Messenien im Südwesten der Peloponnes zählt ganz ohne Zweifel zu den reizvollsten Landschaften Griechenlands. In ihrer Vielfalt ist die Region ein ideales Reiseziel, das für seine Besucher so manchen Höhepunkt bereithält.
In einer geradezu überbordenden Diversität ist Messenien geprägt von bewaldeten Höhen und fruchtbaren Ebenen, die einen reichen Ertrag an Oliven, Obst und Gemüse liefern. Herrliche Strände laden zum Baden ein, und von der einst bewegten Geschichte legen noch immer zahlreiche Spuren aus den unterschiedlichsten Epochen der Vergangenheit ein eindrucksvolles Zeugnis ab.
Voïdokilia-Bucht
Nabel und Ausgangspunkt
Urbanes Zentrum Messeniens ist seine Hauptstadt Kalamata (Καλαμάτα) mit ihrem Hafen. Sie fungiert nicht nur als Namensgeber für die berühmten, aus der Region stammenden Oliven; auch einer der beliebtesten Volkstänze Griechenlands, der Kalamatianós, ist nach ihr benannt. Mit gut 55.000 Einwohnern ist sie nach Patras die zweitgrößte Stadt der Peloponnes. Seine heutige Bedeutung bezieht Kalamata einerseits aus der Stellung als wichtiger Verwaltungssitz, andererseits aber erweist es sich darüber hinaus nicht minder als vitales Wirtschafts- und Handelszentrum der näheren und weiteren Umgebung. So hat auch der Zigarettenhersteller Karelia seit seiner Gründung im Jahre 1888 hier den Firmensitz, und auch heute noch unterhält er in Kalamata seine modernsten Ansprüchen genügende Fabrik. Aufgrund der hervorragenden Anbindung an die Autobahn nach Athen sowie des Flughafens, der Passagierflüge in verschiedene europäische Länder bedient, ist die Stadt überdies ein idealer Ausgangspunkt für Reisen in den Süden der Peloponnes.
Kalamata: die große Platia im Zentrum
Uferpromenade mit schicken Lokalen
Unmittelbar am Messenischen Golf gelegen schmiegt Kalamata sich anmutig an die äußersten Ausläufer des Taigetos-Gebirges (Ταΰγετος), wobei es sich voller Charme mit einer lebendigen und einnehmenden Atmosphäre präsentiert. Im sogenannten Historischen Zentrum, das sich unterhalb des Kastro, der einstigen Burg, erstreckt, lässt sich so manch pittoreske Ecke entdecken, kleine Bars und Tavernen laden zum Verweilen ein. Eine geschäftige Fußgängerzone führt von hier vorbei am klassizistischen Rathaus hin zur großen Platía, dem zentralen Platz im moderneren Teil der Innenstadt. Die Stimmung dort wird beherrscht vom Treiben in den zahlreichen, gut besuchten Cafés und Restaurants, aber auch Spaziergänger und Passanten, die zum Einkaufsbummel auf der unmittelbar angrenzenden Odos Aristomenous unterwegs sind, drücken dem Platz einen bunten Stempel auf. Weiter nach Süden folgt dann kurz vor dem Hafen der Park des unter freiem Himmel liegenden Eisenbahnmuseums, der sich mit seinen alten Lokomotiven und Waggons sowie dem Café im einstigen Bahnhofsgebäude bei Jung und Alt großer Beliebtheit erfreut. Die nahe Uferpromenade schließlich wartet wiederum mit zum Teil ganz schicken Bars, Cafés und Restaurants auf.
Zelle des Freiheitskampfes 1821
Unter dem Namen Pharaí war Kalamata bereits den homerischen Helden bekannt, und tatsächlich fanden sich im Bereich des Kastro Spuren, die in deren Zeit, das heißt also in die 2. Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. zurückreichen. In der Folge sollte der Platz des Kastro stets die Burg der Stadt bleiben. Seine heutige Gestalt erhielt er im Wesentlichen im 13. Jahrhundert durch Kreuzritter aus dem Westen, die nach der Eroberung Konstantinopels 1204 dann auch Kalamata in ihren Besitz brachten. Unter der Herrschaft des Hauses Villehardouin wurde die Burg bald maßgeblich ausgebaut. 1459 eroberten die Türken die Stadt, mussten sie vorübergehend jedoch noch einmal an die Venezianer abgeben. Gefeierter Jahrestag ist in Kalamata der 23. März, konnte die Stadt an diesem Tag im Jahre 1821 doch gleich zu Beginn des Freiheitskampfes gegen die türkischen Besatzer des Landes von den aufständischen Griechen genommen werden.
Ein grandioser Blick bietet sich heutzutage vom Kastro aus über Kalamata hinweg auf den Messenischen Golf hinaus. Kaum etwas erinnert dabei noch an das verheerende Erdbeben, das den Ort im September 1986 heimsuchte und mehr als 20 Todesopfer sowie etwa 300 Verletzte forderte. Ein Viertel aller Häuser wurde damals zerstört, und auch das in der Altstadt gelegene Wahrzeichen Kalamatas, seine mittelalterliche Apostelkirche, erlitt schwere Beschädigungen. Mittlerweile sind diese freilich längst beseitigt, und der Bau erstrahlt wieder in alter Pracht. Für die Geschichte des modernen Griechenlands kommt ihm eine ganz besondere Bedeutung zu, feierten hier am Tage der Befreiung Kalamatas von den Türken doch einige der wichtigsten Führer des griechischen Freiheitskampfes einen gemeinsamen Gottesdienst und läuteten damit den Aufstand im Süden der Peloponnes ein.
In der einstigen Markthalle gleich neben der Apostelkirche ist das Archäologische Museum der Provinz Messenien untergebracht, das Funde aus der ganzen Region von prähistorischer bis in byzantinische Zeit zeigt.
Mitstreiter im Troja-Feldzug
Eine der frühesten und wichtigsten archäologischen Stätten Messeniens ist die Ruine eines Palastes aus mykenischer Zeit, der im 13. Jahrhundert v. Chr. auf der Anhöhe Ano Englianos (Άνω Εγκλιανός) nahe der Bucht von Navarino errichtet worden war. Sein amerikanischer Ausgräber Carl Blegen benannte ihn nach dem berühmten, mythischen König Nestor von Pylos, der noch in fortgeschrittenem Alter am Trojanischen Krieg teilgenommen und dort die größte Streitmacht nach jener des Agamemnon angeführt haben soll. Die Reste, die seit einigen Jahren durch eine moderne, aufwendig gestaltete und begehbare Konstruktion geschützt werden, vermitteln dem Besucher ein klares Bild der Anlage. So ist deutlich zu erkennen, wie vom Hauptzugang her zunächst ein zentraler Hof erreicht wurde, auf den hin sich gegenüberliegend eine von Säulen getragene Halle öffnete. Hinter einem weiteren Vorraum folgte dann der große Thronsaal selbst. Weitere Wohn- und Wirtschaftsräume lagen beiderseits dieser Hauptachse, Treppenansätze sind zudem ein sicherer Beleg für das Vorhandensein eines Obergeschosses.
Überbleibsel der einstigen Dekoration bezeugen den Aufwand, der bei der Ausschmückung des Palastes betrieben wurde, wobei natürlich gerade der Thronsaal eine ganz besondere Prachtentfaltung aufwies. Von hier aus lenkte ein mächtiger König die Geschicke der Bewohner eines größeren Bereichs der südlichen Peloponnes. Gefahr fürchtete er offenbar wenig, war der Palast doch nicht mit solch starken Mauern gesichert, wie sie etwa die Burgen von Mykene oder Tiryns in der Argolis aufweisen.
Hellas’ schönste Bucht
Nicht weit vom „Nestor-Palast“ entfernt liegt zum Ionischen Meer hin die etwa fünfeinhalb Kilometer lange Bucht von Navarino. Sie wird von der vorgelagerten, langgestreckten Insel Sfaktiria (Σφακτηρία) – in früheren Zeiten ein bekannter Unterschlupf für Piraten – gegen das offene Meer hin geschützt. Die Bucht besticht durch ihre außergewöhnliche landschaftliche Schönheit und ein nicht minder reizvolles Hinterland. So zieht die Gegend denn auch in zunehmendem Maße Urlauber in ihren Bann, und von einer entsprechenden Vermarktung zeugen nicht zuletzt weitläufige, aufwendig ausgestattete Golfanlagen, die mit Hilfe eigens angelegter Stauseen bewässert werden.
Am südlichen Ende der Bucht lädt der kleine, überaus sympathische Hafenort Pylos (Πύλος) mit seinen von Arkadengängen gesäumten Straßen zu einem Besuch ein. Mit dem berühmten antiken Pylos hat er allerdings nichts zu tun; erst 1828 wurde er von dem französischen General Nicolas-Joseph Maison unterhalb einer osmanischen Burg aus dem späteren 16. Jahrhundert – dem sogenannten Neokastro („Neue Burg“) – gegründet. Das antike Pylos lag dagegen am nördlichen Ausgang der Bucht, bei der bis ins 13. Jahrhundert zurückreichenden, ursprünglich von Kreuzrittern erbauten Festungsanlage Paläokastro („Alte Burg“) oberhalb der heute sehr beliebten Voïdokilia-Bucht (Βοϊδοκοιλιά, dt.: Ochsenbauch). In Form des griechischen Buchstabens Ω (Omega) gegen das offene Meer hin geschützt gilt deren Strand mit seinen Dünen Vielen als einer der schönsten Griechenlands überhaupt.
Das attraktive Städtchen Pylos
Seeschlacht der Weltgeschichte
Die Bucht von Navarino besticht aber nicht nur in landschaftlicher Hinsicht, auch für den an der Geschichte interessierten Reisenden kommt ihr eine ganz besondere Bedeutung zu. So besiegten im Jahre 425 v. Chr. auf der Insel Sphaktiria (altgr.: Sphakteria) während des Peloponnesischen Krieges die Athener nach 72-tägiger Belagerung eine spartanische Einheit. Als diese vor den Angreifern kapitulierte, war der Ruf der Spartaner, stets bis zum Tode zu kämpfen, endgültig dahin. Ein noch wichtigeres Ereignis fand dann im Oktober 1827 in der Bucht statt. Während der wohl letzten großen mit Segelschiffen geschlagenen Seeschlacht der Weltgeschichte unterlag eine aus türkischen und ägyptischen Kräften gebildete Flotte, die hier vor Anker gegangen war, einem alliierten Verband von Briten, Franzosen und Russen. Dieses Geschehen markierte einen ganz entscheidenden Schritt auf dem Weg zur 1830 erfolgten Unabhängigkeit Griechenlands vom Osmanischen Reich. Ein Denkmal auf der zentralen Platia am Hafen von Pylos trägt dem damaligen Ereignis denn auch in gebührender Weise Rechnung.
Nur etwa zwölf Kilometer von Pilos entfernt ragt am Südwestrand der messenischen Halbinsel, des westlichen jener drei Finger, in denen die Peloponnes nach Süden ausläuft, die Festung von Methoni (Μεθώνη / dt. auch: Methone) ins Meer hinein. Ihr gigantisches Verteidigungswerk steht in krassem Gegensatz zu der doch eher beschaulich anmutenden Erscheinung des vorgelagerten modernen Orts, lässt damit aber auch kaum einen Zweifel an ihrer einst herausragenden Stellung aufkommen.
Text und Fotos: Jens Rohmann
Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 738 am 12. August 2020.