Chalki, die kleine Schwester der Insel Rhodos, Teil 2
Die Insel Chalki hat eine Küstenlänge von etwa 34 Kilometern. In der Antike sollen dort bis zu 8.000 Menschen gelebt haben. Heute sind es nicht einmal 300. Und fast alle leben vom Tourismus. Was spielt sich in kleinen Variationen jeden Abend am Hafen ab?
Fische werden ausgeladen und zu den Tavernen gebracht. Ein Segelboot legt an, die kleine Fähre nach Rhodos kehrt heim. Die Waren oder Koffer werden mit einem Ape-Dreirad an den Bestimmungsort gebracht. Opa fährt den Enkel in der Karre aus. Stolz hält er bei jeder Begegnung mit Freunden an, führt den Prachtkerl vor. Der Kleine hat einen Quietscheball geschenkt bekommen und gibt damit Töne von sich.
Gedenktafel zur Besatzungszeit.
Statisten an der Hafenmole
Es gibt keinen Erwachsenen, egal ob jung oder alt, der nicht mal eben kurz den Ball ausleiht und auch mal damit quiekt. Oma schiebt den Enkel mit der Stange am Dreirad vor sich her. Das Prozedere bei den Treffen der stolzen Großeltern ist immer gleich: Sehen, dem Burschen in die Backe kneifen, „kalo paidi“ sagen, blanke Begeisterung und Bewunderung. Die größeren Kinder verhalten sich absolut geschlechtsspezifisch: Die Mädchen haken einander unter, schwatzen, lachen, haben viel zu erzählen. Die kleinen Jungen spielen Fußball auf dem Beton des Anlegers, fahren Fahrrad oder spielen Fangen. Die Kinder der albanischen Saisonkräfte mischen sich darunter. Die großen Jungen tauchen spärlicher auf, die müssen schon mit anfassen. Sie angeln oder unterhalten sich gestenreich mit den anderen „Malákes“, das hier wie „Kumpel“ verwendet wird. Ein asiatisches Kindermädchen umfasst eng und streng das junge Bürschchen, auf das es aufpassen soll. Sie geht am Hafenrand auf und ab, ohne dem vielleicht Achtjährigen auch nur einen Zentimeter Leine zu lassen. So oft er kann, büxt er aus. Vor einem Haus flickt der Sohn seine Netze, die Oma strickt, der Vater schaut zu. Zwei Alte spleißen ein Seil auf und binden die Enden zu Schlaufen zusammen. Der Kellner aus unserm Strandcafé geht jetzt mit seinem Sohn spazieren. Eine ältere Frau fährt mit ihrem elektrischen Rollator dicht an die Wasserkante und schaut ewig lange den Fischen zu. In mir steigt kurz die Vision auf, die Alten und die Kinder sind hier Staffage, Statisten wie im Film mit dem Titel „Griechisches Inselglück“.
Kiesel-Mosaik in der Kirche des Ag. Nikolaos.
Bewegte Geschichte
Chalki liegt nah an der Außengrenze der EU. Auf einem Hügel hinter dem Dorf suchen den ganzen Tag über Soldaten vom Küstenschutz mit ihren Fernrohren das Meer ab. Abends holen sie die griechische Fahne ein und machen Feierabend. Es wird wohl noch andere technische Mittel der Küstenüberwachung geben, denken wir. Uns tun die jungen Männer leid, die den ganzen Tag über in der Hitze Dienst tun. Das Militär hat etliche Soldaten auf der Insel stationiert. An markanten Stellen am Meer finden wir Überreste von Betonbunkern, manche fast noch gebrauchstüchtig, andere ziemlich stark von Macchie überwachsen. Das könnten teils noch Unterstände sein aus der Zeit der deutschen Besatzung, aber es ist schwer auszumachen bei der komplizierten Geschichte der Insel, wer wann welche militärischen Anlagen baute. Die Italiener hielten nach dem Italienisch-Türkischen Krieg die Inselgruppe ab 1912 besetzt und bekamen sie im Lausanner Vertrag von 1923 rechtmäßig zugesprochen. Sie betrachteten sie als „Isole italiane dell' Egeo“ und führten Italienisch als Pflichtsprache ein. Von 1943 bis Mai 1945 besetzten deutsche Truppen Chalki. Bis 1947 stand die Insel dann unter britischer Militärverwaltung. Erst 1948 wurde die Insel wieder dem griechischen Staat eingegliedert. An das Unrecht der deutschen Besatzung erinnert eine Gedenktafel für einen von Deutschen Ermordeten.
Das hübsche Kirchlein.
„Denkmäler“ der Zivilisation
Spazierengehen ist eigentlich immer ein Vergnügen. Nachmittags lässt die Hitze nach. Wir nehmen den Betonweg zum Hügel hoch, um zu sehen, was sich hinter den drei frisch renovierten Windmühlen befindet. Ein Ziegenpferch. Weiter unten liegt der Friedhof mit einer stimmungsvollen Kirche inmitten schattiger Bäume, direkt mit Blick aufs Meer. Schöner leben nach dem Tod? Eine Kapelle steht am Weg, eine der vielen kleinen weißen Tupfer im Braun des Gesteins. Was noch? Ein abbröckelnder Hubschrauberlandeplatz. Am Wegrand sieht man immer wieder Autos ohne Kennzeichen und mit platten Reifen. Der Schrott bleibt einfach stehen. Ihn mit der Fähre zur Verschrottung abzutransportieren, ist vermutlich zu teuer. Keinen scheint es zu kümmern. Denkmäler der Zivilisation, die hier ins Leere dreht. Was finden wir oben auf dem Hügel? Außer der schönen Aussicht auf die Buchten der anderen Inselseite gibt es eine Vielzahl an bunten Müll-Plastiktüten zu sehen. Ein Bulldozer steht bereit, immer mal wieder ein wenig Bauschutt darüber zu scharren. Das meiste fällt über die Klippe den Hang zum Meer herunter und stinkt zum Himmel.
Wir hatten uns schon gewundert, wohin die kommunalen Müllfahrzeuge täglich fahren, jetzt wissen wir es.
Gepflegtes Heim mit Blütenpracht.
Engagierte Frauen
Wir lernen Maria kennen, die in der Krise auf die Entwicklung von unten setzt, auf die Graswurzelbewegung, hin zu mehr zivilgesellschaftlichem Engagement, zu mehr Eigeninitiative, zu höherer kommunaler Verantwortung für die eigene Sache. Maria macht Radio-Interviews für einen freien Sender und das Internetradio mit Menschen, die ermutigende Initiativen fördern. Auf der Insel Chalki wollte sie die Bürgermeisterin als leuchtendes Beispiel herausstellen, die ökologische Projekte voranbringt wie Photovoltaik bei den neuen Straßenlaternen oder der getrennten Müllsammlung. Seit diesem Jahr, 2017, sind an allen Ecken sehr hübsche Müllboxen installiert worden, oben auf den vier Tonnen immer ein großer Blumenkasten mit Geranien. Zwar hängen schon einige Türen, die dem heftigen Meltemi nicht standhalten, manche sind bereits abgerissen. Aber immerhin, ein Anfang, die Tonnen werden genutzt, jedenfalls von einigen Touristen. Die Lokale wickeln ihren Müll nach wie vor unsortiert in die üblichen Papiertischdecken. Wie desillusioniert war Maria, als wir ihr vom kommunalen Müllplatz berichteten, wo alle Plastikbeutel im Winde flogen, egal, in welcher Box der Abfall vorher getrennt gesammelt wurde.
Das imposante Rathaus der Insel.
Wahrer Luxus: Schönheit
Katerina zeigt uns voller Stolz das Hotel, in dem sie arbeitet. Es kommen, sagt sie, hauptsächlich Griechen zum Erholen hierher, auch internationales Publikum, aber vor allem Griechen. Das haben wir auch schon gemerkt. Es sind die gern und viel konsumierenden Kreise, die es nach wie vor gibt. Katerina gehört nicht dazu. Sie hat früher bei der Post gearbeitet. Hier auf den Inseln sei die Krise weit weg. In Athen sei die Arbeitslosigkeit drückend, hier hätte man schon mal eine Chance. Im Tourismus könne sie etwas Geld verdienen, und auf der Insel gäbe es kaum Möglichkeiten es auszugeben. Keine Konsumverlockungen! Es gibt nur einige „Minimarkets“. Kost und Logis habe sie im Hotel frei. Die Saison dauere auf den Inseln maximal fünf Monate, dann sei Schluss und man müsse das Geld für den Rest des Jahres verdient haben. Sie ist glücklich, hier auf Chalki Arbeit gefunden zu haben. Sie begeistert sich für den Charme der Insel und schätzt den wahren Luxus: Schönheit. Ist es nicht schön hier, die Sonne, der malerische Ort, die Ruhe, der Sonnenuntergang, der Mond? Ja, da sind wir ganz bei ihr: Wunderschön!
Eine Privatkapelle mit herrlichem Meerblick.
Von Hiltrud Koch