Die Insel Santorin ist charakterisiert von Gegensätzen. In diesem Teil des Beitrags wird über den Besuch der Ausgrabungen des früh-kykladischen, mystischen Akrotiri berichtet. Außerdem geht es um Probleme der Gegenwart: um Bauwut und Hochzeitsmanie.
Ein Besuch der Ausgrabungsstätte Akrotiri darf auf keinen Fall fehlen, wenn man auf Santorin ist. Ich bin vor 20 Jahren zum letzten Mal dort gewesen und freue mich, dass die gesamte Anlage, die immer wieder durch plötzliche Wetterumbrüche und Erdbebenstöße beschädigt wurde, inzwischen überdacht ist. Außerdem sorgt eine konstant gehaltene Temperatur dafür, dass Baumaterial, Gebäude und Gegenstände gut konserviert werden können. Unabhängig von den Modernisierungen geht immer noch etwas Mysteriöses von diesem Ort aus, dessen früh-kykladische Kultur kurz vor dem letzten Vulkanausbruch um 1625 v. Chr. auf rätselhafte Weise verschwunden ist. Die Ausgrabungsstätte wurde 1967 vom griechischen Archäologen Spyridon Marinatos entdeckt. Gefunden wurden zahlreiche Werkzeuge, jedoch weder menschliche Überreste noch Waffen. Die Fachwelt geht aus diesem Grund davon aus, dass die Bevölkerung die Vorboten des kommenden katastrophalen Vulkanausbruchs richtig gedeutet und sich frühzeitig aus dem Staub gemacht haben dürften. Doch wohin sind die Menschen dieser frühen griechischen Zivilisation, die der minoischen sehr ähnlich war, geflüchtet? Mir gehen dabei aktuelle Bilder von Menschen in überfüllten Booten durch den Kopf. Auf der Flucht – damals wie heute: vor Naturgewalten und Krisenregionen. Wie viele damals ihr Leben retten konnten: wer weiß?
Die archäologische Stätte von Akrotiri ist zu dieser Jahreszeit leer.
Bauwut im Norden
Ein neuer Tag beginnt. Es weht ein starker Wind, der die Wolken vertrieben hat, und die strahlende Sonne verführt mich zu einem Kurzausflug in den äußeren Norden Santorins. Ich besorge mir einen Mietwagen und entscheide mich, nicht die Hauptstraße über Firostefani und Imerovigli am inneren Kraterrand entlang zu nehmen, sondern ich biege nach rechts in Richtung Kondochori, Vourvoulos und Pori ab. Bei diesem Kurztrip wird mir ein anderes Problem der Insel bewusst: die intensive Bauaktivität. Santorin ist in den vergangenen Jahren bei Privatinvestoren immer beliebter geworden. Ein Hauptklientel sind vermehrt junge ausländische Paare, die ihr Hochzeitsfest auf dem Vulkan ausrichten wollen. Die Wohlhabenden unter ihnen erwerben bei dieser Gelegenheit auch gleich eine Ferienunterkunft. Ich treffe einen Santoriner Architekten, um mehr darüber zu erfahren: Nikos Delengas sitzt in einer Taverne außerhalb der Hauptstadt mit anderen Einheimischen zu Tisch. Er gehört zu den Wenigen auf Santorin, die über den jüngsten Kurs seiner Heimatinsel unglücklich sind. Die Entwicklung gehe rasant vor sich, meint der Architekt. „Von 2012 bis 2017 verbrauchten wir über 100 Prozent mehr Wasser als in den Jahren zuvor. 2013 erlebten wir einen Blackout der Stromversorgung.“ Eines der größten Probleme sei auch nach wie vor die Müllbeseitigung. Delengas weiß zu berichten, dass sich die Mitglieder im Stadtrat seit Jahrzehnten einfach nicht einigen könnten, wo man auf der Insel eine effiziente Müllverbrennungsanlage errichten könne.
Die Baumaterialtransporteure Santorins sind die einheimischen Maulesel
Hochzeit feiern hat Grenzen
Nikos Delangas würde sich vor allem mehr Restriktionen für die Inselgäste wünschen. „Alles ist doch eine Frage der Genehmigungsverfahren. Ab dem Moment, wo es erlaubt ist, auf der Insel zu heiraten, nehmen viele das Angebot an.“ Die katholische Kirche der Insel habe bereits vor sieben Jahren beschlossen, niemanden zu trauen, der nicht von der Insel komme. „Die Hochzeit ist für sie kein touristisches Produkt“, erzählt mir der Fachmann. Die klare Haltung der kleinen katholischen Gemeinde auf Santorin kann durchaus beeindrucken. Vielleicht sollte es ihr die orthodoxe Kirche gleich tun. Architekt Delengas freut sich, dass langsam immer mehr Santoriner inzwischen die Gefahr erkennen, vor der er schon länger warnt: „In den letzten Jahren wird uns allen immer bewusster, dass der Zuwachs bei den Bauvorhaben nicht gut für die Entwicklung unserer Insel sein kann. Im Augenblick konzentrieren sich die Investoren auf den Ausbau des Binnenlands. Als Resultat davon werden die landwirtschaftlichen Anbauflächen immer weniger. Das wird auch für die lokalen Winzer zum Problem. Sie fordern schon längst, dass die Region stärker geschützt werden müsse.“
Unterkünfte für Angestellte sind rar
Und nicht nur die Winzer klagen. Die gigantischen Gästezahlen in den Sommermonaten führen zu immer größeren Wohnengpässen. Das bekommen vor allem die Arbeitnehmer in der Hotelbranche zu spüren. In einem der wenigen Hotels, die auch im Winter geöffnet sind, arbeitet Jorgos Kotzidis als Rezeptionist. Er erzählt mir, dass es auf Santorin immer schwieriger werde, eine finanzierbare Bleibe zu finden: „Wir werden gut bezahlt, aber wir müssen einen großen Teil dieses Gehalts für Essen und Benzin ausgeben. Und die meisten müssen mit dem Auto zur Arbeit anreisen, weil es keine Möglichkeit gibt, in der Nähe des Arbeitsplatzes zu wohnen. Alles ist zu Airbnb umgewandelt worden. Hier kostet ein Zimmer bis zu 500 Euro.“ Jorgos zahlt für sein Zimmer 350 Euro. Er wohnt unten am unattraktiven Hafen in einem kleinen Loch und muss täglich mit dem Auto zur Arbeit. Je mehr ich von den Lebensverhältnissen auf Santorin erfahre, umso klarer wird mir, dass man als Gast solche Entwicklungen nicht unterstützen kann. Ich denke dabei an die vielen Einheimischen, die sich auf ihrer Insel ein letztes Stück Idylle bewahrt haben und ihren Lebensraum schützen wollen. An der Außenseite des Vulkans existieren noch zahlreiche kleine Landparzellen, auf denen die bäuerliche Bevölkerung traditionelle Produkte, die die fruchtbare vulkanische Erde hervorbringt, anbaut. Das sind wie eh und je Wein, Tomaten, gelbe Linsen (Fava), weiße Auberginen, Pistazien und Kapern. Es gibt erstaunlich viele Weingüter auf dem kleinen Santorin, die alle sehenswert sind und die den heimischen Reben – die weiße Athiri, Aidani, Assyrtiko und die rote Mandelari – zu Weltruhm verholfen haben. Die Rebstöcke werden auf Santorin zu einem kreisrunden Körbchen geflochten. So werden die Reben vor Wind geschützt und mit der nötigen Feuchtigkeit versorgt.
Kurzvisite in Oia
Die Touristenhochburg Oia mit ihren traditionellen Bauten zeigt sich in der Nachsaison von einer anderen Seite: Unzählige geschlossene Läden und Häuser in weißem Kalk wirken fast gespenstisch. Gleichzeitig lassen sie aber auch erahnen, welche Massen an Menschen im Sommer durch ihre auf- und absteigenden Gassen geschleust werden. Wie schön, dass ich in Oia einige Aufnahmen ohne Menschen machen kann. Touristenleer ist der Ort aber auch im Winter nicht: Chinesen, Inder, Südamerikaner treffe ich in einigen der Kratercafés bei Kaffee, Kuchen und Eis. Auch hier werden viele Zimmer renoviert, man hört Schleifmaschinen, während ausländische Hilfsarbeiter das Baumaterial transportieren – treppauf, treppab. Ein junger Albaner verrät mir einen Spruch, der unter den Einheimischen zirkuliert: „Seitdem die Albaner nach Santorin gekommen sind, sind die Maulesel arbeitslos.“ Es ist traurig, dass die Santoriner ihre Arbeiter nicht selber stellen können und dass einige von ihnen über Mensch und Tier frotzeln, die ihnen von Jahr zu Jahr für wenig Geld zu so viel Reichtum verhelfen. Es gibt Hotels auf Oia, in denen eine Übernachtung mehrere Tausend Euro kostet.
Das Bilderbuchdorf Oia ist weltberühmt.
Letzter Abend in Fira
Inzwischen hat wieder der Regen eingesetzt. An meinem letzten Tag erlebe ich tagsüber, wie bunt die Santoriner Landschaft in dieser Jahreszeit sein kann. Ich schieße noch ein paar Landschaftsbilder und vertreibe mir die Zeit bis zu einem Vortrag am Abend mit Flanieren. Ein Vulkanologe soll dabei im Kongressaal von Fira die interessierten Zuhörer über die jüngsten Aktivitäten des Vulkans tief unter dem Meer informieren. Auch in diesem Jahr beruhigt er die Santoriner Bürger und prophezeit, dass mit dem nächsten großen Vulkanausbruch voraussichtlich erst in 17.000 Jahren gerechnet werden muss. Ich schmunzle und denke mir – vorausgesetzt, die Insel wird nicht schon viel früher durch das Gewicht der Besuchermassen untergehen.
Friedliche Stimmung in der Altstadt von Fira.
Einfach nur idyllisch.
Text und Fotos von Marianthi Milona
Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 697 am 16. Oktober 2019.