhimmel, die Kälte. Auf dem Weg zurück nach Ktistades kommt uns kein einziges Fahrzeug entgegen. Im Steiniglu finden wir bei unserer Ankunft Leckereien zum Frühstück vor. Im Kühlschrank Eier, Käse, Schinken, Orangensaft, Butter und Milch. Jogurt. Auf dem Tisch eine Obstschale mit Orangen und Mandarinen, auf der Küchenanrichte ein Maisbrot mit Sesamkernen. Den frisch gebackenen, nach Zimt duftenden Kuchen schneiden wir an, noch bevor wir das Feuer im Kamin anzünden.

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Der Tsipouro-Schnaps stammt aus lokaler Produktion

Harmonie in Stein

Bei unserem Aufbruch am nächsten Morgen sind die Autofenster noch frostbeschlagen. Doch fliegen schon zig Rotkehlchen herum, fressen die roten Früchte in den Büschen der Bergjohannisbeere. Unser Ziel ist Kipina, wo wir eines der beeindruckendsten Klöster in hiesigem Nationalpark besuchen werden. Wir folgen der sich durch die Gebirgswelt schlängelnde Straße an Pramanta vorbei nach Christoi. Die Landschaft ist von überwältigender Schönheit: Berggipfel rings um uns herum, manche sind mit Schnee bedeckt, die Schluchten so tief, dass ich den Eindruck habe, nicht in einem Auto, sondern in einem Flugzeug zu sitzen. An die zehn Haarnadelkurven vom Kloster von Kipina entfernt halten wir an der fast geländerlosen Sygouni-Steinbrücke über dem Fluss Kalarritiko, einem der vielen Nebenarme des Arachthos. Wie alle Bauwerke harmonisiert die Steinbrücke, so wie später das Kloster, perfekt mit der Gebirgslandschaft. Unter mir donnert der Fluss – der dominierende Klang in der ansonsten stillen Bergwelt.
Weiter geht die Reise aufwärts, hinter einer der Kurve, mitten auf dem Weg, eine weiße Kuh. Im Dörfchen Kipina treffen wir dann auf ein Paar, dessen Bekanntschaft wir schon gestern beim Arapi-Brunnen in Pramanta gemacht hatten. Beim letzten Steinhaus im Ort weist das auf dem Dach angebrachte Schild die Besucher darauf hin, dass hier die Schlüssel zum Kloster verwahrt werden. Auf der direkt in die Schlucht hinausragenden Veranda hängen stocksteif gefrorene Wäschestücke auf der Leine. Auf unser Klopfen an der Holztür rührt sich nichts. Außer uns vier Touristen ist hier keine Menschenseele anzutreffen, nur eine schwanzwedelnde Hündin leistet uns Gesellschaft, deren Welpen unter einem Autowrack am Abgrund zu uns herüberlugen. Ein frostiger Wind weht.

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„Schlüssel zum Kloster gibt es hier“ − Das Klopfen an der Tür war umsonst

Das Kipina-Kloster

Das Kloster liegt so versteckt in die Felswand eingebettet, dass man glatt daran vorbeifahren würde, wenn man nichts von seiner Existenz wüsste. Von der Straße aus ist es nur zu sehen, wenn man den Kopf in den Nacken legt und zur Steilwand hinauf blickt. Ein bombastisches Bauwerk! Und beim Aussteigen aus dem Auto das donnernde Rauschen aus der irrsinnig tiefen Schlucht. Auf dem mit Pflastersteinen ausgelegten Weg hinauf zum Kloster das mit Kräutern überwucherte Grab einer im Jahr 1915 verstorbenen Nonne. Das Kipina-Kloster wurde 1212 errichtet, lesen wir auf der Holztafel an der Eingangstür. Von hier oben aus rate ich Leuten mit Höhenangst, den Blick in den Abgrund, der zwischen den Bergwänden in unersichtlichen Tiefen verschwindet, zu meiden! Die Klostertür bleibt verschlossen, und wir beschließen, ein Stück bergan an der frischen Luft zu wandern. Der Temperaturunterschied zwischen der sonnenbeschienenen Bergseite und der Schattenseite zugewandte ist enorm. Wir laufen schneller, rundum Gipfel um Gipfel. Hin und wieder die Sicht auf den in der Schlucht dahin donnernden Fluss, aus den Felswänden brechen Quellen hervor.

Kipina
Das Kipina-Kloster klebt an der Felswand

Die Erkundungstour fand wenige Wochen vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie statt.

Text und Fotos: Linda Graf

 

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