Login RSS

Kythnos – eine kaum bekannte Kyklade

  • geschrieben von  Klaus Bötig
In der Küstensiedlung Loutra stehen die Tavernentische direkt auf dem Strand (Fotos: Christiane Bötig). In der Küstensiedlung Loutra stehen die Tavernentische direkt auf dem Strand (Fotos: Christiane Bötig).

Völlig abseits des touristischen Mainstreams schlummert die Kykladeninsel Kythnos vor sich hin. Außer Seglern sind Ausländer kaum präsent, die meisten Urlauber kommen aus dem Großraum Athen. Es gibt nichts, was man unbedingt gesehen haben müsste – da kann man bedenkenlos faul sein.

Der Flieger hatte Verspätung. Also nehmen wir ein Taxi vom Athener Flughafen zum Hafen von Lavrio, da der Linienbus weg ist. Und wieder lerne ich etwas dazu: Der Taxifahrer mietet das Fahrzeug tageweise vom Inhaber, zahlt dafür 60 Euro am Tag. Die verdient er mit uns. Noch so eine Fuhre und er hat seine gesamten Tageskosten wieder raus. Allerdings wird er darauf am Flughafen wieder mindestens drei Stunden warten müssen, so lang ist da die Taxischlange.

Ankunft in Merichas

Am neuen Hafen von Lavrio nahe dem Kap Sounion empfängt uns vor allem Öde. Er hat nichts vom Charme alter Fischerhäfen, ist rein funktional. Immerhin dient eine „kantina“ als improvisierter Open-air-Wartesaal. Da sitzen ganz viele Griechen mit Hündchen: Es ist Freitagnachmittag, Athener fahren übers Wochenende nach Kythnos. Der Schoßhund muss mit.
Die Fähre ist schon 38 Jahre alt, aber noch ganz gut in Schuss. 1 Stunde und 40 Minuten dauert die Überfahrt. Dann legen wir in Merichas an, dem einzigen Hafenort der Insel. Der Inselbus am Kai bleibt verschlossen: Außerhalb der griechischen Schulferien fungiert er nur als Schulbus. Einen Linienverkehr gibt es nicht. Taxis sind auch keine da. Wer aus Athen ankommt, wird abgeholt. Doch in der nächsten Taverne weiß man Rat und bestellt uns eins der vier Inseltaxis. Einmal quer über die Insel geht es nach Loutra. Die Insel ist zwar recht flach, der höchste Hügel nur 356 Meter hoch, doch ist die Landschaft reich gegliedert, so dass die 12 Kilometer lange Strecke recht kurvenreich ist. Die Zeit reicht für ein kurzes Gespräch mit Georgios, dem Fahrer. „Wir sind keine 1.000 Menschen mehr auf der Insel“, erzählt er uns. Bei der letzten Volkszählung 2011 hatten noch 1.456 Menschen Kythnos als ihre Heimat angegeben – was 14,5 Einwohner pro Quadratkilometer bedeutet hat. Auf Mykonos sind es fast 100 Einwohner pro Quadratkilometer.

IMG 6753 SMALL

Kurort der Königin

In Loutra wird der Ankommende von einem schon seit 1999 leer stehenden Hotel begrüßt: Dem ehemaligen „Xenia“. Demnächst soll es renoviert und vor allem modernisiert werden. Es grenzt unmittelbar ans alte Kurmittelhaus aus König Ottos Zeiten. Seine Bayern hatten Kythnos schon 1836 als idealen Ort für Thermalkuren aufgespürt. Ein erstes Kurhaus entstand – mit 14 marmornen Badewannen, 60 Gästezimmern und einem Piano. Einige Jahre später wurde es modernisiert und erweitert. König Otto und Königin Amalia konnten sich an ihren Badewannen mit Thermalwässern aus zwei unterschiedlichen Quellen bedienen, 38° C und 53° C heiß. Zumindest die Bäder waren noch bis 2017 im Hochsommer in Betrieb – seit diesem Jahr hat man ihre Nutzung ganz eingestellt. Wir können also nicht hinein.
Das heiße Thermalwasser können wir dennoch nutzen: Es wird von den Quellen durch einen offenen Kanal ins Meer geleitet. Da hat man am Strand ein kleines, flaches Becken aufgemauert, in das man sich legen kann. Doch den meisten ist das Wasser hier viel zu heiß. Sie kraxeln an der Außenseite des Beckens im Meer herum und suchen sich Stellen, wo es sich schon mit Meerwasser mischt und darum angenehmer temperiert ist. Massentauglich ist solch ein Bad gewiss nicht – aber wer Unvollkommenheit schätzt, probiert es gern einmal aus.
Aus König Ottos Zeiten stammen in Loutra ansonsten nur noch zwei auffällige Häuser. Das eine, schön renoviert und durch seine gotisch anmutenden Fenster und Burgzinnen fast wie die Residenz eines russischen Neureichen wirkend, war zu Ottos Zeiten Amtssitz des königlichen Polizeikommandanten. Im zweiten auf der anderen Seite der Bucht, das durch seine weitläufige Ummauerung auffällt, residierte sein Militärkommandant. Ironie der Geschichte: Ausgerechnet auf der vom Königspaar innig geliebten Insel kam es Ende Februar/Anfang März 1862 zu den „Kythniaka“, einer Rebellion junger Offiziere gegen den Monarchen. Sie forderte acht Tote, trug aber wesentlich dazu bei, dass der Bayer im Oktober 1862 ins Exil ging. Damals ließ man Flüchtlinge aus Griechenland noch gern in Bayern ein.

IMG 6662 SMALL

Tische am Strand

Obwohl in diesem Jahr die Kurgäste ausbleiben, herrscht in Loutra im Sommer noch etwas Leben. Segler machen fest, an Wochenenden ist der große Parkplatz direkt am etwa 150 Meter langen Ortsstrand vollgeparkt. Auf einem kürzeren, ganz schmalen Strand im Ortszentrum stehen die Tische und Stühle mehrerer Tavernen direkt auf dem Sand-Kiesgemisch. Das ist auch im Hafenort Merichas der Fall: Schön, so direkt am Wasser sitzen zu können.
Die attraktivsten Strände der ganzen Insel liegen nördlich von Merichas. Da stehen am 500 Meter langen Strand der Sommersiedlung Apokrousi die wohl mächtigsten Tamarisken ganz Griechenlands Schatten spendend am langen Strand. Zwei Kilometer weiter verbindet ein völlig sandiger Isthmos das Ufer mit einem vorgelagerten Inselchen. „Kolona“ nennen die Einheimischen dieses Badeparadies abseits aller Dörfer, in dem man in zwei verschiedenen Buchten baden kann – eine nach Süden, die andere nach Norden ausgerichtet.

Unterwegs auf der Insel

Mit historischen Sehenswürdigkeiten von Rang kann Kythnos nicht aufwarten. Zwei Kilometer nordöstlich von Loutra entdeckte ein US-amerikanischer Anthropologe in der Gemarkung Maroulas 1972 Überreste einer menschlichen Siedlung. Griechisch-polnische Ausgrabungen erbrachten den Beweis, dass es sich dabei um die älteste Siedlung zumindest der Kykladen, wenn nicht sogar ganz Griechenlands handelte. Sie konnte in die Zeit zwischen 8.600 und 7.800 v. Chr. datiert werden, also in die Mittlere Steinzeit. Freigelegt wurden spärliche Überreste kreisförmiger Gebäude, Speisereste (Schnecken, Knochen eines domestizierten Schweins) und mehrere vollständig erhaltene menschliche Skelette in Hockstellung. Aus früher kykladischer Zeit, also aus der Zeit um 3.000 v. Chr., stammen Anhäufungen von Kupferschlacke an einer unzugänglichen Stelle an der Ostküste. Nichts, was vom Hocker reißt ...
Hauptausflugsziel der Insel ist denn auch nichts Archäologisches, sondern eine Wallfahrtskirche: Die Panagia Kanalla. Das Mariengrundstück nimmt eine ganze, dicht mit Pinien bewaldete Halbinsel ein. Darauf steht ein ausgedehnter Komplex mit einfachen Pilgerherbergen: Um den 15. August herum ist da keine einzige Zelle mehr frei. Vor den Gebäuden gedeihen ganz grandios Hibiskus, Bougainvilleen und Geranien, immer wieder schimmert die Ägäis zwischen all dem Grün durch. Der Festplatz ist viel größer als die Kirche, wird das ganze Jahr über als Taverne bewirtschaftet. In der Kirche hängt die wundertätige Marienikone, die die ganze Insel beschützt. Emmanuil Skordilis hat sie im 17. Jahrhundert geschaffen, als er zusammen mit vielen anderen Kretern vor den Osmanen nach Kythnos floh.

IMG 6594 SMALL

Die beiden Binnendörfer

Das wohl Schönste auf Kythnos sind seine beiden großen Binnendörfer, Driopida und Chora. Driopida ist dabei ein kykladischer Hybrid. Die Gassen sind zwar eng und völlig unregelmäßig, die Häuser stehen eng aneinander. Aber mehrere von ihnen sind vom Klassizismus geprägt – und fast alle tragen rote Ziegeldächer. Das erstaunt, denn typisch kykladisch ist das Flachdach. Des Rätsels Lösung: In der Nähe kommt gute Tonerde vor, in Driopida wurden einst Ziegel gebrannt. Und noch etwas ist seltsam: Direkt im Dorf gibt es eine 1.200 Meter lange Höhle, die heute wieder teilweise begehbar ist. Zwischen 1908 und 1939 hat man in ihr Eisenerz abgebaut.
Rein kykladisch gibt sich hingegen die Chora. Ihre Hauptgasse mit mehreren platzartigen Erweiterungen mutiert im Sommer zur Hauptflanier- und Vergnügungsmeile der Insel. Mehrere Athener Boutiquen unterhalten hier schnuckelige Geschäfte mit modernem griechischem Design, auch ein einheimischer Keramiker präsentiert seine Arbeiten. Konditoreien, Bars und kleine Mezedopolia sind vor allem abends gut gefüllt, oft erklingt abends in der einen oder anderen Bar griechische Live-Musik. Der notwendige Strom wird am Rande der Chora höchst umweltfreundlich in einem Hybrid-Kraftwerk produziert. Es wird von einer Photovoltaik-Anlage und dem 1982 eröffneten ersten Windenergiepark ganz Griechenlands gespeist. Geplant und gebaut wurde er damals übrigens von der Gesamthochschule im hessischen Kassel, finanziert zur Hälfte mit deutschen Steuergeldern.

Von Klaus Bötig

INFOS
Website: www.kythnos.gr
Fährverbindungen: Mit Lavrio und Piräus
Inselkarte: Anavasi-Verlag, 1:31.000, mit nummerierten, vor Ort gut markierten Wanderwegen, www.anavasi.gr
Wanderführer: Ein guter englischsprachiger Wanderführer ist im Geschäft „Cat with Hat“ an der Hauptgasse der Chora erhältlich (9 Euro).

Diese Reportage stammt aus dem Archiv und erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 636 am 18. Juli 2018.

Nach oben

 Warenkorb